Lesetour mit Musik
Der Maulwurf muss zuhause bleiben. René Marik kommt nämlich nicht als Puppenspieler nach Bielefeld, sondern als Autor. Am 13.11. liest er im Bunker Ulmenwall aus seinem autobiografischen Roman „Wie einmal ein Bagger auf mich fiel – Eine Provinzjugend“. Mit großem erzählerischem Gespür führt René Marik mitten hinein in sein Coming-of-Age in der Provinz der 1970er-Jahre. Im Interview verrät er mehr über eine Geschichte, in der Tragik und Komik nahe beieinanderliegen, und das Gift eines Familien-Geheimnisses, das langsam beginnt, seine Wirkung zu entfalten …
Wie kam es dazu, dass Du einen autobiografischen Roman geschrieben hast?
Ich hatte während meiner Bühnenpause, die von 2012 bis 2015 andauerte, das erste Mal den Impuls, zurückzuschauen und fing an, die Erinnerungen aus meiner Kindheit aufzuschreiben. Ohne jedoch daran zu denken, dass daraus jemals ein Buch werden könnte. Als dann mein Bruder im Winter 17/18 im Sterben lag, kamen viele der Sachen, mit denen ich mich damals beschäftigt hatte, wieder hoch.
Das Buch hat viele unterschiedliche Schauplätze und Handlungsstränge. Aber das eigentliche Thema ist die Auseinandersetzung mit Deiner Familiengeschichte und dem sexuellen Missbrauch, den es in Deiner Familie gab. Warum bist Du damit jetzt an die Öffentlichkeit gegangen?
Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ein solch furchtbares Vergehen weder zwischenmenschlich, noch strafrechtlich aufgearbeitet wurde, ließ mich irgendwann nicht mehr los. Ich versuchte die Mechanismen zu begreifen und nachzuvollziehen, die zu diesem kompletten Versagen geführt haben. Außerdem bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, über dieses Thema zu reden, um die Schatten der Scham, in denen sich die Täter oft unbehelligt verstecken, aufzulösen. Und wenn mein Buch nur in einem Fall dazu beiträgt, dass sich ein betroffener Mensch erhebt und das Unrecht, das ihm oder einem Angehörigen angetan wurde, sichtbar macht, dann habe ich alles erreicht. Auch wenn diese Hoffnung reichlich naiv erscheinen mag.
Ist Dir bewusst gewesen, dass Dir mit diesem Buch auch gelungen ist, ein Stück Zeitgeschichte zu beschreiben?
Ich selbst würde das so nicht formulieren. Ich glaube es bleibt nicht aus, dass die Zeit, in der etwas spielt, sich in dem Geschriebenen widerspiegelt. Und so war ich eher erstaunt, als die ersten Leser aus meiner Generation meinten, dass in ihnen die 70er und 80er in meinem Buch so eindrücklich auflebten.
Entgegen der Erwartung vieler, spielt der Maulwurf in Deinem Buch keine Rolle. Aber nach der Lektüre wird klar, dass es eine Verbindung zwischen dem Maulwurf und Deinem Bruder gibt.
Richtig, der Maulwurf spielt in dem Buch keine Rolle, denn es behandelt ja mein Leben zwischen 9 und 17. Zu der Zeit gab es den kleinen Wühler noch nicht und ich hatte wirklich gar nichts mit Puppenspiel am Hut. Die Verbindung zu meinem Bruder ist mir erst während des Schreibens klargeworden. Gleichzeitig würde ich dem aber auch nicht zu viel Gewicht beimessen, da sich die Gemeinsamkeit ausschließlich auf das Stottern beschränkt. Charakterlich kann ich mir kaum jemanden vorstellen, der weiter vom Maulwurf entfernt ist, als mein Bruder.
Gab es eigentlich in Deiner Jugendzeit mal Anzeichen dafür, dass Du jemals auf einer Bühne landen könntest, wie z. B. den „Affen in Deinem Kopf“, den Du in einigen Situationen beschreibst, der Dein Talent zum Schauspielen erahnen lässt?
Nein, der „Affe in meinem Kopf“, den ich in meinem Buch beschreibe, meint eher den Synapsenoverkill, den, so glaube ich, jeder Mensch aus seiner Schulzeit kennt. Wie es dazu kam, dass aus dem schüchternen Jungen ein Bühnenmensch geworden ist, kann ich mir bis heute nicht erklären. Das hat wohl eher mit Berlin zu tun und der Freiheit, die mir diese Stadt Anfang der 90er gebracht hat. Vielleicht ist das ja der Stoff für mein zweites Buch …
Du gehst mit Deinem Buch quer durch die Republik auf eine Lesetour mit Musik. Wie kann man sich das vorstellen?
Obwohl mein Buch ja durchaus schwere Themen behandelt, denke ich, ist ein unterhaltsamer und gleichzeitig berührender Abend gelungen, in dem ich Passagen aus dem Buch lese und zwischendurch immer wieder zur Gitarre greife und ein paar Songs spiele. Mit „uns“ meine ich, dass außer mir noch ein befreundeter Schauspieler und Musiker, namens Bodo Goldbeck, auf der Bühne zu sehen sein wird, der Kontrabass spielt und zudem noch ein paar Rollen aus dem Buch übernimmt. Außerdem spielt er ganz hinreißend die Maultrommel.
Die Passagen aus Deinem Buch, die Du lesen wirst – wie hast Du diese ausgewählt?
Tastsächlich fand ich es sehr schwer, aus den 240 Buchseiten eine stimmige Lesefassung zu machen. Versucht man den ganzen Bogen zu erzählen? Oder beschränkt man sich auf einen Handlungsstrang? Wichtig war mir, dass die „Temperatur“ des Buches rüberkommt, also dass sich lustige und tragische Stellen die Waage halten.