Bald ist es so weit: Das Weihnachtsfest steht wieder ganz plötzlich vor der Tür. Hier ein paar Lese-Tipps, die sich gut unterm Baum machen
Hjorth & Rosenfeldt – Die Schuld, die man trägt
Wunderlich, 25 €
Die Mitglieder der Reichsmordkommission sind noch immer zutiefst schockiert, dass ihr Kollege Billy als Serienmörder entlarvt wurde. Ein Polizist, der Freude daran hat, Menschen beim Sterben zuzusehen. Was für ein Alptraum! Die Polizeiführung will die Reichsmordkommission lieber heute als morgen dichtmachen, aber dann wird die Leiche einer Frau auf einem Bauernhof gefunden. An der Wand im Stall finden die Ermittler in blutroten Lettern die Aufforderung geschrieben: Löse den Fall, Sebastian Bergman! So bleibt Vanja, Leiterin der Kommission, nichts anderes übrig als ihren Vater wieder in den Fall einzubeziehen. Als ein weiterer Mensch stirbt, offenbart sich ein Muster. Sebastian hat das Leben beider Opfer zuvor auf höchst negative Weise beeinflusst. Und wenn man an die selbstbezogene und arrogante Art des Profilers denkt, hat die Reichsmordkommission es mit einer ganzen Reihe von weiteren potentiellen Opfern zu tun. Denn klar ist: Der Mörder wird nicht von allein aufhören. Parallel zu dem fordernden Fall hat es Bergmann auf privater Ebene mit beunruhigenden Entwicklungen zu tun. Sein Klient Tim, der wie er selbst ein Kind beim Tsunami 2004 in Thailand verloren hat, verstirbt urplötzlich. Als Tims Tochter auftaucht, wird klar, dass er Sebastian von vorne bis hinten belogen hat. Die Frage ist: warum? Der neue Fall für Sebastian Bergmann zählt definitiv zu den besten der Reihe – und ganz generell, was das an sich spannungsreiche skandinavische Krimi-Genre zu bieten hat. Es ist phänomenal, was sich das schwedische Autoren-Duo immer wieder einfallen lässt. Unbedingt lesen! (E.B.)
Dennis Lehane – Sekunden der Gnade
Diogenes, 25 €
Dem famosen Drehbuchschreiber solcher Kultfilme und -serien wie „Shutter Island“, „Mystic River“ und „The Wire“ ist mit diesem Roman ein Rache-Krimi ersten Ranges geklungen. Wir befinden uns im Boston des Jahres 1974. Die Stadt steht kurz vor der Explosion. Es brodelt in der irischen Bevölkerung. Zur Förderung der Integration und als Maßnahme gegen den grassierenden Rassismus sollen künftig schwarze Schüler in die Schulen weißer Viertel und umgekehrt. In diesem aufgeheizten Klima kommt ein junger Schwarzer ums Leben, der wohl von weißen Jugendlichen auf Bahngleise gehetzt wurde und dort von einem Zug erfasst wurde. Irgendwie scheint Mary Pats 17-jährige Tochter da mit drinzuhängen. Doch die ist zurzeit verschwunden. Mary Pat macht sich auf die Suche, doch die wahren Täter sitzen woanders als vermutet. Lehane hat mit Mary Pat eine sehr toughe irische Protagonistin am Start, die auf ihrem Rachefeldzug keine Gnade kennt – ohne Rücksicht auf sich und andere. (H.O.)
Philippe Djian – Ein heißes Jahr
Diogenes, 24 €
Im französischen Original heißt der Roman 2030, und das hätte man eigentlich auch so lassen können. Djians Geschichte spielt in der nahen Zukunft. Protagonist Greg arbeitet für ein Labor, das die Schädlichkeit eines Pestizids herunterspielt – und immer wieder mit gefälschten Analysen durchkommt – bis ein Mensch stirbt. Unterdessen geht seine Nichte Lucie für das Klima auf die Straße, was mittlerweile ein höchst gefährliches Engagement ist. Denn die Fronten sind dermaßen verhärtet, dass Demos immer wieder in Gewalt ausarten. Zu allem Überfluss verliebt sich Greg auch noch in die Umweltaktivistin Véra und hat dabei ein schlechtes Gewissen seiner verstorbenen Frau gegenüber. Als Meister der Verknappung hat sich Djian in diesem Roman auf nicht einmal 230 Seiten etwas viel vorgenommen. Ich hätte seine Ausarbeitung des Generationenkonflikts in puncto Klimakrise spannender gefunden als eine weitere Amour fou. (E.B.)
Alex Schulman – Endstation Malma
dtv, 24 €
Ein Zug – das ist schon einmal eine sehr strapazierfähige Metapher. Höchst unterschiedliche Menschen würfelt er zusammen, bisweilen in einem engen Abteil. So werden Schicksale miteinander verwoben, hier ein Ehepaar in der Krise, ein Vater mit seiner kleinen Tochter und eine Frau, die endlich Klarheit über ihr Leben gewinnen will. Alle sind unterwegs nach Malma, einem kleinen, von Wäldern umgebenen Ort, ein paar Stunden von Stockholm entfernt. Welche Bedeutung hat dieser Ort für die unterschiedlichen Protagonisten und was erwartet sie dort? Ist eine freie Gestaltung der Zukunft möglich oder steckt man auf den eingefahrenen Gleisen der Vergangenheit fest? Der Zug des Lebens, das kennt man als einprägsamen Vergleich, aber Alex Schulman bleibt nicht beim Pathos dieses Bildes stehen. Mit erzählerischer Brillanz wird jedes Kapitel zu einem weiteren Waggon dieses Zuges und die Figuren lassen einen nicht los. Man fährt auf ein Ziel zu, das man nicht kennt und das schafft einen geradezu hypnotischen Lese-Sog. (H.O.)
Tuomas Oskari – Im Sturm der Macht
Lübbe, 24 €
Oskari hat mit seinem ersten Band um Leo Koski schon bewiesen, der er richtig gute Polit-Thriller schreibt. Und „Im Sturm der Nacht“ kann daran nahtlos anknüpfen. Bei einem Staatsempfang in Helsinki – wir schreiben das Jahr 2028 – wird die finnische Ministerpräsidentin von einem Scharfschützen aus dem Hinterhalt erschossen. Und das in einer Zeit, in der die finnische Gesellschaft zutiefst gespalten ist. Die Regierung selbst hatte dafür gesorgt, indem sie Flüchtlinge auf einer stillgelegten Kreuzfahrtfähre interniert hatte. In dieser brisanten Gemengelage kehrt der ehemalige Ministerpräsident Leo Koski zurück auf die politische Bühne. Dieses Mal will er nicht einfach nur Marionette einflussreicher Schattenmänner sein, sondern den drohenden Staatsstreich zu seinen Bedingungen mit allen Mitteln verhindern. Und das ist ungeheuer fesselnd. (E.B.)
Jenny Blackhurst – Die dunkle Spur
Lübbe, 12 €
Die junge Engländerin Claire ist fast ein wenig neidisch, als ihre Schwester Holly einen Ferienjob auf Martha`s Vineyard, der Insel der Reichen und Schönen ergattert. Doch urplötzlich meldet sich Holly nicht mehr. Claire macht sich Sorgen und nimmt das nächste Flugzeug in die Staaten, um ihre Schwester zu suchen. Die Insel mit traumhaften Sandstränden, Luxusvillen mit Meerblick, einem Hafen voller eleganter Segeljachten fasziniert sie. Doch dort scheinen sich eine Reihe von verwöhnten jungen Männern zu tummeln, die es gewohnt sind, das zu bekommen, was sie wollen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Claires Spurensuche führt sie in tiefste Abgründe und einem rätselhaften Todesfall. Und immer die Frage: Wo ist Holly? Jenny Blackhurst ist Meisterin eines guten Pageturners. (E.B.)
Christian Herzog – Aktion Phoenix
Wunderlich, 25 €
Viel ist schon zu den Olympischen Spielen geschrieben worden, die 1936 dem Naziregime dienen sollten, der Welt ein offenes und friedliebendes Deutschland vorzugaukeln. In dieses Setting verpflanzt der Autor Christian Herzog seinen Spannungsroman. Der junge Hermann Schmidt vom Propagandaministerium muss sich mit hasserfüllten Schlägern und einer Widerstandsgruppe auseinandersetzen, die mit regimefeindlichen Plakaten die Stadt zupflastert. Er stellt seine Arbeit erst in Frage, als er sich in die Kunststudentin Anna Kollmann verliebt, die zu den Umstürzlern gehört. Und auch der Zeppelin-Steward Georg Finkbeiner gerät zwischen die Fronten und deckt ein schreckliches Geheimnis auf: Hinter der Fahrt des Luftschiffes Hindenburg, das zur Eröffnungsfeier der Spiele über das Olympiastadion schweben soll, steckt ein ganz perfider Plan mit katastrophalen Folgen. Christian Herzog ist ein überzeugender, sehr gut recherchierter Krimi gelungen – mit glaubhaften Figuren und einem richtig guten Plot. (E.B.)
Matthias Bronisch – Martha
KunstSinn-Verlag, 14,95 €
Mit dieser stark biographisch gefärbten Erzählung zeichnet der Bielefelder Schriftsteller Matthias Bronisch ein feines Porträt seiner Mutter Martha. Sie steht prototypisch für eine Generation von Frauen, deren Leben durch Schicksalsschläge, Krieg, Entbehrungen und Aufopferung für die Kinder geprägt wurde. Mögen Jugend und Ausbildungszeit von Martha noch von Aufbruch und Träumen bestimmt gewesen sein, schon bald machen die Zeitumstände in den Anfangsjahren des 3. Reichs einen Strich durch die Rechnung. Eine frühe Hochzeit und die Geburt der ersten Kinder bestimmen den weiteren Weg. Auf ein selbstbestimmtes Leben mussten Frauen wie sie weitgehend verzichten, vor allem später in der Nachkriegszeit. Marthas Mann war im April 1945 in einem österreichischen Lazarett verstorben und sie musste die fünf Kinder fortan allein durchbringen. Typisch für diese Generation von Frauen, die gar nicht wusste, wie es geht, auch mal an sich und die eigenen Bedürfnisse zu denken. Matthias Bronisch schildert den Lebensweg von Martha ohne metaphorische Schnörkel, er psychologisiert nicht, was die Unmittelbarkeit der Eindrücke erhöht und dem sinnlichen Erleben zugutekommt. Gleichzeitig merkt man an vielen Stellen, dass sich Matthias Bronisch mit dieser Erzählung von einer Last befreit, denn das Erinnern an seine Mutter, an ein Leben voller Verzicht, kann schwerfallen, zumal man das als Kind quasi als selbstverständlich hingenommen hat. Mit dieser eindrücklichen Erzählung kann Bronisch jetzt loslassen. (H.O.)
Helmut Henschel, Jochen Rath, Andreas Vohwinkel – Bielefeld in den 50er und 60er Jahren
Wartberg Verlag, 19,90 €
Bielefeld in den 50er- und 60er-Jahren: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Weltmeisterschaft prägten diese legendären 50er-Jahre, Automobile, Anwerbeabkommen für „Gastarbeiter“ und die Achtundsechziger das folgende Jahrzehnt. Aus neuen Verkehrskonzepten erwuchsen die autogerechte Stadt und Fußgängerzonen – ein Flughafenprojekt dagegen scheiterte. Die Radrennbahn und der Jahnplatztunnel wurden eingeweiht, die Universität und die Kunsthalle eröffnet, der Bau des Telekomhochhauses begonnen. All dies fingen Profis mit ihren Kameras ein. Ein lesenswertes Buch mit beeindruckenden Bildern, die die Vergangenheit ganz lebendig werden lässt. (E.B.)