Der Mai zeichnet sich durch viele Feiertage aus – wunderbare Lese-Zeit. Wir haben da ein paar Ideen für Sie.
Barbara Kingsolver – Demon Copperhead
dtv, 26 €
Warum dieser Roman allenthalben mit dem Klassiker „David Copperfield“ von Charles Dickens verglichen wird, liegt auf der Hand: Da ist schon mal die Namensähnlichkeit der Protagonisten. Aber auch sonst gibt es starke Parallelen. Beide sind pubertierende Jungs, die in prekären Familienverhältnissen aufwachsen. Demon Copperheads Vater ist tot, die Mutter ist haltlos, alkohol- und medikamentenabhängig, hat einen sicheren Griff für cholerische, prügelnde Männer und landet gelegentlich in der Psychiatrie. Das Jugendamt reagiert, bringt Demon zu einem verwitweten Landwirt, auf dessen Hof schon andere Jugendliche arbeiten.
Der gewichtige Roman erlaubt einen schonungslosen Blick in die Unterschicht zu Menschen, denen schon von Geburt an das Loser-L auf der Stirn steht. Und doch blitzt selbst in tristesten Momenten immer wieder leidenschaftliche Sprachpoesie auf. Berührend. (H.O.)
Cara Hunter – Murder in the Family
dtv, 14 €
Vielleicht ist die Rubrik Thriller nicht ganz glücklich gewählt. Denn es handelt sich nicht um einem Spannungsroman im klassischen Sinne. Aber am besten von vorn: Es war ein Fall, der die ganze Nation bewegte und doch nie aufgeklärt wurde: Dezember 2003, Luke Ryder wird ermordet im Garten des Familienhauses in London aufgefunden und hinterlässt eine wohlhabende ältere Witwe und drei Stiefkinder. Niemand hat etwas gesehen. Doch jetzt, Jahre später, werden die Geheimnisse live vor der Kamera gelüftet. Eine Gruppe von Experten untersucht in der True-Crime-Show „Infamous“ erneut die Beweise.
Durch einen Mix aus Skripten, Zeitungsartikeln, Chatverläufen und Beweisstücken aller Art erhält die Leserschaft die Informationen genau zur selben Zeit wie die Experten, sodass man gleich selbst mit ermitteln kann. Also, wer Lust hat mitzuraten und wen die detailverliebten Regieanweisungen der Fernseh-Show nicht stören, für den ist Murder in the Family genau das Richtige. (E.B.)
Fien Veldman – Xerox
Hanser, 23 €
Da denkt die namenlose Romanheldin, sie hat es geschafft. Weg von den trostlosen Randbezirken ins hippe Stadtzentrum Amsterdams und das auch noch zu einem jungen Start-up-Unternehmen. Doch schon bald merkt sie, wie trostlos auch dieser McJob ist. Sie darf die niederen Arbeiten ausführen, Mails beantworten und vor allem Kopien ausdrucken, ihr einziger Freund scheint der pannenanfällige Drucker zu sein. Ihre KollegInnen benennt sie nach ihrer Funktion: „Produkt“, oder „Marketing.“ Über den einzigen richtigen Namen und damit auch Persönlichkeit verfügt besagter Drucker, der dem Roman auch gleich seinen Titel verlieh.
Fien Veldman gelingt es hervorragend, die scheinbar so fürsorgliche, aber in Wahrheit klischeestrotzende „Corporate Speech“ dieser Jungdynamiker-Start-ups aufzugreifen und zu persiflieren. Eine höchst subversive Kapitalismus-Analyse. (H.O.)
Nicci French: Blutsbande
C. Bertelsmann, 17 €
Das Bestseller-Duo ist ein Garant für spannende Thriller mit cleveren Wendungen. Und auch „Blutsbande“ ist bestes Beispiel dafür. Im Dezember 1990 mitten in der weiten, sumpfigen Landschaft der englischen Ostküste versammelt sich ein ganzes Dorf zu einer Geburtstagsfeier. Nur Charlotte, die Frau des Jubilars, fehlt. Niemand scheint sich ernsthaft Sorgen zu machen. Nur Tochter Etty fürchtet, dass ihrer Mutter etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte. Die Familie wartet mit banger Hoffnung, dass Charly wieder auftaucht. Doch sie bleibt verschwunden, dafür wird wenig später die Leiche eines anderen Dorfbewohners im Fluss gefunden. Angeblich hat er mit Charlotte eine Affäre gehabt. Der Tratsch im Dorf macht Etty und ihren Brüdern zu schaffen, aber schon bald wird der Fall zu den Akten gelegt.
Rund 30 Jahre später kehrt Etty an den Ort ihrer Kindheit zurück, um gemeinsam mit ihren Brüdern ihr Elternhaus auszuräumen, weil der Vater in ein Pflegeheim muss. Die Ereignisse von damals haben die Familie zerrüttet. Als im Dorf erneut ein furchtbares Verbrechen geschieht, wird Detective Maud O’Connor mit dem Fall beauftragt. Schon bald deutet sich an, dass es eine Verbindung zu Charlys Verschwinden gibt. (E.B.)
Ulf Kvensler – Der Ausflug
Penguin, 17 €
Sie sind eine eingeschworene Gemeinschaft: Jedes Jahr fahren die Anwältin Anna, ihr Verlobter Henrik und ihre beste Freundin Milena in den Norden Schwedens zum Wandern. Dieses Jahr will Milena spontan eine Woche vor Abfahrt ihren neuen Freund mitbringen. Anna und Henrik sind skeptisch, stimmen der Planänderung jedoch zu. Jacob ist ihnen auf Anhieb unsympathisch. Anna meint, ihn schon mal vor Gericht erlebt zu haben – angeklagt wegen schwerer Körperverletzung. Sie beginnt, obsessiv zu recherchieren, solange sie noch Netz hat. Ihr Misstrauen wächst, aber ist ihr Verdacht berechtigt?
Als Jacob von der zuvor ausgearbeiteten Route abweicht und die Wanderer zu immer waghalsigeren Abstechern herausfordert, wird es für alle lebensgefährlich. Aber ein Zusammenhalt ist in der Wildnis unabdingbar. Schließlich geht es um das nackte Überleben. Ulf Kvensler weiß definitiv, wie Spannung geht und hat einen Thriller der Extraklasse geschrieben. (E.B.)
Michael Lentz – Heimwärts
S. Fischer, 24 €
Die eigene Kindheit lässt uns ein Leben lang nicht los. Michael Lentz erinnert sich besonders intensiv an das Aufwachsen in der alten Bundesrepublik. Der Blick auf die Eltern, die manchmal wie Wesen vom anderen Stern erscheinen. Die Art, wie sich ein Kind das eigene Umfeld erschließt, im Haus Geheimnisse und Verbotenes entdeckt. Vieles wird LeserInnen der Altersgruppe des Autors vertraut vorkommen. Einen zusätzlichen Reiz erhält der Roman durch eine zweite Ebene: die Einbeziehung der eigenen Vaterrolle und den Wunsch, ein besserer Vater als der eigene zu sein. (S.G.)
Tipp: Am 12. Mai um 18 Uhr liest Michael Lentz im Marta Herford im Rahmen des Musik- und Literaturfestivals „Wege durch das Land“ aus seinem aktuellen Roman. Außerdem liest Schauspieler Christian Erdmann Dževad Karahasans Erzählung „Samtblumen an ihrer statt“ und Improvisationskünstler Gunnar Geisse umrahmt den Abend musikalisch.
Maz Evans – Over My Dead Body
Piper, 16 €
Dr. Miriam Price kann ihr Pech nicht fassen: Als die etwas unwirsche Ärztin aufwacht, muss sie nämlich entsetzt feststellen, dass sie tot ist! Irrtümlicherweise scheinen alle davon überzeugt zu sein, dass Miriam sich das Leben genommen hat. Dabei weiß sie ganz genau, dass sie ermordet wurde. Um nicht für ein halbes Jahrhundert in die langweilige Vorhölle zu kommen, muss Miriam irgendwie beweisen, dass sie getötet wurde. Gar nicht so einfach, wenn man ein Geist ist! Und ausgerechnet ihre Nachbarin Winnie, mit der sie zu Lebzeiten eine leidenschaftliche Feindschaft pflegte, ist die Einzige, die ihr helfen kann. Maz Evans stellt eindrücklich unter Beweis, dass britischer Humor umwerfend sein kann.
Ihr Debüt als Krimi-Autorin ist überaus gelungen, im besten Sinne mordskomisch – und geht dabei sogar ein wenig zu Herzen. Obgleich eine Britin sich doch niemals freiwillig auf eine solch emotionale Schiene einlassen würde. Wahrscheinlich wurde Maz Evans beim Schreiben mit einer geladenen Pistole bedroht. (E.B.)
Sebastian Fitzek – Der erste letzte Tag
Droemer, 16 €
Livius Reimer steht mächtig unter Strom. Er hat in Berlin einen wichtigen Termin mit einem Verlag, der mit dem Gedanken spielt, sein Debüt zu veröffentlichen – und zeitgleich er will seine Ehe retten. Der erste Termin bei der Paartherapie steht an. Unglücklicherweise sucht ein Schneesturm die bayerische Hauptstadt heim und der Flug wird annulliert. Der Run auf die wenigen verbliebenen Mitwagen hat zur Folge, dass sich Livius ein Auto mit einer jungen Frau teilen muss. Lea ist schräg und laut. Unter normalen Umständen wären sich die beiden nie begegnet, aber jetzt machen sie sich gemeinsam auf den Weg und schon bald wagen sie einen Selbstversuch, der beider Leben auf den Kopf stellt:
Sie verbringen diesen Tag, als wäre es ihr letzter auf diesem Planeten. Dass Fitzek auch anderes kann als blutrünstige Thriller beweist er mit „Der erste letzte Tag“. Es darf gelacht werden, aber auch nachdenkliche Saiten kommen zum Klingen. Und das macht Fitzek richtig gut. Jetzt endlich als Taschenbuch. (E.B.)
Thommie Bayer – Einer fehlt
Piper, 24 €
Georg, Paul und Schubert haben sich auf einer Reise nach Italien in den 1970ern kennengelernt – und sind seither befreundet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass alle drei in dieselbe Frau verliebt waren und sind. Carolin war erst mit Paul, dann mit Georg zusammen und mit Schubert ist sie nun verheiratet. Die Männer haben im Laufe der Jahrzehnte gelernt, sich zu verzeihen. Als Georgs Frau, die die alten Freunde nicht besonders schätzten, die aber von Georg vergöttert wurde, plötzlich verstirbt, machen sich Paul und Schubert Sorgen um ihren alten Freund. Denn telefonisch ist er nicht erreichbar. Sie machen sich umgehend auf den Weg noch Wien. Doch auch treffen sie ihn nicht an.
Eine Spur führt nach Italien und die beiden machen sich dort auf die Suche. Geschickt verwebt Thommie Bayer Vergangenes mit der Gegenwart und lässt die beiden Ü70-Jährigen mit leichter Feder und Tiefgang über das Leben und Freundschaft reflektieren. (E.B.)
Jørn Lier Horst – Wisting und die Stunde der Wahrheit
Piper, 15 €
So ging es also los mit Wistings Karriere. 1983, Wisting ist gerade Vater von Zwillingen geworden, arbeitet als Streifenpolizist und übernimmt jede Menge Extraschichten, um die Existenz der jungen Familie zu sichern. Aber eigentlich träumt er von einer Karriere als Ermittler bei der Mordkommission. Als er während seiner Schicht einen Bankräuber verfolgt, aber dessen Flucht nicht verhindern kann, übernehmen erfahrenere Kollegen diesen Fall. Frustriert befasst er sich auf eigene Faust mit einem Oldtimer aus den 1920ern, den er zufällig in einer Scheune entdeckt. Sein kriminalistischer Spürsinn wird geweckt, denn das Fahrzeug weist Einschusslöcher auf.
Wisting stürzt sich in die Ermittlungen und erhält schon bald die Unterstützung seines Vorgesetzten, denn der vermeintliche Cold Case wird durch jüngste Ereignisse wieder zu einem ganz heißen Fall. (E.B.)