Alles neu macht der Mai – auch im Bücherschrank. Wir haben da mal ein paar Lese-Tipps vorbereitet.

Doris Dörrie – Die Heldin reist

Diogenes, 22 €

Mittlerweile sind die Heldenreisen auch beim Unternehmenscoaching schwer angesagt, in Film und Literatur gibt es sie schon lange: Der Held muss in die weite Welt hinaus und Abenteuer erleben, um ein Held zu werden – und um eine Geschichte zu haben. Doris Dörrie stellt die Frage: Was aber ist mit den Heldinnen? Sie erzählt mit frappierender Offenheit von drei Reisen: nach San Francisco, nach Japan und nach Marokko, schildert eigene Ängste, reflektiert, was Unabhängigkeit und Reiselust bedeuten. Und all das geht ihr mit leichter Feder von der Hand, obgleich die Geschichten dahinter von existenzieller Tiefe sind. Ein inspirierendes Mutmacher-Buch. (E.B.)

Jens Henrik Jensen – OXEN Noctis

dtv, 16,95 €

Im 5. Band der Oxen-Reihe wird der einstige Elite-Soldat Niels Oxen auf eine harte Probe gestellt. Eigentlich könnte alles so schön sein. Dank der Unterstützung einer Psychologin bekommt Oxen seine Flashbacks und Albträume besser in den Griff. Er arbeitet als Mentor für ehemalige Soldaten, die – wie er – unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Doch dann werden sieben Veteranen bei einer Exkursion von einem Heckenschützen ermordet. Ex-Geheimdienst-Chef Mossman bittet ihn um Unterstützung. Und weil auch Margrethe Franck mit im Team ist, sagt Oxen zu. Nicht ahnend, dass er bei diesem Fall noch deutlich mehr als „nur“ seine eigene psychische Gesundheit aufs Spiel setzt. Der neue Thriller von Jens Henrik Jensen ist wieder hochspannend, keine Frage, aber der Autor verstrickt sich ein wenig im Geheimdienstdschungel und bringt leider nicht alle losen Enden am Schluss zusammen. (E.B.)

Damon Galgut – Das Versprechen

Luchterhand, 24 €

Schauplatz ist Südafrika: Auf einer Farm außerhalb Pretorias kommt die Familie Swart zusammen, um die 40-jährige Rachel, Mutter von drei Kindern, zu beerdigen. Amor, Anton und Astrid können sich nicht damit abfinden, dass ihr Vater den letzten Willen der Mutter ignoriert. Rachel hatte verfügt, dass das Haus, in dem ihre schwarze Angestellte Salome wohnt, in deren Besitz übergeht. Damon Galgut zeichnet über einen Zeitraum von 30 Jahren – von der Apartheid bis zum demokratischen Umbruch des tief gespaltenen Landes – die Lebenswege der drei Geschwister nach, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Obwohl es bisweilen ein bisschen zu verkopft wirkt, geht die Geschichte unter die Haut und weckt bei deutschsprachigen Lesern ein Verständnis dafür, warum es sich mit der Aussöhnung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land am Kap auch nach vielen Jahren so schwierig gestaltet. (E.B.)

Arttu Tuominen – Was wir verschweigen

Lübbe, 16 €

Im finnischen Pori wird an einem stürmischen Herbsttag bei einem Saufgelage in einem Wochenendhaus ein sturzbetrunkener Mann mit mehreren Messerstichen ermordet. Ein typisch finnischer Mord – so der lakonische Kommentar der hinzugerufenen Kommissare. Der Fall scheint  schnell gelöst: Im nahe gelegenen Wald wird noch am gleichen Abend ein verdächtiger Mann festgenommen, den aber angeblich niemand der in der Mordnacht Anwesenden kannte. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sich der Festgenommene und das Opfer bereits aus Schultagen kannten. Und für den Ermittler Jari Paloviita entpuppt sich der Mord als schwierigster Fall seines Lebens. Der Verdächtige war in der Jugend sein allerbester Freund. Und Jari Paloviita verdankt ihm sein Leben …

Was als solider Kriminalroman beginnt, wird im weiteren Verlauf der Geschichte ein großartiger Entwicklungsroman mit raffinierten Wendungen. Arttu Tuominen zeichnet ein düsteres Bild der finnischen Gesellschaft, in der seine fiktiven Charaktere mit Alkohol und Gewalt zu kämpfen haben. Unbedingt lesen. (E.B.)

Fran Lebowitz – New York und der Rest der Welt

Rowohlt Berlin, 22 Euro

Wir wussten es schon immer: Böse Mädchen haben mehr Spaß und es macht auch mehr Spaß, ihre Bücher zu lesen. Ob lustige Listen, nützliche Ratschläge oder kleine Geschichten – eines haben alle in diesem Band versammelten Texte der Kultautorin gemeinsam: Sie sind frech (manchmal fast fies), aber immer sehr amüsant. Kleine Kostprobe gefällig? „Bist Du als Teenager mit ungewöhnlich gutem Aussehen gesegnet, dann dokumentiere diesen Zustand mit Fotografien. Nur sie gewährleisten, dass dir das jemand später noch glaubt.“ Und ihr unschlagbarer Rat für Eltern lautet: „Fragen Sie Ihr Kind nur dann, was es zum Abendessen möchte, wenn es die Rechnung übernimmt.“ Ob satirische Sentenzen, Alltagsbeobachtungen oder pointierte Weltweisheit: Fran Lebowitz verfügt eindeutig über die 3 S: Scharfsinn, Schlagfertigkeit und Sprachwitz. Einziges kleines Manko: Manchen Texten, von denen einige ursprünglich bereits in der 70er-, 80er- und 90er-Jahren erschienen sind, merkt man ihr Alter an. Aber komisch sind sie immer noch. (S.G.)

Pip Williams – Die Sammlerin der verlorenen Wörter

Diana, 22 Euro

Das „Oxford English Dictionary“ ist vielleicht am ehesten mit dem „Deutschen Wörterbuch“ der Gebrüder Grimm zu vergleichen. Ein echtes Mammutprojekt, das nicht nur die Wörter der englischen Sprache aufführt, sondern auch Beispiele für ihre Verwendung. Dessen Entstehungsgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts hat Pip Williams gründlich recherchiert und erzählt vor diesem Hintergrund die Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung. Ihre Heldin Esme, der auffällt, dass besonders Wörter, die Frauen betreffen, nicht aufgenommen werden, ist zwar erfunden. Viele historische Fakten aber stimmen – von den Gelehrten, die an dem Wörterbuch arbeiten, bis zum Kampf der Suffragetten um das Wahlrecht. So gelingt es der Autorin, ein Gefühl für die Zeit zu vermitteln und zugleich ein fesselndes, wenn auch manchmal etwas klischeehaftes Frauenporträt zu zeichnen. (S.G.)

Horst Eckert – Das Jahr der Gier

Heyne, 13 €

Horst Eckert ist der Spezialist für ausgefeilte Polit-Thriller. Dieses Mal hat er sich den Wirecard-Skandal vorgenommen und bravurös in bester Roman-Manier aufbereitet. Bereits zum dritten Mal schickt er die Düsseldorfer Kriminalrätin Melia Adan und Hauptkommissar Vincent Veih ins Rennen. Die haben es mit einem Messer-Angriff auf den britischen Journalisten Oscar Ravani zu tun. Ein rassistisch motiviertes Attentat? Als Adan und Veih die Aussagen noch einmal unter die Lupe nehmen wollen, ist ein vermeintlicher Zeuge plötzlich unauffindbar. Ravani selbst schweigt. Mit seinen Recherchen zu einem großen Finanzdienstleister könnte er sich allerdings Feinde gemacht haben. Die Firma gilt als deutsches Vorzeigeunternehmen mit engen Kontakten zur Politik. Wie viel an dieser brisanten Story ist wahr? Das wiederum fragen sich nicht nur die Ermittler in diesem Buch … (E.B.)

Barbara Honigmann – Unverschämt jüdisch

Hanser, 20 Euro

Ist es „un-verschämt“, sein Judentum selbstbewusst und offen leben zu wollen? Es nicht verschämt zu verstecken? Der mehrdeutige Titel bringt die Suche der Autorin auf den Punkt: Was bedeutet es, jüdisch zu sein? Diese Frage hat Barbara Honigmann, die 1949 in Ost-Berlin geboren wurde, ihr ganzes Autorinnen-Leben lang beschäftigt. In ihren autobiographisch geprägten Romanen ebenso wie in der Auseinandersetzung mit dem Werk anderer SchriftstellerInnen von Kafka bis zu Ricarda Huch. Dieser Band versammelt unter anderem Vorträge und Reden, die Barbara Honigmann anlässlich von Preisverleihungen gehalten hat. Kluge, zugleich komische und nachdenklich stimmende Texte, die voller Erinnerungen und unverschämter Einsichten stecken. (S.G.)

Loraine Peck – Der zweite Sohn

Suhrkamp, 16,95 €

Geschichten im Mafia-Milieu – heute spricht man wohl eher von Clans als von der „ehrenwerten Familie“ – haben zumindest in Romanform einen besonderen Charme. Hier wird zwar auch gemordet, aber mit Stil und nach festgelegten Regeln. Eigentlich hat sich die kriminelle Unterwelt die Märkte in Sydney aufgeteilt: Es gibt die Serben, die Kroaten, die Italiener, die Libanesen und die Chinesen. Als Ivan Novak beim Leeren seiner Mülltonnen erschossen wird, will sein Vater Milan, Chef des kroatischen Gangsterclans Rache. Doch wer ist eigentlich für Ivans Tod verantwortlich? Für Milan kommen nur die Serben infrage. Nun soll Ivans jüngerer Bruder Johnny Rache üben. Aber Johnny ist kein Killer, und er liebt seine Frau Amy und den gemeinsamen Sohn Sasha. Amy stellt ihm ein Ultimatum: Entweder er steigt aus dem Kreislauf der Gewalt aus, oder sie verlässt ihn und nimmt Sasha mit.

Hin und hergerissen zwischen der Loyalität zu seinem Vater und der Liebe zu seiner Frau, plant Johnny den Coup seines Lebens. Er entwickelt einen brillanten Plan, der die Rachegelüste seines Vaters befriedigen und es ihm, Amy und Sasha ermöglichen soll, endlich dem Würgegriff seiner Clan-Familie zu entkommen und woanders ein neues Leben zu beginnen. Doch wenn der Plan scheitert, riskiert Johnny, alles zu verlieren … Ein Pageturner erster Güte. (E.B.)

Dennis Jürgensen – Gezeitenmord

KiWi, 16 €

Was passiert eigentlich, wenn eine Leiche im Watt auf der Grenze zwischen Dänemark und Deutschland gefunden wird? Klarer Fall, dann ermitteln die Behörden der beiden Länder gemeinsam. Auf dänischer Seite ist es Lykke Teits erster eigener Fall. Dass sie den Toten aus dem Kopenhagener Kleinkriminellen-Milieu kannte und er ihr unmittelbar vor seinem Tod noch eine Textnachricht geschickt hat, verschweigt sie dem deutschen Kollegen Rudi Lehmann. Anders als man es aus anderen Krimis kennt, verstehen die beiden ungleichen Ermittler sich auf Anhieb.  Ihre Untersuchungen konzentrieren sich auf das kleine Dorf Melum, in dem jeder jeden kennt. Und sie haben es nicht „nur“ mit einem Mord zu tun. Denn der kleine Villad, der zusammen mit seinem Lehrer die Leiche im fand, ist seither verschwunden. Der Lehrer kann keine Aussage machen, denn er wurde angeblich im Nebel bewusstlos geschlagen. Es bleibt die bange Frage, ob sich Villad rechtzeitig vor Einsetzen der Flut an Land retten konnte. Und für das sympathische Ermittler-Duo stellt sich darüber hinaus die Frage, wie diese Vorfälle zusammenhängen. (E.B.)

Harald Gilbers – Luftbrücke

Knaur, 10,99 €

Ein richtig interessantes Setting: Berlin 1948 kurz vor der Währungsreform. Die Berliner leiden unter der Mangelwirtschaft und verfolgen gebannt, wann die neue Währung kommt, denn das „alte“ Geld ist nichts mehr wert. Parallel steigen die Spannungen zwischen den westlichen und den sowjetischen Alliierten, bis Berlin letztlich von der Versorgung aus den westlichen Zonen abgeschnitten wird. Nur die Einrichtung der Luftbrücke sichert künftig mittels der Rosinenbomber die Versorgung der Westberliner mit dem Nötigsten. In dieser heißen Phase des Kalten Krieges finden Kinder beim Spielen am Spreeufer ein abgetrenntes Bein. Wenige Tage später werden menschliche Organe auf einem Schiff entdeckt, die allerdings von einem zweiten Opfer stammen müssen. Der Täter verteilt offenbar Leichenteile im Osten und im Westen der Stadt und setzt darauf, dass die gerade erst separierten Polizeibehörden aufgrund der politischen Situation nicht kooperieren, aber da hat er die Rechnung ohne Kommissar Oppenheimer gemacht. (E.B.)

Elena Berz und Marine Ludin – Opa hat seinen Hut vergessen

Windy Verlag, 16 €

Wie sage ich’s meinem Kinde? Vor diesem Problem stehen viele Eltern, wenn jemand Nahestehendes stirbt. Die Bielefelderin Elena Berz hat die richtigen Worte gefunden und sie – liebevoll illustriert von Marine Ludin – in eine kindgerechte Geschichte verpackt. Das Kinderbuch handelt von Ida, die am allerliebsten jeden Tag mit ihrem Großvater Heinz schaukeln geht. Doch eines Tages ist Opa Heinz nicht mehr da und Idas Eltern sind sehr traurig. Nun hat Ida viele Fragen zum noch immer tabuisierten Thema Tod und alles, was damit zusammenhängt. In dem Buch werden Idas Fragen ehrlich, offen und einfühlsam beantwortet. Und Ida findet letztlich Trost und lernt, dass Sterben zum Leben gehört. Ein großartiges Buch – für Kinder und Eltern. (E.B.)

Dave Walker – Von A nach B

Covadonga Verlag, 16,80 €

Das ist mal originell: Ein Cartoon-Ratgeber für die Fortbewegung mit dem Fahrrad. In seinem unverwechselbaren Stil präsentiert Dave Walker eine Mischung aus witzigen, nachdenklichen und lehrreichen Cartoons, die vom alltäglichen Arbeitsweg im Sattel bis hin zum mehrtägigen Abenteuer mit Packtaschen alle Facetten des Radfahrens abdecken. Absurde Perspektiven und komödiantische Einfälle rund ums Rad wechseln sich mit wirklich nützlichen Informationen ab, die allen Radfahrern weiterhelfen. Zu den behandelten Themen zählen u. a.: Wie findet man das richtige Rad? Wie hält man den Sattel bei Regenwetter trocken? Ist Elektrounterstützung etwa Schummeln? Wie sieht gute und schlechte Radinfrastruktur aus? Wie entkräftet man Vorbehalte gegenüber dem Radfahren? Und auch: Wie kann das Fahrrad die Welt vielleicht ein kleines bisschen besser machen?