Endlich Zeit für ein gutes Buch. Wir hätten da ein paar Empfehlungen für Sie.
Elisabeth Herrmann: Requiem für einen Freund
Goldmann, 10 €
Keine angenehme Situation: Der Berliner Rechtsanwalt Joachim Vernau hat einen Steuerprüfer im Haus, besser gesagt in der Kanzlei. Und genau der liegt wenig später erschossen in Vernaus Büro. Zuvor hatte er immer wieder Fragen zu einer – zugegebenermaßen recht hohen – Restaurantquittung gestellt. „Typisch Erbsenzähler“, hatte der Anwalt gedacht, aber nun sieht alles anders aus. Zumal ein alter Freund an dem Abend im fraglichen Restaurant mit dabei war und Vernaus ehemalige Kanzleipartnerin die Quittung nie steuerlich geltend gemacht hat. Was steckt dahinter? In seinem neuen Fall, den Elisabeth Hermann mit viel Verve erzählt, lässt Vernau keinen Stein unumgedreht. Aber nicht immer gefällt ihm, was er darunter entdeckt.
Katya Apekina: Je tiefer das Wasser
Suhrkamp, 24 Euro
Dass jeder Mensch seine ganz eigene Sicht auf die Welt und sich selbst hat, ist keine neue Erkenntnis. Doch die Art und Weise, wie Katya Apekina davon erzählt, ist ebenso packend wie verstörend. Nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter landen die Schwestern Edie und Mae bei ihrem berühmten Schriftstellervater, der die Familie vor Jahren verließ. Während Edie zurück zu ihrer Mutter will, entwickelt Mae eine beinah obsessive Zuneigung zu ihrem Vater. Und beide Schwestern haben einen ganz unterschiedlichen Blick auf die Eltern. Hat der Vater seine Frau in die psychische Krankheit getrieben, oder ist vielmehr die Mutter eine labile Fantastin, die den Vater vertrieben hat? Aus den Perspektiven verschiedenster Beteiligter – sogar Nebenfiguren kommen zu Wort – fügt die Autorin Puzzleteil für Puzzleteil einer komplexen Familiengeschichte zusammen und überlässt es doch den LeserInnen, ihre ganz eigene Wahrheit zu finden.
Anna Tell: Nächte des Zorns
Rowohlt Polaris, 16 €
Das ist definitiv ein Thriller, den man ungern aus der Hand legen möchte. Facettenreiche Protagonistin und ein interessantes Setting. Amanda Lund kommt gerade aus der Elternzeit zurück zu ihrem Job beim schwedischen Sondereinsatzkommando. Noch ein bisschen eingerostet fällt ihr der Einsatz im Kosovo nicht so leicht. Dort wurde ein schwedischer Polizist entführt. Schnell wird klar, dass die Erpressung nur eines von vielen Verbrechen ist, das Amanda Lund aufklären muss. Packend geschrieben mit vielen überraschenden Wendungen.
Lucy Foley: Neuschnee
Penguin, 15 €
Eigentlich ist es eine beliebte Konstellation: Eine Clique von alten Freunden trifft sich nach Jahren wieder zu einem mehrtägigen Ausflug und wird durch eine Naturkatastrophe von der Außenwelt abgeschnitten. Und dann geschieht ein Mord. Lucy Foley gelingt es jedoch, der vermeintlich wohlbekannten Thriller-Disposition einen ungemein spannenden Dreh zu verleihen. Aus verschiedenen Perspektiven lässt sie einzelne Figuren zu Wort kommen. Allmählich fügen sich die Puzzle-Teilchen zusammen und zeichnen ein wahrheitsgetreues Bild der Gruppe, dem fragilen Gebilde namens Freundschaft, während in den schottischen Highlands der Schnee jede Spur, die zum Mörder oder der Mörderin führen könnte, verwischt.
Antoine Laurain: Glücklicher als gedacht
Atlantik, 16 Euro
Charmant, geistreich und durch und durch französisch – so kommt die Geschichte einer etwas anderen Midlife-Crisis daher. Als François Heurtevent nicht als Bürgermeister von Perisac wiedergewählt wird, bricht für ihn eine Welt zusammen. Während er in einer Depression versinkt, fällt ihm zufällig ein 30 Jahre altes Klassenfoto in die Hände. Und prompt reißt ihn eine Idee aus der Lethargie: Er will alle ehemaligen MitschülerInnen aufspüren. Ob Pfarrer, Friseurin oder Pornoregisseur – bei seinen Begegnungen wird François klar, auf welch unterschiedliche Weise sich das Glück im Leben darstellen kann. Doch Antoine Laurain belässt es nicht bei einer nostalgischen Zeitreise mit klarer Botschaft. Der Roman schlägt eine ironische – und temporeiche – Volte, als sich Hinweise auf einen Wahlbetrug verdichten.
Thomas Christos: 1965
Blanvalet, 20 €
Die Idee ist gut, die Story, und wie sie sich entfaltet, ganz große Klasse. Leider schmälert der etwas hölzerne Stil das Lesevergnügen. Aber zur Sache: Thomas Engel ist frischgebackener Kommissar in Düsseldorf. Wir schreiben das Jahr 1965. Allmählich gerät die deutsche Spießigkeit durch die langhaarigen „Gammler“ und den Rock ‘n’ Roll ins Wanken. Auch Kommissar Engel, der dienstlich ein Rolling-Stones-Konzert überwachen soll, wird in den Bann der neuen Freiheit gezogen. Das erleichtert ihm die Arbeit mit den „alten Hasen“ im Kommissariat keineswegs. Denn ein Mord an einem jungen Mädchen weist unheimliche Parallelen zu einem Verbrechen auf, das in den 1930er geschehen ist. Welche dunklen Seilschaften haben die unselige NS-Zeit überwunden? Es ist an Engel, mutig zu sein und die Verbindungen offenzulegen.
Philippe Djian: Morgengrauen
Diogenes, 24 €
Der Meister des verknappten, schnörkellosen Stils ist wieder am Werk. Philippe Djian ist Spezialist für skurrile Situationen, in denen Menschen leben und agieren. Joan war ziemlich lange fort von zu Hause. Doch als ihre Eltern bei einem Unfall sterben, kommt sie zurück, um sich um ihren Bruder Marlon kümmern. Der ahnt nicht, dass die Boutique, in der seine große Schwester arbeitet, ein Deckmäntelchen für Geschäfte der ganz anderen Art ist. Und das soll er auch gar nicht wissen, denn die Kundschaft ist nicht ungefährlich. Philippe Djians neuer Roman ist schon fast ein verkappter Krimi, den man am liebsten in einem Rutsch lesen möchte. Achtung: Sogwirkung.
Yrsa Sigurardóttir: Abgrund
btb, 15 €
Es ist nunmehr das vierte Mal, dass Kommissar Huldar und Psychologin Freyja gemeinsam an der Aufklärung eines schwer zu fassenden Verbrechens arbeiten. Vor der mystischen Kulisse eines isländischen Lavafelds wird eine Leiche gefunden. In Anbetracht der Umstände gilt ein Suizid als unwahrscheinlich. Eine ominöse Nachricht wurde dem Toten an die Brust geheftet. Fast zeitgleich wird die Polizei auf einen kleinen Jungen aufmerksam, der allein in eine fremde Wohnung eingesperrt wurde und keinerlei Erinnerungen an die Geschehnisse hat. Wie hängt das alles zusammen? Huldar und Freyja machen sich auf den Weg und finden sich bald in einem verstörenden Setting wieder.