Die Blätter fallen und es wird rasch dunkel. Die beste Zeit, um in die Welt der Bücher abzutauchen.
Ulrike Edschmid – Die letzte Patientin
Suhrkamp, 23 €
Man könnte die Protagonistin, die 1973 in die Frankfurter WG der Erzählerin zieht, für eine rastlose Getriebene halten. Vielleicht ist sie das auch. Jedenfalls könnte man ihre haltlosen Reisen durch die Welt und die zahllosen Liebesversuche für eine geradezu psychomotorische Unruhe halten.
Vielleicht ist es aber auch ein unbändiger Lebenshunger und verzweifelte Sinnsuche, Man ist versucht, die knappe Figurenzeichnung und die ständig wechselnden Schauplätze für journalistische Kolportage zu halten, doch der Stil von Ulrike Edschmid trägt auch jede Menge Poesie in sich. Schließlich kommt die Protagonistin zur Ruhe, lässt sich als Trauma-Therapeutin nieder. Doch schon bald kommt eine Patientin in ihre Praxis, die sie vor eine ungeheure Herausforderung stellt. Nur 112 Seiten hat dieser Roman, aber er wirkt intensiv wie ein Epos. (H.O.)
C.K. McDonnell – Bunny McGarry glänzt durch Abwesenheit
Eichborn, 18 €
Dublin ist ein heißes Pflaster – besonders in diesem Sommer. Ein Killerkommando hat es auf die skrupellosen Profiteure der irischen Wirtschaftskrise abgesehen. Derweil hat Paul Mulchrone ganz andere Sorgen: Kaum hat er seine eigene Detektei gegründet, steht er ohne Partner da. Brigit spricht aus guten Gründen kein Wort mehr mit ihm – und Bunny McGarry ist wie vom Erdboden verschluckt. Wohin ist er verschwunden, und was hat seine bewegte Vergangenheit damit zu tun? Durch die Suche nach dem Ex-Polizisten kommen sich Paul und Brigit wieder näher.
Tatkräftige Unterstützung erhalten sie von der ehemaligen Polizeihündin Maggie, die nicht nur eine eiserne Namenspatin hat, sondern auch ein gutes Pint zu schätzen weiß. Ein zum Schreien komischer und zugleich spannender Lesespaß vom Erfinder der „Stranger Times“-Serie. Absolute Leseempfehlung. (E.B.)
Margot Douaihy – Verbrannte Gnade
Blumenbar, 23 €
Als sich Schwester Holiday heimlich eine von ihren Schülern konfiszierte Zigarette genehmigt, wird sie Zeugin, wie der Hausmeister ihrer Klosterschule aus dem Fenster des urplötzlich brennenden Gebäudes stürzt. Ist er voller Panik gesprungen oder wurde dabei nachgeholfen? Holiday, ein junge Ordensschwester mit bewegter Vergangenheit als Musikerin einer Punk-Band, ermittelt auf eigene Faust, denn ihr Vertrauen in die Kompetenz der lokalen Behörden hat Grenzen. Vor der Kulisse der ewig schwül-heißen Südstaaten-Stadt New Orleans entwirft Margot Douaihy eine verschlungene Geschichte voller Verdächtigungen und Geheimnisse mit einer ungewöhnlichen wie coolen Hauptfigur. Gern mehr davon! (E.B.)
Marie Aubert – Eigentlich bin ich nicht so
Rowohlt, 22 €
Ob Geschwisterrivalität oder Ehekrise – Familienfeste sind der Anlass, bei dem vieles, was schon lange unter der Oberfläche brodelt, auszubrechen droht. Aus der wechselnden Perspektive von vier Beteiligten erzählt die norwegische Autorin einfühlsam von Geheimnissen, Wünschen und Ängsten. Wie sehen wir uns selbst, wie sehen uns die anderen und können wir aus festgeschriebenen Rollen ausbrechen? Ganz ohne den großen Knall, aber dafür nah dran am echten Leben nimmt das Drama seinen Lauf. (S.G.)
Marica Bodrožić – Das Herzflorett
Luchterhand, 24 €
Kein leicht zugänglicher Roman, denn der Stil der vielfach preisgekrönten Autorin hat eine eindeutige Affinität zur Poesie. Es braucht ein bisschen, um sich einzulesen und sich die Welt der jungen Pepsi zu erschließen. Und damit geht es den Lesenden wohl ähnlich wie der Heldin des Romans, deren Familie aus Dalmatien in ein Dorf im Taunus ausgewandert ist. Vieles bleibt Pepsi fremd und die Eltern, deren Leben nur aus zermürbender Arbeit besteht, verstehen ihre rebellische Tochter nicht, reagieren mit Bestrafung und Bösartigkeiten auf ihr Anderssein. Einzige Rettung: die deutsche Sprache und die Flucht in die Welt der Bücher und Buchstaben. (S.G.)
Sara Strömberg – Im Unterholz
blanvalet, 16 €
Im hohen Norden Schwedens ticken die Uhren – und auch die Menschen – anders als in der Hauptstadt Stockholm. Vera Bergström hat ihren Job als Journalistin verloren. Die Lokalredaktion wurde wegrationalisiert. Seither schlägt sie sich als Schulbegleiterin durch und kämpft gegen ihre Verbitterung an und dagegen, sich alt und nicht mehr gebraucht zu fühlen. Als unter einem Hochsitz in den einsamen Wäldern die Leiche einer Frau gefunden wird, die grausam ihr Leben verlor, lässt das Vera zunächst kalt. Doch dann bittet ihr ehemaliger Chef sie, ihm die Hintergrundstorys zur Tat liefern. Eher widerwillig, glaubte sie doch mit dem Kapitel abgeschlossen zu haben, macht sich Vera an die Arbeit. Erst als sie einige dunkle Geheimnisse der Verstorbenen aufdeckt und es sich nicht um die erwartete „Opferstory“ handelt, ist Veras Spürsinn geweckt.
Sie macht sich konsequent ans Werk und erfährt mehr als ihr lieb ist. Ein Krimi, den man nur äußerst ungern aus der Hand legt. Zwar ist es keine neue Idee in der Kriminalliteratur, eine Journalistin ermitteln zu lassen, aber wie Sara Strömberg ihre Protagonistin Vera Bergström agieren lässt, das ist zutiefst menschlich und glaubhaft. Eine Frau mit Ecken und Kanten.
„Im Unterholz“ wurde von der Schwedischen Krimiakademie zum besten Debüt des Jahres gekürt. 2022 folgte der zweite Band der Serie, der als bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet wurde. Strömbergs Romane werden von den Produzenten der „Millenium“-Reihe verfilmt. (E.B.)
Erwin Grosche & Gennadi Isaak – Monster Monster
Verlag Akademie der Abenteuer, 27 €
Diese Monster muss man einfach liebhaben – auch wenn sie sich alle Mühe geben, Angst und Schrecken zu verbreiten. Erwin Grosche macht sich auf ihre Allgegenwart einen Reim. Sucht sie im Kleiderschrank und unterm Bett und fühlt sich mit viel Humor in Kinderängste ein. Und falls die eigentlich sehr sympathischen Monster-Illustrationen von Gennadi Isaak doch mal das Fürchten lehren, hilft bestimmt der Monster-Abwehr-Spruch: „Alle Monster sollen weichen / sich aus meinem Zimmer schleichen / nicht mehr kommen und erschrecken / lass mich schlafen, bloß nicht wecken!“ Nicht nur rund um Halloween ein wunderbares Buch für alle großen und kleinen Kinder ab fünf Jahren. (S.G.)
Zoë Beck – Brixton Hill
Suhrkamp, 14 €
„Es ist nicht der Aufprall, an den man sich später erinnert. Was man immer wieder vor sich sehen wird, ist der Moment des freien Falls.“ Ein Thriller mit einem furiosen Auftakt – zunächst aus der Sicht von Kimmy. Ein Frau, die sicherlich nicht lebensmüde ist, aber mit einem Trauma aus der Vergangenheit zu kämpfen hat, das ihr letztlich zum Verhängnis wird. Mit einem geschickten Perspektivwechsel leitet Zoë Beck zu ihrer Protagonistin Emma Vine über. Eine, die alles erreicht hat, was man als Eventmanagerin in London erreichen kann: Sie organisiert die schillerndsten Partys, vertritt die größten Stars und hat die wichtigsten Kunden im Portfolio. Ruft ihr Erfolg Neider auf den Plan?
Als ihre Firma in Canary Wharf einer Cyberattacke zum Opfer fällt, erkennt Emma, dass jemand hinter ihr her ist. Und dieser Jemand belässt es nicht bei einer Attacke, sondern lenkt den Verdacht der Polizei auf Emma, die nun ihre Unschuld beweisen muss. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Die Wiederauflage des Thrillers ist ganz großes Kino. (E.B.)