Ferienzeit ist Lesezeit. Wir haben die passende Lektüre für Strandkorb, Liegestuhl und Co,
Andrea De Carlo – Traumtheater
Diogenes, 25 €
Veronica droht in einem Café an einem Stück Brioche zu ersticken. Kaum ist sie wieder zu Atem gekommen, lässt ihr Retter durchblicken, dass er eine wichtige historische Stätte entdeckt hat, gleich hier in der italienischen Stadt Cosmarate – eine willkommene Story für die Fernsehfrau, die bei einem eher trashigen Format arbeitet. Die Story wird weidlich ausgeschlachtet. Ohne Rücksicht auf Verluste und unter Einsatz illegal eingesetzter Drohnen – schließlich braucht das Fernsehen Bilder der antiken Stätte, auch wenn sie sich auf dem privaten Gelände des Marchese befindet. Unterdessen streiten sich Politiker erbittert darüber, wer den Fund für sich reklamieren darf und wer letztlich finanziell vom italischen Theater profitiert. Ist es da ein Wunder, dass Andrea De Carlo den Traum platzen lässt? Mit seiner unverstellten, klaren Sprache und seiner ungewöhnlichen Beobachtungsgabe seziert er fast genüsslich den hysterischen Medienrummel und die Mechanismen des Sensationsjournalismus’, wobei auch weder Politiker und Wissenschaftler sich noch die Mühe eines Faktenchecks machen. Lesenswert! (E.B.)
Ellery Lloyd – Der Club
Knaur, 16,90
„Home“ ist eine Luxus-Ressort-Kette. Ihr jüngster Coup: Eine neue Anlage auf einer entlegenen Insel vor der britischen Küste, die nur bei Ebbe über einen Damm oder per Boot zu erreichen ist. Sie ahnen es schon: Das ideale Setting für einen Thriller der im Milieu der Superreichen spielt. Denn nur wahrhafte Berühmtheiten mit dem entsprechenden Budget haben Zugang zum elitären Private Member Club „Island Home“. Anlässlich der Eröffnung laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, damit den Mitgliedern jeder Wunsch – und sei er noch so absurd – von den Augen abgelesen werden kann und sie unter ihresgleichen ausschweifend und diskret feiern können. Aber ist der Club wirklich diskret? Fest steht, dass nicht jeder der Anwesenden diese Eröffnungsparty überleben wird. Ein packender Thriller in einem herrlich abgedrehten Setting. (E.B.)
Heinz Strunk – Der gelbe Elefant
Rowohlt, 22 €
Man weiß nie so ganz genau, was einen erwartet, wenn man ein neues Buch von Heinz Strunk zur Hand nimmt. Außer, dass der Schriftsteller – auch Musiker und Schauspieler – stets einen genauen Blick auf den unaufhaltsamen Verfall von menschlichen Körpern richtet. Im scheinbar Alltäglichen erkennt er das Grauen und weiß, wo das Absurde lauert. Die ganz unterschiedlichen Texte handeln von komplett misslungenen Pärchenabenden mit Kroketten – beziehungsweise der Abwesenheit dieser ersehnten Speise – vom Übernachtungsbesuch bei den Eltern – auch hier gibt es übrigens Kroketten –, aber auch, wie ein Wissenschaftler, der sonst eigentlich auf dem Schoß von Markus Lanz wohnt, bei einer Sendung gar nicht zu Wort kommt. Katastrophe! Der titelgebende Text ist kaum eine Seite lang, aber die real existierende Presse-Chefin des Rowohlt-Verlags kommt darin vor. Ein Schelmenstreich? Manches hinterlässt die geneigte Leserin ratlos. Aber ist es bei Heinz Strunk nicht eigentlich immer irgendwie verstörend? Und manchmal auch sehr komisch? (E.B.)
Yasmin Angoe – Echo der Gewalt
Suhrkamp, 18 €
Definitiv kein Thriller für schwache Nerven. Zumal diese Art der Gewalt, Vergewaltigung und Menschenhandel keine Fiktion der Autorin, sondern traurige Wahrheit ist, die immer wieder auf der Welt real geschieht.
Yasmin Angoe zeichnet eindrücklich nach, wie aus der 14-jährigen Aninyey, die aus ihrem ghanaischen Dorf entführt und als Sexsklavin nach Frankreich verkauft wurde, die Elite-Attentäterin Nena Knight wurde. Voller Wut und Rachegedanken. Die 31-Jährige arbeitet für das mächtige Geschäftssyndikat namens „The Tribe“. Ihr Codename Echo. Sie ist eiskalt, loyal und absolut tödlich. Doch als sie in Miami einen Bundesstaatsanwalt eliminieren soll, um einem neuen Mitglied von The Tribe einen Gefallen zu tun, widersetzt sie sich erstmals den Befehlen dieser Geheimorganisation. Denn sie erkennt, dass es sich bei diesem Gangster, der The Tribe beigetreten ist, um denselben Mann handelt, der ihr Dorf zerstören, die Bewohner massakrieren und sie in die Sexsklaverei verkaufen ließ. Nena kann der Versuchung der Rache nicht widerstehen ‒ und sie will es auch gar nicht. Sie muss nun alles aufbieten, um ihn zur Strecke zu bringen … Immer wieder wechselt Yasmin Angoe die Zeitebene. Das Schicksal der jungen Aninyey schildert sie aus der Ich-Perspektive, was die ihr zugefügten Traumata noch unmittelbarer werden lässt – und manchmal kaum zu ertragen sind. Ein Buch, das man sicherlich nicht mehr vergisst (E.B.)
Maylis de Kerangal – Kanus
Suhrkamp, 22 €
Stimmen stehen im Mittelpunkt dieser subtilen Geschichten. Und so unmerklich sich durch Betonungen, Hebungen oder Senkungen Stimmlagen ändern können, so ändern sich auch durch minimale Verschiebungen die Abläufe der Geschichten. Meistens haben diese Umschwünge tatsächlich mit der Stimme zu tun. Da ist die irritierte Frau, die feststellt, dass ihre Freundin Zoé plötzlich ein anderes Timbre in der Stimme hat, kaum wahrnehmbar, aber dennoch tritt eine gewisse Entfremdung ein. Da ist das Liebespaar in einer Fernbeziehung, dass sich akustisch nur übers Telefon kannte und nun feststellen muss, dass ihre Stimmen nicht kompatibel sind. Ein Mann zögert und zaudert, die Stimme seiner jüngst verstorbenen Mutter vom Anrufbeantworter zu löschen. Mit untrüglichem Gespür für winzige Frequenzstörungen gelingt es Maylis de Kerangal, ihren Erzählungen eine dichte Atmosphäre zu verleihen. In Frankreich längst ein Star, gilt es, diese bemerkenswerte Autorin in Deutschland noch zu entdecken. (H.O.)
Camilla Läckberg & Henrik Fexeus – Finsternebel
Knaur, 21 €
Nach Band 1 „Schwarzlicht“ gibt es nun mit „Finsternebel“ ein Wiedersehen mit einem außergewöhnlichen Ermittler-Duo. Kommissarin Mina Dabiri – sie hat pathologische Angst vor Keimen – und der Mentalist Vincent Walder starten in einem Wettlauf gegen die Zeit, um das Leben eines Kindes zu retten. In einem ähnlichen Fall war das Team um Mina zuvor gescheitert: Das verschwundene Kind wurde tot aufgefunden. Aber worum geht es? Ist ein Pädophilenring oder gar eine Sekte am Werk? Mentalist Walder erkennt allmählich ein Muster. Aber die Uhr tickt. Die höhere Mathematik gerät bei den Schilderungen vielleicht etwas zu langatmig, aber ansonsten bietet der über 700 Seiten starke Thriller alle Zutaten, die sich Spannungsliteratur-Fans nur wünschen können. Man darf auf den letzten Band der Trilogie gespannt sein. (E.B.)
Dan Martin – Von Pandabären verfolgt
Covadonga, 22 €
Dan Martin wurde oft als einer der letzten echten Romantiker im Profiradsport beschrieben. Mit unstillbarer Angriffslust hat der sympathische irische Kletterer von 2008 bis 2021 der Tour de France, den Klassikern und vielen anderen Rennen seinen Stempel aufgedrückt und zahllose Fanherzen erobert. Vorsichtiges taktisches Kalkül mit ständigem Blick auf die Wattzahlen am Lenker? Gott bewahre, Dan Martin fuhr am liebsten mit offenem Visier und rein nach Instinkt. Die Askese inhumaner Trainingslager in vulkanischer Einöde, um sich auf die Tour vorzubereiten? Nein, da schnappte er sich lieber sein Rad und erkundete in Begleitung seiner Frau auf eigene Faust die Bergetappen der großen Rundfahrten. Nun, da er seine Karriere beendet hat, kann Dan Martin die Geschichte seines turbulenten Radsportlebens erzählen. Seine Memoiren sprühen vor echtem Sportsgeist und genau der Courage, die ihn bereits als Rennfahrer ausgezeichnet hat. Wenn er seinen langen, harten Weg zum Siegfahrer und die Höhe- und Tiefpunkte seiner Laufbahn rekapituliert, beschreibt er anschaulich die packende Auseinandersetzung mit den vielen Ängsten, die den Radsport zu einer so grausamen und zehrenden Angelegenheit machen – und auch seine obsessive Beziehung zu einem mysteriösen Pandabären.
Anders Roslund – Engelsgabe
Ullstein, 16,90 €
Das Beklemmende an diesem Kriminalroman ist, dass die geschilderten Verbrechen so oder in anderer Form immer wieder und überall geschehen. Zwei jungen Frauen wird eine blühende Zukunft im Ausland versprochen – doch als sie in Stockholm ankommen, offenbart sich der Albtraum, in dem sie gefangen sind: Sie werden in einer Wohnung eingesperrt und müssen ihre Körper für Sex verkaufen. Wenn sie nicht mehr rentabel sind, müssen sie das Letzte opfern, was ihnen geblieben ist: ihre Organe. Kriminalkommissar Ewert Grens setzt alles daran, dieser brutalen Ausbeutung ein Ende zu bereiten. Eine Spur weist in die polizeieigenen Reihen und Grens muss schmerzlich erfahren, dass der Feind manchmal näher ist, als er glaubt. Anders Roslund hat glaubhafte Charaktere geschaffen, die sehr menschlich daherkommen – mit allen Fehlern und Schwächen. Da bleibt man gern über 500 Seiten dabei. (E.B.)