Draußen rascheln die Blätter, drinnen werden sie umgeblättert. Mit einem guten Buch bleibt die ungemütliche Welt einfach draußen. Wir haben ein paar Neuheiten für Sie ausgewählt.
Rolf Lappert: Leben ist ein unregelmäßiges Verb
Hanser, 32 €
Vier Kinder wachsen versteckt in einer ländlichen Kommune in Norddeutschland auf. Als die Behörden 1980 davon erfahren, entreißen sie die Kinder der vertrauten (und geliebten) Umgebung und werfen sie, voneinander getrennt, in die Welt. Wie es ihnen darin in den kommenden Jahrzehnten ergeht, erzählt Rolf Lappert in seinem großartigen Roman. Einfühlsam und – allen Schicksalsschlägen zum Trotz – auch mit Heiterkeit beschreibt er die Lebenswege von Frida, Leander, Linus und Ringo aus wechselnden Blickrichtungen auf 974 Seiten. Das ist keine einzige zu viel. (S.G.)
Petra Hammesfahr: Nach dem Feuer
Diana Verlag, 20 €
Ein Wohnmobil steht in Flammen. Nur mit Mühe kann die Polizistin Jasmin Tirtey einen verzweifelten Jungen davon abhalten, sich noch einmal ins Inferno zu stürzen. Er ist auf der Suche nach seinem Großvater. Allerdings weiß er dessen Namen nicht und will der Polizei auch seinen eigenen nicht verraten. Ein mysteriöser Fall, der im Laufe der Zeit immer verworrener wird. Ist der Junge geistig nicht voll entwickelt oder ist er – ganz im Gegenteil – hochintelligent und manipuliert die Beamten, die sich redlich bemühen, Klarheit in den Fall zu bringen. Am Ende ist alles anders, als es scheint – ein neuer Psycho-Spannungsroman à la Petra Hammesfahr. (E. B.)
Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt
Klett-Cotta, 20 €
Romane aus verschiedenen, sich überschneidenden Schicksalen und Episoden zu „bauen“ ist keine Erfindung der in Siebenbürgen geborenen Autorin. Doch wie Iris Wolff sieben Lebenswege aus vier Generationen im Banat verknüpft, ist besonders klug, poetisch beschrieben und dem Thema angemessen. Denn so entsteht vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks auf wenigen Seiten ein großes Panorama der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer wirft der Roman einen eigenen Blick darauf, wie es war, Grenzen nicht einfach überschreiten zu können. Sich dennoch beheimatet zu fühlen, sich zu arrangieren oder doch die Flucht zu wagen. (S.G.)
Arnaldur Indriðason: Das Mädchen an der Brücke
Lübbe, 22,90 €
Kommissar Konráð ist eigentlich in Rente. Doch als die verzweifelten Großeltern einer jungen Frau ihn um Hilfe bitten, erwacht der alte Ermittlerinstinkt in ihm. Danní ist spurlos verschwunden und den Großeltern, die sie großgezogen haben, schon lange entglitten. Drogen und schlechter Umgang sollen im Spiel sein. Zeitgleich wendet sich eine alte Bekannte an den Ex-Kommissar. Ihre Väter haben früher gemeinsam mit fingierten Séancen Menschen übers Ohr gehauen haben und sind beide vorzeitig und gewaltsam gestorben. Durch Eygló stößt Konráð auf einen Cold Case, bei dem ein 12-jähriges Mädchen vor Jahrzehnten in einem Reykjaviker Stadtsee ertrunken ist. Nach einiger Recherche wird dieser kalte Fall wieder ganz heiß. Unfall oder Mord? Und wo ist Danní? Was hat das alles mit Konráðs eigener Familiengeschichte zu tun, die nicht frei ist von dunklen Geheimnissen? Den Ruhestand hatte sich der ehemalige Ermittler sicherlich anders vorgestellt. (E.B.)
Jakob Hein: Hypochonder leben länger
Galiani Berlin, 20 €
Jakob Hein ist nicht „nur“ Schriftsteller, sondern seit über 20 Jahren Psychiater. In seinem höchst unterhaltsamen und lesenswerten Buch räumt er auf mit so einigen gängigen Vorurteilen, die Psychiatern täglich begegnen. Vielen Menschen ist nicht klar, dass Psychiater Mediziner sind und ein entsprechendes Studium samt Facharztausbildung absolviert haben. Außerdem gewährt er den Lesern einen Einblick in den Alltag seines Berufs. Erzählt von Medikamenten und Placebos, bezieht Stellung zu Trend-Diagnosen wie Burn-out und macht auf optimistische Weise deutlich, dass eigentlich jeder das Potenzial in sich trägt, schwierige Situationen mit etwas Hilfestellung zu meistern. Denn als Psychiater ist man nicht für Antworten, sondern für die richtigen Fragen zuständig. (E.B.)
Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Dr. Mühe
Penguin Verlag, 20 €
Wer meint, Historiker könnten keine spannenden Geschichten erzählen, der hat Oliver Hilmes noch nicht gelesen. Schon mit „Berlin 1936“ hat er eine Art Tagebuch der 16 Tage dauernden Olympischen Spiele während der Nazi-Diktatur geschrieben. Trotz – oder gerade wegen – der akribischen historischen Detailtreue las sich „Berlin 1936“ wie ein fesselnder Roman. Anhand von Akten eines aufsehenerregenden Kriminalfalls aus der Spätzeit der Weimarer Republik, die Oliver Hilmes im Berliner Landesarchiv entdeckt hat, setzt er nun in seinem neuen Buch gekonnt fiktionalen Elemente ein, wo Fakten fehlen. Das Verschwinden eines angesehenen Arztes konnte nie aufgeklärt werden. Eines nachts war er fort, sein Sportwagen wird verlassen am Ufer eines Sees bei Berlin gefunden. Die Mordkommission ermittelt und stößt hinter der sorgsam gepflegten Fassade des ehrenwerten Doktors auf die Spuren eines kriminellen Doppellebens, das von Berlin nach Barcelona führt. (E.B.)
Holly Bourne: War’s das jetzt?
Bold, 16,90 €
Tori Bailey hat alles: Mit ihrem Selbsthilfebuch hat sie Millionen Frauen inspiriert, sie ist beliebt und glücklich mit ihrem Freund. Doch das ist alles nur Fassade. Ihre Beziehung ist im Grunde am Ende. Und alle Welt um sie herum – so nimmt Tori es zumindest wahr – heiratet und bekommt Kinder. Tori ist sich zwar gar nicht sicher, ob sie eine bürgerliche Ehe mit allem drum und dran überhaupt will, aber zumindest die Option hätte sie gern. Aber Toris Freund ist noch nicht einmal bereit, diese Themen auch nur ansatzweise mit ihr zu besprechen. Allmählich wird deutlich, dass ihr dieser Mann nicht guttut. Ihr steht ein schwerer Abnabelungsprozess und eine ungewisse Zukunft bevor. Aber die härteste Nuss muss sie selbst knacken: Sei ehrlich zu dir selbst. 30 sein ist kompliziert. (E.B.)
John Grisham: Das Manuskript
Heyne, 22 €
Immer, wenn Grisham in seinen Geschichten den Gerichtssaal verlässt, kommt eine richtig tolle Story dabei raus. Der Bestseller-Autor entführt uns noch einmal nach Camino Island. Lebemann und Buchhändler Bruce Cable haben wir schon in „Das Original“ kennengelernt. Jetzt steuert Hurrikan Leo mit voller Wucht auf die Insel zu, die von den Sicherheitskräften evakuiert wird. Doch Bruce bleibt trotz aller Gefahren vor Ort. Als der Sturm abflaut, zeigen sich die verheerenden Folgen. Mehr als zehn Menschen sind tot, die Stromversorgung ist zusammengebrochen und die Schäden an den Häusern und Straßen enorm. Eines der Opfer ist Nelson Kerr, ein Thrillerautor und Freund von Bruce, den schon bald Zweifel beschleichen, ob die tödlichen Kopfverletzungen wirklich vom Hurrikan stammen. Denn das Manuskript zu Kerrs Buch ist weit mehr als Fiktion und enthält eine Menge Potenzial, für das Kriminelle morden würden. Was also tun mit Kerrs Vermächtnis? (E.B.)
Candice Carty-Williams: Queenie
Blumenbar, 22 €
Man sollte sich nicht vom Klappentext leiten lassen. Queenie ist eben nicht die „schwarze Bridget Jones“. Candice Carty-Williams hat mit ihrem Roman eine deutlich ernstere Geschichte geschrieben. Als Tom Queenie vorschlägt, eine Beziehungspause zu machen, ist sie wie vor den Kopf geschlagen. Sie kann einfach nicht loslassen und stürzt sich in eine Bettgeschichte nach der anderen. Dass es dabei nicht um Liebe, sondern nur um Sex geht, ist ihr schon klar, denn Queenie ist nicht blöd. Ganz im Gegenteil. Schließlich findet sie aus ihrem dunklen Hamsterrad ohne Hilfe von außen keinen Ausgang mehr. Erst als Queenie beginnt, ihre coole Fassade abzulegen und dem Leser Einblicke in ihr Seelenleben gibt, beginnt man mit ihr mitzufiebern. Das kommt spät. Aber nicht zu spät, um diesen Roman am Ende doch noch schätzen zu lernen. (E.B.)