AUSBILDUNG IM LOCKDOWN
Corona stellt so manches auf den Kopf. Es ist vieles anders als normal. Auch für diejenigen, die gerade eine Berufsausbildung absolvieren. Einige sind unmittelbar vom Lockdown betroffen. Doch etliche Bielefelder Betriebe nutzen die Zeit und investieren sie in die Ausbildung ihrer jungen Fachkräfte. Die ersten, die wieder an den Start gehen durften, sind Auszubildende im Friseurhandwerk. Ein Lichtblick – nicht nur für die, deren Haare dringend einen neuen Schnitt benötigen.
Seit Oktober letzten Jahres verstärkt Lola Hartmann das Team der Maßschneider in der Bielefelder Altstadt. Kurz darauf ging es für sie – wie für viele andere Azubis auch – in den Lockdown. In den vergangenen Monaten hat sie dennoch viel gelernt. „Unsere Ausbilder haben sich für uns viel Zeit genommen und sich intensiv mit uns beschäftigt“, betont die 17-Jährige. Zeit, die ohne Lockdown so nicht vorhanden gewesen wäre. „Uns fehlt zwar der Salonalltag und der Umgang mit den Kunden, aber wir haben während des Lockdowns jeden Tag unser Wissen vertieft und uns mit den unterschiedlichsten Themen beschäftigt“, lautet ihr persönliches Resümee.
Auch Alexander Höhe, Azubi im Tomatissimo, steht seit Beginn des Lockdowns wie gewohnt in der Küche des Dornberger Restaurants. Statt die Gäste vor Ort zu begrüßen, hat das Tomatissimo einen Abhol-Service eingerichtet. „Das To-go-Geschäft ist besser planbar, da die Gäste am Vortag bestellen. Aber auch aufwendiger, da das Verpacken und Beschriften mehr Zeit in Anspruch nehmen“, erklärt Alexander Höhe, der – wie die anderen drei Azubis – vier Tage in der Woche in der Küche steht. „Das ist fast wie im normalen Betrieb.“ Aber eben nur fast. Denn natürlich entfällt zurzeit auch der Praxisunterricht in der Berufsschule. Und die theoretischen Lerninhalte werden – wie allerorten – online vermittelt.
Online zu lernen – für Phil Wache ist dies immer noch gewöhnungsbedürftig. Der 17-Jährige befindet sich im zweiten Ausbildungsjahr zum Metallbauer Fachrichtung Konstruktionstechnik. Sein Arbeitgeber, die Anlagenbau Bayer & LTA GmbH, hat ihre insgesamt drei Azubis mit der notwendigen Ausstattung versehen, damit diese zuhause online lernen können. „Zusätzlich erhalten wir Unterstützung von unserem Meister. Mit ihm gehen wir die Aufgaben – die zurzeit theoretischer sind als sonst – durch“, freut sich Phil Wache über die intensive Betreuung. An der praktischen Ausbildung hat sich für ihn allerdings wenig verändert, da der Betrieb nicht schließen musste.
„Wir waren sogar auf Montage. Auf die strengeren Auflagen und Hygienemaßnahmen haben sich die Unternehmen inzwischen alle eingestellt, die Maske und das Abstandhalten sind schon zur Normalität geworden“, so der Azubi, der während des Lockdowns sogar seine überbetriebliche Ausbildung – einen Schweißlehrgang der Handwerkskammer – weiterführen konnte. Alexander Höhe vermisst dagegen den lebhaften Trubel, den das À-la-carte-Geschäft sonst ins Tomatissimo bringt. „Die Arbeit ist anders“, so der 30-Jährige, „bietet aber eben auch Raum, um andere Dinge zu lernen.“ Dafür sorgt die zurzeit wöchentlich statt alle sechs Wochen wechselnde Karte mit jeweils sieben Gerichten. Jeder Mitarbeiter – von der Küche bis zum Service – macht mit und darf seiner Kreativität freien Lauf lassen. „Da fließt Woche für Woche viel Herzblut rein“, so der Azubi, der sich nicht nur bei der Menüplanung auf die Unterstützung des Teams verlassen kann. „Für Fragen hat hier jeder ein offenes Ohr.“
Trotz Lockdowns sammelten auch die insgesamt fünf Azubis der Maßschneider viel Praxiserfahrung. Das Spektrum des saloninternen „Lehrplans“ reichte von Produktschulungen bis hin zu Schnitttechniken. „Wir haben beispielsweise gelernt, wie sich das Abteilen der Haare auf den Schnitt aber auch auf das Styling beim Föhnen auswirkt“ erzählt Lola Hartmann. Die Scheren- und Kammhaltung hat sie in den vergangenen Wochen ebenso trainiert, wie den Umgang mit der Rundbürste beim Föhnen. „Für das Schneiden selbst stehen uns Übungsköpfe zur Verfügung“, so Lola Hartmann, die zurzeit eine sogenannte Einstiegsqualifizierung, kurz EQJ, in dem Bielefelder Friseursalon absolviert. Das betriebliche Langzeitpraktikum ist für sie die Brücke zur Ausbildung, die im August dieses Jahres beginnt. „Ich hoffe, dass ich dann direkt ins zweite Ausbildungsjahr wechseln kann.“ Die Berufsschule besucht sie bereits seit dem letzten Jahr. Zweimal in der Woche findet zurzeit Online-Unterricht statt. Die feste Struktur sorgt – auch darüber ist die junge Bielefelderin froh – für einen geregelten Alltag. „Wir fangen im Augenblick früher an und hören auch früher auf, statt bis 22 Uhr und länger zu arbeiten.“
Anders als normal – das ist der Alltag für die Azubis auf jeden Fall. „Ich vermisse den Alltag mit den Kunden. Es macht mir einfach viel Spaß, Menschen mit einem Haarschnitt, Farbe und Styling glücklich zu machen“, betont Lola Hartmann, während sich Phil Wache darauf freut, wieder im Klassenverband der Berufsschule zu lernen. Und Alexander Höhe blickt dem Tag entgegen, an dem die Gäste ihren Kopf wieder kurz in die Küche stecken.
Pflegeschule am Evangelischen Klinikum Bethel
Virtuelle Realität in der Pflegeausbildung
Die Pflegeschule des Evangelischen Klinikums Bethel setzt zukünftig Virtuelle Realität (VR) in der Ausbildung von Pflegekräften ein. Der Blick durch eine spezielle dreidimensionale Brille versetzt Auszubildende in Szenarien, die sie später in ihrem Berufsalltag meistern müssen. Den Anfang machen jetzt Lehrkräfte und Praxisanleitende, die lernen, neue virtuelle Lernumgebungen zu entwerfen.
„Ich stehe ja in unserem Demonstrationsraum!“, staunt Praxisanleiter Michael Kolbe. In Wahrheit befindet er sich in einem Klassenzimmer und trägt eine VR-Brille im Gesicht. In der virtuellen Realität – meist englisch mit Virtual Reality bezeichnet – nehmen Menschen mit Hilfe dieser Brille eine am Computer entworfene Realität so wahr, als seien sie tatsächlich dort. „Für die Pflegeausbildung schafft diese Technik ganz neue Möglichkeiten“, erklärt Petra Krause, Leiterin der Gesundheitsschulen am EvKB, zu der auch die Pflegeschule gehört. „Wir bekommen dadurch eine zusätzliche Lernumgebung, in der die Auszubildenden ihr Wissen anwenden können und in der sie vor allem auch Fehler machen dürfen.“
Ob die Lagerung von Patienten, der Umgang mit hilfebedürftigen Menschen oder die Blutabnahme – die Einsatzmöglichkeiten oder vielmehr die Szenarien scheinen grenzenlos. Jedes einzelne muss aber entworfen und virtuell erstellt werden. Um das umzusetzen werden Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz benötigt. Die vermittelt ein Team aus Mitarbeitenden der Fachhochschule Bielefeld, der Universität Bielefeld und des Vereins Neue Wege des Lernens. „Ziel ist, dass Praxisanleitende und Lehrkräfte die Lernaufgaben in Tandems entwickeln“, erklärt Christiane Freese, eine von drei Projektleiterinnen an der FH Bielefeld. „Wir sind gespannt, welche Ideen die Lehrenden für die Themen ihrer Lernaufgaben mitbringen.“ Die fertiggestellten virtuellen Lernumgebungen werden von der FH Bielefeld im Internet zur Verfügung gestellt. So können unterschiedliche Bildungseinrichtungen voneinander profitieren. Judith Kreuziger, stellvertretende Leitung der Pflegeschule, freut sich darauf, die virtuelle Realität in der Ausbildung zur Realität werden zu lassen und damit junge Menschen zu begeistern. „Wir planen, VR noch in diesem Jahr in der Pflegeausbildung einzusetzen“, so Kreuziger.
Ermöglicht wird die Fortbildung durch das Verbundprojekt „Virtual Reality basierte Digital Reusable Learning Objects in der Pflege (ViRDiPA)“. Das wird innerhalb des Programms „Digitale Medien in der beruflichen Bildung von Gesundheitsberufen (DigiMed)“ für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Europäischen Sozialfonds gefördert.
WAS GEHT?
Allein in Bielefeld machen 1.454 Jugendliche eine Ausbildung im Handwerk. Dabei wurden 2020 508 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Die Corona-Pandemie hat die Suche nach dem richtigen Ausbildungsberuf und –platz erschwert. Neben der Bereitschaft auszubilden, braucht es nämlich auch Formate, um beide Parteien zusammenzubringen. Ein Gespräch mit Carl-Christian Goll, Leiter des Geschäftsbereichs Berufsbildung der Handwerkskammer OWL.
Die Ausbildungsbereitschaft im ostwestfälisch-lippischen Handwerk ist weiterhin sehr hoch. Unsere Betriebe brauchen und suchen Fachkräfte. Das gilt auch für die Branchen, die vom Lockdown besonders hart betroffen sind und waren, wie die Lebensmittelhandwerke und die Friseure. Die Ausbildungszahlen im regionalen Handwerk sind in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich gestiegen. Im „Corona“-Jahr 2020 mussten wir in unserem Wirtschaftszweig zwar einen Rückgang verbuchen, dieser fällt, schaut man in andere Branchen, allerdings vergleichsweise gering aus. Viele junge Leute erkennen, dass das Handwerk echte „In“-Berufe bietet.
Die Handwerkskammer hat gleich zu Beginn der Pandemie im letzten Jahr eine Ausbildungshotline eingerichtet. Parallel dazu bietet die Kammer alle Beratungsgespräche in digitaler Form. Die Gespräche von „Angesicht-zu-Angesicht“ über den Bildschirm werden von jungen Leuten sehr gut angenommen. Wir stellen sogar fest, dass Interessenten, die zunächst unverbindlich anrufen, sich schließlich für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden. Wir haben Speeddatings digital durchgeführt, Ausbildungsbetriebe und potenzielle Auszubildende haben sich dabei online kennengelernt. Die Ausbildungsbotschafter, das sind Auszubildende, die ihren Beruf vor Schulklassen vorstellen und mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren, sind ebenfalls digital im Einsatz.
Wir gehen derzeit davon aus, dass sich die Ausbildungszahlen im Handwerk stabilisieren und sich mittelfristig wieder nach oben entwickeln. Außerdem stellen wir fest, dass das Handwerk in der Krise deutlich an Wertschätzung gewonnen hat. Nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer haben erkannt, dass das Handwerk gut bezahlte, sichere und zukunftsorientierte Ausbildungsplätze bietet.
www.handwerk-owl.de
Ausbildungshotline der Handwerkskammer: 0521 – 5608-333