BIELEFELDER GESPRÄCH
Es ist so einiges in Bewegung. Nicht zuletzt die Bundestagswahl im vergangenen September hat gezeigt, dass sich die Menschen nach Veränderungen sehnen. Besonders im Hinblick auf die drängendsten Themen unserer Zeit: Klimaschutz, ökologischer Umbau der Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Digitalisierung; kurz: die Zukunftsfähigkeit unseres Landes im europäischen Kontext. Was ist von dieser Aufbruchsstimmung in Bielefeld zu spüren? Eine ganze Menge, wie unser Bielefelder Gespräch zeigte. In einer lebhaften Runde in den Räumlichkeiten der Founders Foundation erzählten Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Handel, Gastronomie, Handwerk, Kunst und Kultur, Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung und den Hochschulen, was sie und was Bielefeld bewegt.
Ganz klar: Die Zeichen stehen auf Aufbruch. „Wir wollen gestalten und verstehen unsere Rolle dabei als Anstifter und Vorreiter“, macht Dominik Gross, Geschäftsführer der Founders Foundation, gleich zu Beginn deutlich. Mit seinem Team war er gerade an der Ostsee, um sich „offsite“ kreativ auszutauschen und fern des heimischen Arbeitsplatzes eine andere Perspektive auf globale Trends der Zukunft einzunehmen und zu prüfen wie diese für die nächste Gründerinnen-Generation relevant sein werden. „Europa muss einen eigenen Weg finden“, betont Dominik Gross. Weder die von überschäumendem Unternehmertum in privater Hand geprägten USA noch die stark staatlich geprägte chinesische Wirtschaft taugen als Vorbild. Was funktioniert aber künftig? „Die Sustainable Development Goals der UN sind Gründerinnen-Talenten beispielsweise wichtig. Sie wollen nachhaltig unterwegs sein.“ Auch Health Tech oder Education Tech Start-ups erleben gerade einen Boom. Gesundheit und Bildung werden als wichtige Zukunftsthemen und erfolgversprechende Märkte identifiziert. Wie können beispielsweise Automatisierung und KI helfen, Pflegekräfte zu entlasten oder Prozesse in Bildungseinrichtungen zu vereinfachen?
Netzwerken und „Community“ gehören zur DNA der Founders Foundation. Eindrückliches Beispiel dafür ist die jährliche „Hinterland of Things“. Die hochkarätig besetzte Tech-Konferenz hat sich als Plattform für den persönlichen Austausch zwischen führenden Köpfen der internationalen Start-up-Szene und der traditionellen Wirtschaft etabliert. „Die nächste Konferenz am 1. Juni 2022 steht ganz unter dem Motto ‚Celebrating Entrepreneurship Together‘“, so Dominik Gross. „Im Sinne des ganzheitlichen Wandels wollen wir sowohl heutige als auch zukünftige Innovationstreiber aus sämtlichen Bereichen zusammenbringen, um gemeinsam etwas zu bewegen. Den Umbau der Industrie in Hinblick auf Klimaneutralität ist etwas, das man nur gemeinsam schaffen kann. Bei all den Veränderungen und Innovationen müssen wir die Menschen mitnehmen und entsprechend ausbilden.“
MEHR MITEINANDER
Das Thema „Gemeinsamkeit“ beschäftigt auch Martin Knabenreich, Geschäftsführer der Bielefeld Marketing. „Wir brauchen einen Perspektivwechsel über alle städtischen Institutionen hinweg. Wir müssen aus dieser Meckerhaltung herauskommen und eine intensive Diskussion darüber führen, was in Bielefeld gut läuft und wo es hakt. Wir können zum Beispiel beim Jahnplatz anfangen. Wir können uns darüber beschweren, dass der zentrale Platz der Stadt zwei Jahre lang eine Großbaustelle ist. Oder wir machen uns jetzt darüber Gedanken, was wir positives mit dem Jahnplatz anfangen können, wenn er fertig ist.“
Auch Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, plädiert für ein Miteinander. Denn gegeneinander seien die Herausforderungen wie Klimaschutz, Verkehrswende oder die Bewältigung der Corona Pandemie nicht zu stemmen. „Als IHK werden wir 2022 viele wichtige Projekte für die heimische Wirtschaft anbieten. Im Fokus stehen Klimaschutz, Digitalisierung, Fachkräftesicherung, neue Mobilitäts- und Innenstadtkonzepte. Wir müssen eine Befriedung schaffen, alle Kräfte zusammenführen und den Zusammenhalt in Ostwestfalen-Lippe stärken. Auch bei der REGIONALE 2022 unter dem Titel „UrbanLand“ werden die Zukunftsthemen mit innovativen Lösungen in den Projekten angegangen. So gibt es viele spannende Projekte, zum Beispiel zu intelligenten Mobilitätsangeboten, smarter Agrarwirtschaft, und es geht nicht zuletzt darum, klugen Köpfen eine zukunftsfähige und attraktive Heimat zu bieten. Ein mehr als wichtiger Beitrag zur Fachkräftesicherung in OWL.“
WANDEL WILLKOMMEN
Damit rennt sie bei Christina Végh offene Türen ein. „Nur wenn wir gemeinsam am selben Strick ziehen, können wir OWL sichtbarer machen. Jeder Ort ist so gut wie die Menschen gemeinsam sind“, sagt die Leiterin der Kunsthalle Bielefeld. „Es ist wichtig, die Menschen mitzunehmen, zum Beispiel bei der Verkehrswende. Der Verkehrsversuch hier in der Altstadt war aus meiner Sicht nicht hinreichend durchdacht und organisiert. Wenn wir es grüner haben wollen, heißt das nicht einfach Reduktion oder Sperrung, sondern Veränderung und zuerst einmal Investitionen in den öffentlichen Verkehr, in Leitsysteme, alternative Parkplätze, Fahrradwege. Bei der bevorstehenden Sanierung und Modernisierung der Kunsthalle geht es im Übrigen auch um Zukunftsfähigkeit, ökologische Fragestellungen sind dabei zentral. Als Schweizerin bin ich in einer direkten Demokratie sozialisiert, mit einer viel stärkeren Beteiligung der Bürger*innen. Wenn man von Beteiligung spricht, muss man es ernst meinen. Es ist wichtig, Bilder zu entwickeln, wie Wandel und Veränderung aussehen können. Wenn man kein Bild davon hat, wohin man will, kann man nicht überzeugen und die Leuten nicht mitnehmen. Kunst und Kultur sind Orte, wo solche Bilder geschaffen und öffentlich verhandelt werden. Im Übrigen habe ich großen Respekt vor den jüngeren Generationen, die schon vor der Pandemie, aber nun nachdem sie davon leider nachhaltig geprägt sind, ganz anders als unsere Generationen in Zukunft für wichtige Veränderungen einstehen werden.
Der jungen Generation gilt auch die Aufmerksamkeit von Dr. Jens Prager, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld. „Mich begeistert, mit welchem Einsatz und Nachdruck die Jugendlichen ihrem berechtigten Wunsch nach einem grundlegenden Wandel unseres Zusammenlebens und Wirtschaftens Ausdruck verleihen. Wenn wir eine Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften schaffen wollen, brauchen wir jeden jungen Menschen im Handwerk. Denn es sind die Handwerkerinnen und Handwerker vor Ort, die als Umsetzer der Energie- und Mobilitätswende eine entscheidende Rolle bei der digitalen Umgestaltung der Wirtschaft und der Gestaltung des Klimawandels spielen. Ich bin sicher, dass immer mehr Jugendliche erkennen: Das Handwerk hat einen goldenen Boden, ein grünes Herz und bietet mir die Chance auf aktive Mitgestaltung des notwendigen Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit.“
Diese Begeisterung für einen Wandel verspürt auch WEGE Prokuristin Brigitte Meier bei der Unternehmerschaft. „Ich bin schon etliche Jahre in der Wirtschaftsförderung tätig, aber ich habe noch nie eine solche Motivation erlebt wie jetzt, sich für mehr nachhaltiges und klimaneutrales Wirtschaften im eigenen Unternehmen zu positionieren. Es ist beeindruckend, wie viele mittelständische Unternehmen, Start-ups und ansässige globale Player sich bereits auf den Weg gemacht haben, ihre Maßnahmen verstärken wollen oder diese neu planen. Als WEGE zeigen wir Best-Practice-Beispiele, organisieren kollegialen Austausch und wissen, wer fachlich unterstützen kann. Was ich häufig höre, ist, dass die grüne Transformation als absolut notwendig, äußerst komplex und zugleich chancenreich gesehen wird.“
PERMANENTE VERÄNDERUNG
Die FH Bielefeld ist selbst mittendrin im Wandel. Mit einem neuen Präsidium und neuen Ressorts, wie Dr. Lars Kruse, Leiter Hochschulkommunikation der FH Bielefeld, berichtet. „Die FH wird internationaler, denn es ist absehbar, dass wir ohne ausländische Studierende nicht dieselbe Größe beibehalten werden können.“ An den Ressorts Forschung und Entwicklung, Internationales und Digitalisierung, Nachhaltigkeit und strategisches Human Resource Management lässt sich die neue Ausrichtung der Fachhochschule ablesen. Angesprochen auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie äußerte Kruse, dass ein stärkeres Miteinander zu begrüßen sei, aber dabei dürften Unterschiede oder Kritik nicht unter den Teppich gekehrt werden. Dem stimmten alle Beteiligten in der Runde zu. Eine andere Facette von Miteinander hat Regine Tönsing, Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Ostwestfalen in den vergangenen zwei Jahren erlebt. „Wir in der Gastronomie haben aufgrund der Corona-Pandemie eine schwere und lehrreiche Zeit hinter uns. Aber wir gehen das zusammen an und sprechen mit einer Sprache. Bei der Digitalisierung stehen wir noch sehr am Anfang. Wir sind eher analog unterwegs und arbeiten viel mit den Händen. Aber wir sehen, dass die Digitalisierung Chancen für uns Dienstleister bietet. Das ist ein Wandel, der uns in nächster Zeit intensiv begleiten wird.“ Ähnlich wie in der Gastronomie hat auch der Handel eine schwere Zeit erlebt. „Dies hat aber auch zu einem ,Zusammenrücken’ geführt“, stellt Thomas Kunz, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Ostwestfalen-Lippe e. V. fest. „Der ständige Austausch zwischen den Werbegemeinschaften, Bielefeld Marketing und dem Handelsverband hat bei allen Akteuren zu einer Kommunikation der kurzen Wege geführt. Dadurch konnten viele Dinge schnell und unbürokratisch gelöst werden. Dies wird sich auch zukünftig positiv auswirken.“ Mehr Miteinander wünscht sich Pastor Ulrich Pohl, Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, von der Bielefelder Verwaltung. Mit Blick auf die Baustellen in der Stadt und insbesondere in Bethel sagt er: „Es kann nicht Sinn einer vernünftigen Verkehrsplanung sein, dass Menschen nicht mit dem Pkw zum Krankenhaus gelangen. Da hätte ich mir gewünscht, dass wir vorher in die Planungen miteinbezogen werden.“ Mittlerweile werden zusammen mit der IHK Gespräche mit dem Oberbürgermeister geführt, die hoffen lassen. Sorge macht dem Vorstandsvorsitzenden der v. Bodelschwinghschen Stiftungen der Mangel an Pflegekräften, sowohl im Krankenhaus als auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und in den Altenheimen. Insgesamt fehlen bundesweit schätzungsweise 200.000 Kräfte. „Mit unserem Programm Bethel International holen wir sonst jedes Jahr 40 Kräfte aus dem Ausland. Das hat dieses Jahr nicht funktioniert, weil keine Visa zu bekommen waren.“
DIE GESPRÄCHSRUNDE
Dominik Gross, Geschäftsführer Founders Foundation
Martin Knabenreich, Geschäftsführer der Bielefeld Marketing GmbH
Dr. Lars Kruse, Leiter Hochschulkommunikation der FH Bielefeld
Brigitte Meier, Prokuristin der WEGE mbH
Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld
Pastor Ulrich Pohl, Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Regine Tönsing, Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Ostwestfalen
Christina Végh, Leiterin der Kunsthalle Bielefeld
Thomas Kunz, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Ostwestfalen-Lippe e. V.
Dr. Jens Prager, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld