Wollen wir hoffen, dass sich der Lese-Sommer nicht „nur“ durch die zahlreichen tollen Neuerscheinungen, sondern auch wettermäßig deutlich vom Herbst unterscheidet. Wir wünschen Ihnen & Euch und uns einen großartigen Sommer!
Andrea De Carlo: Margherita und der Mond
Diogenes, 18 €
Margherita hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater. Der einstige Sterne-Koch, der durch seinen Starrsinn Restaurant und Ruf vor die Wand gefahren hat, nimmt seine Tochter, selbst erfolgreiche Köchin mit eigenem Restaurant, gar nicht wahr. Dennoch begleitet sie ihn zu einer TV-Koch-Show und hofft darauf, dass Ungesagtes endlich ausgesprochen wird. Die Fahrt nach Mailand gerät zum emotionalen Fiasko und dennoch erlebt Margherita magische Momente. Zauberer Jules stellt ihr Leben auf den Kopf. Eine eindringliche Familien- und eine zauberhafte Familiengeschichte. Lesen! (E.B.)
Steffen Kopetzky: Monschau
Rowohlt Berlin, 22 €
Die besondere Fähigkeit von Steffen Kopetzky ist es, seine Romane auf der Grundlage genau recherchierter historischer Ereignisse aufzubauen. So war es mit seinem Roman „Propaganda“, der auf der Folie der blutigen Schlacht zwischen Deutschen und Amerikanern im Hürttgenwald im Herbst 1944 spielt, so ist es auch jetzt mit „Monschau“, dem Eifelstädtchen, gar nicht so weit vom Hürttgenwald entfernt. Anlass auch hier ein tatsächlicher Vorfall, der Ausbruch einer Pocken-Epidemie im Jahre 1962. Nur mit Mühe und Konsequenz gelang es seinerzeit, eine Pandemie zu verhindern. Natürlich liest man den Roman mit all den Parallelen zur momentanen Situation im Kopf, bewundert aber gleichzeitig die Virtuosität, mit der Kopetzky dokumentarisch belegte Fakten und Figuren aufruft und präzise mit Fiktion verzahnt. Sogar eine hübsche Liebesgeschichte findet hier ihren Platz. Brillant! (H.O.)
Veronika Rusch: Der Tod ist ein Tänzer
Piper, 12,90 €
Der erste Teil der Josephine-Baker-Verschwörung entführt den Leser direkt ins Berlin der aufregenden 1920er Jahre. Als eine der quirligsten Metropolen der Welt hat die glamouröse Stadt freilich auch viele Schattenseiten. Armut, Kriminalität und immer stärker werdende antidemokratische, antisemitische und rechtsextreme Kräfte. Das weltoffene Berlin freut sich hingegen auf den neuen Star aus den Staaten. Doch Josephine Baker, die mit ihrer neuartigen Art des Tanzens in aller Munde ist, macht sich mit ihrer „Neger Revue“ – wie es 1926 hieß – nicht nur Freunde. Ein Anschlag auf Leib und Leben der Künstlerin wird befürchtet und Tristan Nowack soll Josephine im Auftrag des „roten Grafen“ beschützen. Was noch niemand ahnen kann, der Anschlag gilt nicht nur einer Frau, sondern soll die noch junge Republik destabilisieren. Veronika Rusch ist ein großartiger historischer Kriminalroman gelungen: tolles Setting, vielschichtige, interessante Charaktere und ein spannender Plot. Das macht Lust auf den 2. Band der Trilogie, „Die Spur der Grausamkeit“, der bereits im Juni erscheint. (E.B.)
Angelika Jodl: Laudatio auf eine kaukasische Kuh
18 Euro, Eichborn
Manchmal liegt es vor allem am ungewöhnlichen Cover, dass die Neugierde auf ein Buch geweckt wird. Hier hält die gelungene Gestaltung, was sie verspricht. Humorvoll und locker-leicht erzählt, ist der Roman eine unterhaltsame Mischung aus Liebesgeschichte, Road-Trip und Identitätssuche. Die perfekte Strandlektüre mit genau dem richtigen Maß an Tiefgang. Denn so ganz nebenbei vermittelt der Roman einiges über die Geschichte, Sprache und Kultur Georgiens. Die Hauptfigur Olga nämlich ist Tochter georgischer Migranten. Als Ärztin hat sie den Aufstieg geschafft und sieht sich selbst als durch und durch deutsch. Wie viel Georgien dennoch in ihr steckt, erfährt sie bei einem Besuch in der Heimat. Dort steht sie auch noch vor der Frage, wer der richtige Mann für sie ist: ihr Verlobter Felix, der als Arzt erfolgreich, als Mensch aber ziemlich steif und langweilig ist – oder der chaotische Lebenskünstler Jack, der ihr unbeirrt bis nach Tiflis folgt. (S.G.)
Johann Scheerer: Unheimlich nah
Piper, 22 €
Johann darf keinen Schritt allein unternehmen. Immer sind Sicherheitsleute um ihn herum. Auf dem Weg zur Schule, bei Treffen mit Freunden und den ersten Begegnungen mit Mädchen. Als Teenager findet er das gar nicht cool, sondern vor allem total peinlich. Er versucht die Totalüberwachung, der er seit der Entführung seines Vaters ausgesetzt ist, zu verheimlichen. Das führt zu absurden Geschichten und Johann verstrickt sich immer mehr in fadenscheinigen Ausreden und Notlügen. Das ist für ihn ungeheuer belastend – aber nach und nach strampelt er sich frei und findet seinen Weg. Ein Roman, der bedrückend und komisch zugleich sein kann. (E.B.)
John Grisham: Der Polizist
Heyne, 24 €
Hier ist Grisham wieder in seinem Element: Ein Fall, der nach den Buchstaben des Gesetzes glasklar ist, aber selbstverständlich eine moralische Komponente enthält. Stu Kofer ist ein gewalttätiger Alkoholiker, der regelmäßig seine Lebensgefährtin und deren Kinder verprügelt. An diesem Abend ist es besonders schlimm. Kofer ist sternhagelvoll, schlägt Josie bewusstlos, die Kinder, die sich in der ersten Etage des Hauses vor lauter Angst eingeschlossen haben, glauben, dass ihre Mutter tot ist. Kofer kommt die Treppe hoch, er ruft nach ihnen. Dann ist es plötzlich still. Die Kinder eilen zu ihrer Mutter in die Küche, finden keinen Puls. Während Kiera den Notruf wählt, geht ihr Bruder Drew in Kofers Schlafzimmer, wo dieser seinen Vollrausch ausschläft, nimmt seine Dienstwaffe und erschießt ihn. Drew ist 16 Jahre alt und Kofer war Polizist. Die Stadt will den Schuldigen bestrafen. Jake Brigance (bekannt aus „Die Jury“ und „Die Erbin“) muss als Pflichtverteidiger in diesem aufsehenerregenden Mordprozesses in Clanton, Mississippi fungieren und riskiert damit nicht nur seine Karriere. Denn die Mehrheit der Bevölkerung im erzkonservativen Bible Belt fordert die Todesstrafe für den Jungen. Ein packender Justiz-Thriller – und ein erhellender Einblick in die Seele der Südstaaten. (E.B.)
Gerhard Henschel: SOKO Fußballfieber
Hoffmann und Campe, 18 €
Vier Fifa-Funktionäre sterben eines gewaltsamen Todes: in Uelzen, in Seoul, in einem argentinischen Nationalpark und in Piräus. Und das ist erst der Auftakt einer Serie grausamer Morde. In Athen tritt eine internationale Sonderkommission zusammen, der sich auch Kommissar Gerold Gerold und Kommissarin Ute Fischer aus Uelzen anschließen. Wie sich zeigt, helfen in diesem Fall nur außergewöhnliche Methoden. Kommissarin Fischer wird als verdeckte Ermittlerin in die Zürcher Fifa-Zentrale eingeschleust, und Kommissar Gerold verfolgt eine Spur, die ihn nach Hannover, Greetsiel, Casablanca und immer weiter um die Welt führt.
Die Fifa ist natürlich an sich schon eine Groteske, das kann literarisch-satirisch kaum noch getoppt werden. Henschel startet den Versuch – und schießt für meinen Geschmack manchmal etwas über das Ziel hinaus. (E.B.)