Im neuen BIELEFELDER haben wir wieder viele bunte Lesetipps für einen entspannten Sommer zusammengestellt.

SPACE GIRLS

Maiken Nielsen / Wunderlich, 22 €

Fast wären nicht Männer, sondern Frauen als erste Menschen zum Mond geflogen. In den 1960ern wurde eine Gruppe von Pilotinnen – später die Mercury 13 genannt – getestet, ob sie für eine Flug ins All geeignet waren. Waren sie. Und in einigen Belangen, besonders, was die psychische Belastbarkeit anbelangte, den Männern überlegen. Trotzdem waren es 1969 drei Männer, die zum Mond flogen. Maiken Nielsen erzählt in ihrem wunderbaren Roman die Geschichte der 13 tapferen Frauen, die alles für ihren Traum gaben. Nur ihre Protagonistin, die deutsche Pilotin Juni, die mit ihrer Mutter während der Nazizeit von Köln über Frankreich nach New Orleans
flüchten musste, ist Fiktion. Die anderen Frauen gab und gibt es tatsächlich. Space Girls ist nicht nur ein spannendes Stück Zeitgeschichte, sondern Nielsen gelingt es, die Geschichte der US-amerikanischen Raumfahrt zugleich mit den Nachwirkungen der NS-Zeit zu verbinden. Und keine Angst, der berührende Roman ist nicht geschichtlich überfrachtet, sondern liest sich mit einer Leichtigkeit, als würde man tatsächlich selbst fliegen

Die Sparsholt Affäre

Alan Hollinghurst / Blessing, 24 €

Spätestens seit seinem mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichneten Roman „Die Schönheitslinie“, ist der britische Autor so etwas wie der Chronist schwulen Lebens. Sein aktueller Roman umspannt gleich drei Generationen von Freunden und ihren Umgang mit Homosexualität – vom Oxford der Kriegsjahre bis in die Gegenwart. Eine berührende Beschreibung gesellschaftlichen Wandels, wie immer bei Hollinghurst geistreich und auf hohem sprachlichen Niveau. (S.G.)

Libertys Lächeln

Andreas Kollender / Pendragon-Verlag, 24 €

Geschichte, die sich in einen Roman verwandelt: Gibt es heute noch so ein Leben, wie es Andreas Kollender hier beschreibt? Ein Leben, das so aufgeladen ist mit historischer Bedeutung? Das Leben eines charismatischen Mannes: Carl Schurz, der als einer der 1848er Revolutionäre aus Deutschland fliehen musste, den es nach Amerika verschlug und der zu einem wichtigsten Berater von US-Präsident Abraham Lincoln wurde. Der am amerikanischen Bürgerkrieg teilnahm und mit Mark Twain befreundet war. Andreas Kollender gelingt es, die unterschiedlichen Zeitebenen zu einem homogenen Erzählstrang zu verdichten. Das Besondere: Kollender versucht nicht, die fiktiven Dialoge historisch korrekt einzufangen, sondern benutzt durchaus zeitgemäße Sprache. Das gibt diesem Roman zusätzlich zu seinem hochinteressanten Personal eine quicklebendige Frische. (H.O.)

Virginia

Nell Zink / Rowohlt, 22  €

Eine unglaubliche Geschichte, erzählt in einem wunderbar frechen, ja schnoddrigen Tonfall. Peggy, die Frauen liebt, und Lee, schwuler Spross einer konservativen WASP-Familie landen in einer Ehe, die zum Scheitern verurteilt ist. Peggy brennt mit der Tochter durch, und erschwindelt sich – obwohl hellblond – ein Leben als Schwarze in Virginia. Nell Zink nimmt in ihrer rasanten, scharfzüngigen Tragikomödie die fundamentalen Widersprüche in der amerikanischen Gesellschaft aufs Korn: Rasse, Klassenzugehörigkeit, Geschlecht und Sexualität. (S.G.)

Herzband

Günther Butkus / Pendragon-Verlag, 20 €

Der „Herzband“ ist eine kompakt gebundene bibeldicke Sammlung von Gedichten, die es ihn sich haben. „366 Gedichte über Liebe und Verlust“ enthält sie – für jeden Tag des Jahres eines und eins extra für das kommende Schaltjahr. Schon wenn man in diese Liebesgedichte hineinliest, merkt man, das sie aus einem Guss sind, wie im Rausch entstanden. Sie haben noch das Eruptive, den Überschwang in sich, der jedem Anfang wie ein Zauber innewohnt. Und doch sind sie nicht formlos, sondern sprachlich geschliffen. Es findet sich manch bemerkenswerter Satz darin, der verdichtet auf den Punkt bringt, worüber sich konventionellere Poeten seitenlang auslassen. Ein bevorzugtes Stilmittel des Autors und Bielefelder Verlegers ist das Enjambement, das einen Zeilenumbruch nutzt, um einen Vers in eine andere Bedeutung zu wenden. So heißt es in dem Gedicht „Herzhaus“: „komm wir/ besetzen/uns kann/ keiner was.“ Kürzer kann man nicht formulieren, wenn Liebe sich Mut macht. So selbstbewusst diese kurzen und kürzesten Gedichte oft daherkommen, so melancholisch sind sie auf der anderen Seite. Alle tragen das Wort „Herz“ im Titel. Nicht nur für Liebende lohnende Lektüre. Ein schöner Ganzjahresband für Frühling, Sommer, Herz und Winter. (H.O.)

Berliner Blau

Philip Kerr / Wunderlich, 23 €

Bernie Gunther, ex-Kriminalkommissar in Berlin, hat die Nazi-Zeit mehr schlecht als recht überlebt. Deshalb versucht er an der Côte d’Azur als Concierge eines Grand Hotels ein möglichst unauffälliges Leben zu führen. Wir schreiben das Jahr 1956, als Erich Mielke, künftiger Minister für Staatssicherheit der DDR, ihn dort aufspürt. Er soll eine englische Agentin aus dem Weg räumen. Allerdings weigert Gunther sich und muss nun quer durch Europa fliehen, um Mielkes Schergen zu entgehen. Darunter vor ehemaligen Bekannte, mit denen er bereits 1939 zu tun hatte, als er am Obersalzberg auf Hitlers Anwesen ermittelte, um einen Mord aufzuklären – mittendrin in einer gefährlichen Welt von Intrigen und Gewalt. Der 2018 verstorbene Philip Kerr verknüpft in Gunthers 12. Fall wieder einmal virtuos zwei Zeitebenen. Auf einen letzten Band können sich die Leser noch freuen. (E.B.)

Wo wir waren

Norbert Zähringer / Rowohlt, 25 €

Ein großer Aufschlag! Nicht nur wegen seiner 500 Seiten. Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond. Hardy – Waisenkind Nummer 13 – scheitert in der gleichen Nacht beim Versuch aus dem Kinderheim zu fliehen. Er ist fünf. Und es ist eine Nacht, die viel verändert. Für ihn und in der Welt. Zähringer erzählt in seinem Roman tiefgreifend, anrührend unterhaltsam von Aufbrüchen und Fluchten, Hoffnung und Liebe, Freundschaften und Familie. Und spannt den Bogen weit. Weltbewegendes und Kleinkariertes, zeitlich und räumlich weit Auseinanderliegendes des 20. Jahrhunderts verbindet und verdichtet er. Im Mittelpunkt Hardy Krohn, das ehemalige Waisenkind Nr. 13. Ein großes Leseabenteuer: klug, unaufdringlich und spannend. (C.B.)