Am 20. Januar hat das Kunstforum Hermann Stenner mit der Ausstellung „Hermann Stenner und seine Zeit“ seine Pforten geöffnet. Jetzt kehrt ein vertrautes Gesicht aus der Bielefelder Kulturszene in die Stadt zurück, um die weitere Zukunft des Ausstellungshauses mitzugestalten. Wir haben Christiane Heuwinkel, die neue künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin zum Kunstforum Hermann Stenner interviewt.

Was – und wer – hat Sie überzeugt, für diese Stelle nach Bielefeld zurückzukommen?

Manchmal gibt es wohl diese glücklichen Momente: Ich war im September letzten Jahres bei der Gala in der Rudolf-Oetker-Halle, als ich nach langer Zeit wieder einmal mit dem Kunstsammler Hermann Josef Bunte ins Gespräch kam, den ich noch aus meiner Tätigkeit in der Kunsthalle kannte und den ich vor Jahren für Ausstellungsfilme interviewt hatte. Übrigens entstand dabei 2003 der bisher einzige Ausstellungsfilm über Hermann Stenner. Aus dem Gespräch über die Fortschritte beim Kunstforum, die mich sehr interessierten, weil ich Hermann Stenner als Künstler hoch schätze, entwickelte sich eine Idee, die dann in Gesprächen mit dem Stifter Ortwin Goldbeck Gestalt annahm.
Diese Chance, ein neu gegründetes Kunstforum in einem so wunderbar sanierten Gebäude mit der Basis der Dauerleihgabe der bedeutenden Sammlung Hermann Josef Buntes zu entwickeln, erhält man nur einmal im Leben … und dies in „meiner“ Stadt!

Wann sind Sie Hermann Stenners Werk das erste Mal begegnet?

1991! Der zerlesene Katalog in meinem Bücherregal bezeugt es. Ich war damals nach dem Studium als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Bielefeld tätig und übernahm nebenbei Führungen in der Kunsthalle. Hans-Michael Herzog kuratierte diese Ausstellung im 2. Obergeschoss der Kunsthalle, die die „Frau mit Fächer“ von 1913 als Titelmotiv des Katalogs hatte, bei der ich Hermann Stenner kennenlernte und ihn als Künstler für mich entdeckte. Den Katalog dieser Ausstellung gibt es übrigens heute im Kunstforum zu erwerben (so viel Werbung muss sein!).


Christiane Heuwinkel ist ab dem 01.April künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Kunstforums Hermann Stenner


Worin liegt für Sie die besondere Faszination dieses Künstlers?

Die besondere Faszination geht wohl von der Sicherheit seines Farbempfindens aus. Ich habe selten erlebt, dass ein Künstler so selbstverständlich und „punktgenau“ Farbe zu setzen wusste wie Hermann Stenner: Sei es die rote Jacke in seinem Selbstbildnis von 1911, die sein neues Selbstverständnis als Künstler so nonchalant vorträgt, die flirrende Sommerleichtigkeit der Farben des im selben Jahr entstandenen Kaffeegartens am Ammersee oder das kühle Blau des geradezu gefroren wirkenden Bildnis seiner Freundin Clara Bischoff. Dies „Damenbildnis mit Lilie“, eines seiner letzten Werke, ist wohl von der Vorahnung des Weltenbrandes 1914 gezeichnet.

Es heißt, Stenner habe sich in seiner kurzen Schaffensphase künstlerisch sehr entwickelt …

Die künstlerische Entwicklung Hermann Stenners kann man anhand seiner Selbstbildnisse exemplarisch nachvollziehen: Das „Selbstbildnis in grünen Farbtönen“ ist 1909 entstanden, als er die private Zeichenschule in München bei Heinrich Knirr besuchte: klassisch-konventionell im ovalen Bildformat, der zurückgenommenen Farbigkeit der Jahrhundertwende und dem steifen Kragen – aber Stenners Blick ist klar, geradeaus und selbstbewusst. Nur zwei Jahre danach entsteht das „Selbstbildnis mit roter Jacke“, das in der starken Farbwahl mit dem rot-grünen Komplementärkontrast sein gewachsenes Selbstverständnis als Maler ausdrückt – entstanden in dem Jahr, in dem er seine erste Einzelausstellung hatte: in der Galerie Otto Fischer in Bielefeld. Wieder ein Jahr weiter entsteht die Skizze zu einem Selbstbildnis. Was für ein Blick! Diese selbstbewusst bis zur Arroganz hochgestellten Augenbrauen! Diese Leuchtkraft der Farben!

Haben Sie ein ganz persönliches Lieblingsbild?

Bei der „Skizze zu einem Selbstbildnis“ 1912 gerate ich sofort ins Schwärmen! Was noch dazu kommt, ist das Unfertige der Skizze, das Offene, Leichte, das Platz zum Nach- und Weiterdenken lässt.

Die Bielefelderinnen und Bielefelder sollten sich die Ausstellung unbedingt anschauen, weil …

… mit Hermann Stenner und seiner Zeit ein Kapitel Kunst- und Zeitgeschichte aufgeschlagen wird, das uns noch heute beschäftigt: Das Aufbrechen gesellschaftlicher Strukturen, Unsicherheiten, Bedrohungen, Kriegsgefahr … Das sind Themen des deutschen Expressionismus, die wir aus unserer heutigen Lebenserfahrung nur zu gut nachvollziehen können. Und natürlich ist die Ausstellung aller ernsten Themen, die sie anspricht, zum Trotz, auch ein Fest der Farben und des Lebens.

Warum hat Bielefeld das neue Ausstellungshaus gebraucht? Hätte man die Bilder nicht auch in der Kunsthalle oder im Böckstiegel-Museum zeigen können?

Angeblich hat Sigmund Freud einmal gesagt: „Was ist besser als ein Stück Torte? Zwei Stück Torte!“ Dass Bielefeld dies neue Ausstellungshaus braucht, dass es genügend Besucher*innen in der Stadt, der Region und darüberhinaus gibt, die kunstinteressiert sind, haben die so erfolgreichen ersten Wochen gezeigt. Es geht nicht um Konkurrenz zu bestehenden Institutionen, vielmehr darum, dass das Orchester nun ein weiteres Mitglied bekommen hat – und vielstimmiger klingt. Wer z. B. im Kunstforum den Maler Hermann Stenner oder die westfälischen Expressionisten für sich entdeckt hat, wird auch das Böckstiegel Museum besuchen – und umgekehrt. Dasselbe gilt auch für das neu geschaffene Kunstdreieck Kunsthalle – Kunstverein – Kunstforum Hermann Stenner im Sinne einer gegenseitigen Befruchtung und Steigerung der Attraktivität der Stadt und der Region.

Wie sind die Zukunftspläne für das Kunstforum Hermann Stenner?

Tatsächlich gibt es schon Ideen für die nächsten drei Ausstellungen! Aber bevor nicht die Tinte auf den Verträgen getrocknet ist, möchte ich mich dazu noch nicht äußern. Nur ein Hinweis: Nach der Präsentation der Sammlung Bunte ist eine Ausstellung vorgesehen, die das Kunstforum in einer zusätzlichen Dimension zeigen soll: mit Skulpturen und Zeichnungen, mit Plastizität und zurückgenommener Farbigkeit. Die Kabinette sollen die Grenzen ihrer Intimität, die Skulpturen den Raum ausloten: in einem Dialog von bildnerischer Hand-Schrift und plastischem Denken.


Hermann Stenner

1891-1914

Der Maler und Zeichner Hermann Stenner zählt zu den aufstrebenden Talenten des frühen 20. Jahrhunderts. In Bielefeld geboren, fällt er im Alter von nur 23 Jahren im Ersten Weltkrieg. Stenners künstlerische Laufbahn beginnt 1908 in der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Bielefeld und führt ihn schnell in die Kunstzentren in Süddeutschland. Prägend für seine Entwicklung ist sein Wechsel an die Kunstakademie in Stuttgart mit dem Eintritt in die Malklasse von Christian Landenberger 1910 sowie 1911 in die Komponierklasse von Adolf Hölzel, der als Wegbereiter der Moderne gilt. Stenner hinterlässt in nur fünf Studien- und Schaffensjahren ein Gesamtwerk von nahezu 300 Gemälden und über 1.500 Arbeiten auf Papier.

©Foto: Margot Schmidt, Hamburg

  • 20. Januar 2019
  • — 18. August 2019
  • Kunstforum Hermann Stenner