LABORSCHULE UND OBERSTUFEN-KOLLEG

Innovative Lernkonzepte, Forschungsorientierung und ganzheitliche Bildung – diese Prinzipien prägen seit 50 Jahren die Arbeit der Laborschule und des Oberstufen-Kollegs. Am 9. September 1974 wurden sie als Versuchsschulen des Landes Nordrhein-Westfalen eröffnet.

Mit dem gebürtigen Duisburger Rainer Devantié, der über Buenos Aires, Köln und Helsinki in Bielefeld landete und seit 2014 die Laborschule leitet, und Dr. Lutz van Spankeren, der zuletzt Schulleiter der Martin-Niemöller Gesamtschule war und seit 2020 das Oberstufen-Kolleg führt, haben wir über das Konzept, den Verzicht auf Noten und das Thema Mitbestimmung gesprochen.

Was begeistert Sie persönlich am Konzept der Laborschule bzw. des Oberstufen-Kollegs?

Rainer Devantié: Ich habe neun Jahre in Finnland gelebt und als Lehrer an der deutschen Schule in Helsinki gearbeitet. Dort habe ich die Vorteile einer Schule für alle kennengelernt. Denn in Finnland ist tatsächlich die grundbildende Schule von Jahrgang 1-9 die Schule für alle Kinder und Jugendlichen. Das Land beweist, dass eine Schule für alle möglich ist und man damit gute Bildungsergebnisse erzielen kann. Deshalb war ich auf dem Weg zurück nach Deutschland sehr interessiert daran, an einer Schule zu arbeiten, die ähnliche Prinzipien hat: möglichst keine Noten, größtmögliche Heterogenität, inklusiv und mit einem klaren demokratiepädagogischen Konzept.

Lutz van Spankeren: Als Versuchsschule verfügen wir über eine einzigartige Ausbildungs- und Prüfungsordnung und können neue Unterrichtsinhalte, Lehrverfahren und Verfahren der Leistungsbeurteilung und Unterrichtsorganisation erproben. Das haben wir genutzt, um ein Konzept größtmöglicher individueller Wahlfreiheiten und eine Praxis der stärkenorientierten Leistungsbeurteilung auf dem Weg zum Abitur zu entwickeln. Ein nicht nur an Fachinhalten, sondern an fächerübergreifenden Themen orientierter Unterricht, Projektunterricht und eine größere Vielfalt unterschiedlicher Formen der Leistungserbringung sind gerade aktuell Teil der bildungspolitischen Diskussion um ein 5. Abiturfach. Genau dies sind seit seiner Gründung Bestandteile der Ausbildung am Oberstufen- Kolleg.

Ganz ohne Noten geht es am Ende dann doch nicht. Würden Sie
gern darauf verzichten?

Rainer Devantié: Noten ab Jahrgang 9 geben wir, weil die abnehmenden Schulen und Betriebe das so wollen. Wenn es nach uns ginge, würden wir gerne darauf verzichten. Es gelingt uns aber zum Glück auch bis zum Ende, den Einzelnen gerecht zu werden und beispielsweise keine Klassenarbeiten zu schreiben, ebenso wenig gibt es einzelne Noten für Vorträge, mündliche oder schriftliche Leistungen.

Lutz van Spankeren: Die Idee eines Abiturs oder einer Fachhochschulreife ohne Noten mag zunächst utopisch erscheinen und ist schulpolitisch weit entfernt. Die Begründung von Ziffernnoten läuft letztlich darauf hinaus, Zukunftschancen gerecht und differenziert zu vergeben. Dies zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen, lohnt sich aus meiner Sicht durchaus. Wir vergeben in der Eingangsphase im Jahrgang 11 keine Noten. Dieses Prinzip behalten wir bis zum Abitur bei, allerdings in den Jahrgängen 12 und 13 ergänzt durch einzelne benotete Leistungsnachweise.

Auch in puncto Mitbestimmung und Demokratieerziehung gelten beide Schulen als sehr innovativ. Wie sieht das konkret aus?

Rainer Devantié: Die Laborschule möchte ein Ort sein, wo Kinder und Jugendliche gern leben und lernen. Der Unterricht folgt dem Prinzip, Lernen an und aus der Erfahrung – und nicht primär aus Belehrung – zu ermöglichen. Demokratieerziehung, die Entwicklung demokratischen Bewusstseins wird in der Laborschule nicht an ein Fach, wie Politik delegiert, sondern findet im gemeinsamen Leben in der Schule als Gesellschaft im Kleinen ihren Ausdruck. Nie wieder 33 ist vermutlich die grundlegendste Idee der Laborschulpädagogik. Wenn man Kinder und Jugendlich in der Schule zu aufrechten Demokraten erziehen will, die sich für sich, ihre Umwelt und ihre Mitmenschen in gemeinsam ausgehandelten Verfahren einsetzen wollen, so hat dies Konsequenzen für das schulische Leben.

Lutz van Spankeren: Mit ihrem baulichen Konzept offener Räume, das zum Beispiel keine Lehrerzimmer kennt, fordert die Schule zu einem einvernehmlichen sozialen Miteinander auf und lädt dazu ein, an deren Gestaltung mitzuwirken. Dies wird durch Unterrichtsangebote wie den Kursverbund Demokratische Partizipation sowie gemeinsame Schulentwicklungstage von Lehrenden und Kollegiatinnen unterstützt, drückt sich aber auch in vielen Initiativen der Kollegiatinnenvertretung in der Schulkonferenz – im letzten Schuljahr Ruheraum, kostenlose Hygieneartikel in den Toiletten, Wasserspender in der Schule – aus. Demokratische Beteiligung wird so als möglich, wirksam und lohnend erfahren. ✔

Die Laborschule und das Oberstufen-Kolleg haben das traditionelle Schulkonzept auf den Kopf gestellt. Als Professor Dr. Hartmut von Hentig 1968 an die Universität Bielefeld berufen wurde, brachte er den Plan mit, auf dem Campus zwei Schulen zu errichten, die eng mit der Universität verbunden sein sollten. Damals wie heute setzen die beiden Versuchsschulen auf offene Lernlandschaften und fächerübergreifende Projekte statt Frontalunterricht und starrer Fächertrennung, auf Inklusion und die Integration neuer Lernmethoden.