AT YOUR DOORSTEP
KAMMEROPER AUF ZWEI KONTINENTEN
„Schreiben Sie das lieber nicht“, lacht July Zuma. Aber manchmal hat der Opernsänger schon den Eindruck, dass viele Menschen in Deutschland sich in einer geschützten Blase bewegen. Keine existentiellen Probleme haben. „Das Lebensgefühl in Südafrika ist ein ganz anderes. Wir leben von Tag zu Tag, denn für die Zukunft gibt es keine Garantie. Wenn ich keine Arbeit habe oder krank werde, kann ich meine Kinder nicht ernähren und kein Sozialsystem fängt mich auf.“ Grundverschiedene Welten also, die sich in der Kammeroper „At Your Doorstep“ auf ungewöhnliche Art begegnen.
Die Idee dazu stammt von Regisseur Robert Lehmeier, der das Libretto unter Mitwirkung junger Autor*innen in den eigens gegründeten Jugendclubs in Johannesburg und Bielefeld geschrieben hat. Die Kammeroper spürt ihren politischen Sorgen, privaten Nöten, Hoffnungen und Sehnsüchten nach. „Auf beiden Seiten habe ich zum Beispiel nach der Bedeutung von Heimat und Vertrauen gefragt und welche Erfahrungen die Jugendlichen mit Online-Dating haben“, so der Regisseur. Eine zentrale Frage für das Stück, denn die Handlung ist wie ein Chatverlauf aufgebaut, dem das Publikum live folgt. „Das braucht eine irrsinnige Logistik, denn im Grunde sind es zwei Produktionen, die gleichzeitig laufen.“ Die gut einstündige Handlung in deutscher und englischer Sprache findet parallel in Bielefeld und in Johannesburg statt; der jeweils andere Teil wird dabei filmisch übertragen. Ein Publikumsgespräch mit dem Ensemble bringt zudem nach den ersten drei Vorstellungen die Zuschauer*innen in Bielefeld und Johannesburg digital zusammen.
Im Zentrum von „At Your Doorstep“ stehen zwei Personen: Eine junge Frau aus Bielefeld, die sich zuhause einigelt, und ein junger Mann aus Johannesburg, der oft auf der Straße lebt. Getroffen haben sie sich nie, aber sie chatten miteinander und verlieben sich. Sie vertraut ihm an, dass sie Angst hat, seitdem ihr Vater vor langer Zeit ausgezogen ist. Angst, rauszugehen, Angst vor anderen Menschen, Angst vor der Zukunft.
Er erzählt, wie er mit seiner Schwester aus einem anderen Land nach Südafrika geflüchtet ist – zwei Kinder mit nichts als einem Koffer. „One World“: Das wird ihr Zauberwort, ihr Code, ihre Vision. „Aber was heißt verbunden sein? Geht das überhaupt im Internet und was würde es bedeuten, wenn es real würde, sich einer wirklich in den Flieger setzt? Was ist echt, was ist fake?“, fragt Robert Lehmeier.
„Dabei geht es auch um die kulturelle Komponente: Welche Vorstellungen vom Leben hat man, was gibt es auf beiden Seiten an Vorurteilen und wo beginnt Rassismus?“ „Unterschiedliche Lebenswelten ins Bewusstsein zu bringen, ist wichtig“, unterstreicht Nokuthula Magubane, die in dem Stück die Schwester des jungen Mannes spielt. Die Opernsängerin aus Johannesburg ist überzeugt, dass Projekte wie „At Your Doorstep“ dazu beitragen können, dass sich Menschen eben nicht in ihrer Blase einrichten. „Die Oper kann einen Schalter umlegen. Etwas macht klick und führt dazu, dass wir etwas verändern möchten.“ „One World“, das heißt für sie: „Wir müssen Wege finden, miteinander zu leben.“ Musikalisch beschreitet die Kammeroper so einen Weg, denn mit zwei Komponisten aus Südafrika und Deutschland begegnen sich auch klanglich Welten. Zwei Handschriften, aber eine gemeinsame Partitur. „Ein spannendes Projekt“, findet Matthew MacFarlane, „und eine großartige Lernerfahrung.“ Er selbst lebt in Johannesburg, komponiert dort häufig für zeitgenössischen Tanz, hat aber auch eine Kinderoper geschrieben. Für „At Your Doorstep“ bezieht er Einflüsse populärer Musik aus Zimbabwe und Südafrika ein. „Marc Vogler und ich tauschen uns über unseren Zugang zur Musik aus. Anfangs haben wir uns jede Zeile zugeschickt“, lacht der Südafrikaner. „Aber wir haben schnell gemerkt: Das passt zusammen.“