Futter für’s Hirn
Wenn’s draußen stürmt, einfach ein gutes Buch zur Hand nehmen und das Wetter Wetter sein lassen. Wir haben da ein paar Tipps!
Marieke Lucas Rijneveld: Was man sät
Suhrkamp Verlag / 22 €
Ein Milchvieh-Bauernhof in der niederländischen Provinz, ein Familienbetrieb, bewirtschaftet von einem Ehepaar, das vier Kinder hat. Als der älteste Sohn Matthies beim Eislaufen tödlich verunglückt, steht für die evangelikal geprägte Familie fest: Das war eine Strafe Gottes. Doch der Trost der Religion wirkt in diesem Falle nicht. Niemand fällt tiefer als in Gottes Hand? Von wegen. Die Mutter kapselt sich ein, der Vater spricht eher mit seinen Kühen als mit der Familie. Die Kinder, der zweitälteste Sohn und die zwei jüngeren Schwestern, sind auf sich gestellt. Der Roman ist aus der Perspektive der 12-jährigen Jas geschrieben, die ein feines Gespür für die Risse hat, die sich immer mehr durch das Familienfundament ziehen. Eine dunkle, verstörende Geschichte mit berückend schönen Bildern. Mit diesem Debütwerk hat sich die junge Autorin Rijneveld in die vorderste Phalanx der niederländischen Literatur geschrieben.
Karin Fossum: Die Stille bringt den Tod
Piper Verlag / 11 €
Vordergründig passiert nicht viel in diesem herausragenden Kriminalroman der norwegischen Bestseller-Autorin, die nach und nach enthüllt, was es mit der schweigsamen Ragna Riegel auf sich hat. Die ohne soziale Kontakte lebende Frau sitzt bei Kommissar Konrad Sejer zum Verhör, weil sie des Mordes beschuldigt wird. Flüsternd – ihre Stimmbänder wurden bei einer irreparabel zerstört – erzählt sie von ihrem bescheidenem und einsamen Leben. Und das ist so eindringlich, dass man dieses Buch einfach zu Ende lesen muss. Über allem steht die Frage: Wie konnte diese Frau zur Mörderin werden?
Karina Sainz Borgo: Nacht in Caracas
S. Fischer / 21 €
Venezuela, einst ein blühendes Land, ist – man muss es leider sagen – unter einem korrupten sozialistischen Regime zum Armenhaus Südamerikas geworden, Mangel, Verelendung und hohe Kriminalität sind die Folgen. Sainz Borgo schildert die Geschichte von Adelaida, die gerade ihre Mutter verloren hat. Die ist im Krankenhaus gestorben, schuld daran ist die schlechte medizinische Versorgung. Adelaida steht an ihrem Grab und verliert sich in Erinnerungen, doch auf dem Friedhof ist es gefährlich, lange sollte man hier nicht bleiben. Als sie schließlich gewaltsam aus ihrer Wohnung vertrieben wird, hilft nur die Flucht und ein glücklicher Zufall. Ein höchst beeindruckendes Stück Literatur aus einem Land, das auf den Hund gekommen ist.
Helene Hoang: Kissing Lessons
Kyss by rowohlt Polaris / 12,99 €
Dieses Debüt hat in den USA für Furore gesorgt – und das Genre Liebesroman auf eine neue Stufe gestellt. Die Ausgangslage ist schon mal interessant: Stella, hoch intelligent und ihrem Job sehr erfolgreich, hat Schwierigkeiten mit Nähe. Bei ihr wurde Asperger diagnostiziert und nun wünscht sich ihre Mutter Enkel. Eine heikle Angelegenheit – zumal Stella für sich analysiert hat, dass sie nicht gut im Bett sei. Eine professionelle Lösung muss her. Deshalb engagiert sie einen Escort. Vorhersehbar, dass sie sich in ihn verliebt. Doch Helene Hoangs Roman hat eine ganz klare Stärke: Hier schreibt nicht einfach jemand über Asperger, sondern bei der Autorin selbst wurde im Alter von 34 Jahren Asperger festgestellt. Diese Erkenntnis und diese Reise zu sich selbst hat sie in „Kissing Lessons“ verarbeitet. Das ist authentisch, manchmal zum Schreien komisch und dann aber auch wieder sehr traurig. Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst, auch wenn es zuweilen ein paar Längen hat.
Per Petterson: Männer in meiner Lage
Hanser / 22 €
Das Leben von Arvid Jansen verläuft in einer rasanten Abwärtsspirale: Seine Ehe wird geschieden. Er hat zwei seine Brüder verloren, einer davon starb gemeinsam mit seinen Eltern bei einem Schiffsbrand. Als wäre das nicht schlimm genug, muss er mit ansehen, wie seine Frau in ihrem neuen Leben Fuß fasst, Freunde findet – er nennt sie „die Farbenfrohen“ – auch seine drei Töchter entgleiten ihm immer mehr. Eigentlich Grund genug, um in Selbstmitleid zu versinken und sich permanent zu besaufen. Petterson beschreibt den existenziellen Schmerz seines Helden mit Melancholie, Zärtlichkeit und Galgenhumor, so gerinnt das Ganze zu großer Literatur. Und es gibt auch einen Wendepunkt: Arvid Jansen erkennt schließlich die Verantwortung für seine älteste Tochter, die besonders unter der Trennung der Eltern leidet. Er beginnt, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Tiefe Verzweiflung, behutsame Hoffnung, zwischen diesen Polen navigiert uns der Romanlotse Petterson souverän hindurch.
Lone Theils: Hexenjunge
rororo / 10 €
Nora Sand, Korrespondentin der dänischen Zeitung Globalt, ist einer heißen Story auf der Spur. Nach einem heimlichen Treffen mit einem nigerianischen Terrorismus-Experten auf einem Londoner Friedhof verschwindet dieser – und taucht erst als Leiche wieder auf. Ohne ihren wichtigsten Informanten kann Nora Sand nicht an der Geschichte weiterarbeiten. Zu ihrem Verdruss soll sie sich nun um das Scheidungsdrama eines russischen Oligarchen von einem dänischen Reality-Star kümmern. Das Paar streitet öffentlich um das Sorgerecht für ihren Sohn. Als er entführt wird, wird es interessant, denn Nora entdeckt Zusammenhänge zu der Ermordung des Nigerianers. Damit wird es für sie schnell brandgefährlich.