Helfer auf vier Pfoten
„Ich habe sämtliche Nachbarschaftshunde ausgeführt“, erzählt Solveig Burauen. Ihren ersten eigenen Hund hatte sie mit 17 Jahren. Sie hieß Ronja, war eine mittelgroße Mischlingshündin mit kurzem Fell und Schlappohren und für die heute 42-Jährige ein Anlass zuhause auszuziehen. Seitdem hat sie immer einen Hund an ihrer Seite gehabt. „Sie sind ein Teil meines Lebens“, sagt die Wahl-Bielefelderin, die sich auf die qualifizierte Ausbildung von Assistenzhunden spezialisiert hat. Neben Blindenführhunden bildet sie Diabetikerwarnhunde, Rollstuhl-Begleithunde und PTBS-Assistenzhunde aus.
„Viele hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen suchen händeringend einen Blindenführhund“, weiß die gebürtige Kölnerin, die vor gut zwei Jahren von Köln nach Bielefeld zog. „Die Nachfrage ist viel höher als das Angebot. Wenn ich einen ausgebildeten Hund abgeben kann, muss ich rund zwölf Menschen absagen.“ Für viele Betroffene ist das schwer, denn die Hunde sind kostbare Helfer im Alltag, sorgen für mehr Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit. Es ist übrigens eine Leistung, die im Hilfsmittelkatalog gelistet ist und die die gesetzliche Krankenkasse übernimmt.
Solveig Burauen wuchs mit dem Selbstverständnis auf, dass es Menschen mit und ohne Handicaps gibt und fand bereits als Kind Blindenhunde interessant. Jahre später, während eines Studentenjobs – sie arbeitete als Alltagshilfe für Sehbehinderte und blinde Menschen in Hamburg – entstand dann die Idee, selbst Blindenführhunde auszubilden. „Nicht zuletzt, weil mich meine damalige Hündin Ronja bei der Arbeit mit den Klienten immer begleitete“, so die Wahl-Bielefelderin. Sie hing ihr Studium der Finnougristik an den Nagel und entschied sich für eine Ausbildung zur tiermedizinischen Fachangestellten. „Anders als in der Schweiz oder den USA gibt es in Deutschland bis heute keine staatlich anerkannte Ausbildung zum Blindenführhundtrainer“, erklärt Solveig Burauen, die schließlich in der Eifel eine einjährige Weiterbildung zur Behindertenbegleithund- und Blindenführhundtrainerin anschloss.
Wenn ich einen ausgebildeten Hund abgeben kann, muss ich rund zwölf Menschen absagen.“ – Solveig Burauen
Bis ein „Halter-Hund-Gespann“ gemeinsam zielsicher durch dichten Verkehr geht, Straßen überquert und Geschäfte aufsucht, braucht es zwei Jahre Ausbildungszeit. Denn das, was spielerisch leicht aussieht, bedeutet äußerste Konzentration für Hund und Halter. „Das Ganze ist ein Projekt und beginnt mit dem Aussuchen eines geeigneten Welpen, der neben einer sehr guten Gesundheit viele weitere Voraussetzungen für eine Ausbildung mitbringen muss“, sagt Solveig Burauen, die sich zunächst die Elterntiere genau anschaut. Denn es braucht freundliche, menschenbezogene, ausgeglichene und trotzdem fleißige Tiere, die Spaß am Lernen mitbringen und gerne mit Menschen arbeiten. „Manche Rassen wie zum Beispiel Wächter- und Herdenschutzhunde oder Jagdhunde lassen sich generell ausschließen“, erklärt die Blindenführhundtrainerin. Geeignet sind dagegen Labradore, Retriever, Großpudel und Elos. „Gut ist oft auch ein Mix“, weiß Solveig Burauen, die auch die Rückenhöhe im Blick hat. Sie sollte zwischen 55 und 65 Zentimeter liegen.
Gerade ist ein schokofarbener Labrador bei ihr eingezogen. Es ist der inzwischen fünfte Hund, den Solveig Burauen vom gleichen Züchter hat. „Sind die Welpen sechs Wochen alt, testen wir, welcher wohl der beste Kandidat ist.“ Das Geschlecht, ob Hündin oder Rüde, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. „Es geht eher um die Persönlichkeit“, so die 42-Jährige, die schaut, wie die Welpen u.a. auf Schreck reagieren und wie die Erholungszeit danach aussieht. „Das sind wichtige Indikatoren für das Gefahrenbewusstsein.“ Zwei bis drei Hunde bildet sie in der Regel parallel aus. „Den Abstand von acht bis zwölf Monaten findet sie ideal, damit die Hunde voneinander lernen. „Die gucken sich zwar auch den Unsinn voneinander ab, aber nutzen sich eben auch als Vorbilder“, stellt sie mit einem Schmunzeln fest.
Die zweijährige Ausbildung erfolgt nach den altersentsprechenden Entwicklungsstufen. Die Welpen lernen erst einmal das Zusammenleben mit Menschen. „Das Junghundtraining konzentriert sich auf die Lebens- und Umweltsituationen, denen die Hunde später auch in ihrem Job begegnen“, so Solveig Burauen. Dazu gehören Gänge durch Fußgängerzonen ebenso wie die Nutzung von Linienbussen oder das Kennenlernen von Bahnhöfen und Zügen. Sind die Hunde ein Jahr alt, wartet die erste größere Hürde: eine tierärztliche Untersuchung. „Erst danach werden die Tiere zur Ausbildung zugelassen“, so die Trainerin.
Das Führtraining im zweiten Lebensjahr baut auf bereits Gelerntem auf, beinhaltet aber natürlich Elemente, die andere Hunde nicht benötigen. „Das beginnt schon mit dem Anlegen des weißen Führgeschirrs. Wenn die Hunde dies tragen, arbeiten sie und laufen beispielsweise gleichförmig geradeaus. Das muss geübt werden“, betont Solveig Burauen. Ebenso, wie alle Verlockungen links liegen lassen zu können, Nahziele anzusteuern, vor Bordsteinkanten stehen zu bleiben oder Hindernissen wie E-Scootern, abgestellten Fahrrädern, Blumenkübeln oder Passanten auszuweichen und Höhenhindernisse wie Schranken zu umlaufen. „Das setzen ausgebildete Blindenführhunde selbständig ohne ein Hörzeichen zuverlässig um.“ Solveig Burauen weiß, worauf sie bei der Ausbildung der Hunde achten muss, die den Menschen als Orientierungshilfe dienen. Schließlich müssen hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen später den Bewegungen ihres Hundes, die über das Führgeschirr vermittelt werden, folgen.
Darüber hinaus lernen die Hunde unterschiedlichste Hörzeichen zuzuordnen und lassen darauf Aktionen folgen. Das heißt: Der zweibeinige Part sagt, was passieren soll und der Hund führt es aus. Und der Hund findet, entsprechend unterschiedlicher Hörzeichen Treppen und Türen, Ampeln, Zebrastreifen und freie Sitzplätze. „Widersetzt sich der Hund dem Hörzeichen zum Gehen, dann nur, weil beispielsweise die zu überquerende Straße nicht frei ist. Sich vom Hund führen zu lassen, heißt absolutes Vertrauen zu haben und selbst die Kontrolle abzugeben“, unterstreicht Solveig Burauen, der die hohen Anforderungen an die Hunde bewusst sind.
Daher ist Freizeit als Ausgleich auch für Blindenführhunde wichtig. „Wenn die Leine im Park gelöst wird, ist das ein solcher Moment“, erklärt die Hundetrainerin. Und da die Hunde am Halsband ein Glöckchen tragen, weiß ihre Besitzer*in auch, wie schnell sie sich bewegen und wie weit sie entfernt sind. „Der Rückruf muss natürlich zuverlässig erfüllt werden“, sagt Solveig Burauen, die Mensch und Tier im Rahmen eines vier- bis sechswöchigen Einweisungslehrgang zusammenbringt. Und weiß, dass es im Umgang mit dem Hund ganz maßgeblich ist, wie viel Interesse Menschen an ihrer Begleitung haben. „Es ist viel, was auch die Menschen lernen müssen“, betont sie. „Denn es gehört alles dazu, was das Thema Hund mit sich bringt.“ Die ausgebildeten Hunde abzugeben, ist auch für die Hundetrainerin eine große Aufgabe. „Sie sind auch für mich Familienmitglieder und es besteht eine starke Bindung. Dennoch ist es ein schöner Prozess, weil wir daraufhin gearbeitet haben und es schön zu sehen ist, wie zwei voneinander profitieren“, resümiert die Blindenführhundtrainerin, die sich idealere Bedingungen wünscht, um Blindenführhunde auszubilden und mehr Zutrittsrechte für Menschen mit ihren ausgebildeten Begleitern. Ihren eigenen Hund – eine siebenjährige Colliehündin, die auf den Namen Joy hört – , hat sie übrigens als Diabetikerwarnhund und für die Arbeit mit Demenzkranken ausgebildet. „Aber das ist noch ein anderes Thema“, sagt die 42-Jährige, die damit begonnen hat ein bundesweites Netzwerk ins Leben zu rufen.
1916 eröffnete in Oldenburg die erste Schule für Blindenführhunde