LEBENSMITTEL RETTEN UND SPENDEN
Eigentlich hatten meine Kollegin Caro und ich uns das anders vorgestellt. Wir wollten mit anpacken, die Ehrenamtlichen der Tafel Bielefeld e. V. tatkräftig unterstützen. Doch wir merken schnell, dass wir dem eingespielten Team eher im Weg wären. Und ohne eine mehrstündige Einweisung in die Lebensmittelhygiene dürften wir eh nicht loslegen. Stattdessen gewährt uns Thomas Doussier einen spannenden Blick hinter die Kulissen. Der 1. Vorsitzende bildet mit Stephanie Möllers und Michael Bültmann den Vorstand des Vereins.
Als wir um 9.30 Uhr am Rabenhof 22 ankommen, sind die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen gerade dabei, mit geübten Handgriffen die Spreu vom Weizen zu trennen. Aus einer Packung mit Tomaten picken sie die unbeschädigten Exemplare raus oder entscheiden, welche Paprika noch genießbar ist. Während wir vermutlich bei jedem einzelnen Apfel grübeln würden, ob er noch „gut“ ist, geht das bei ihnen blitzschnell. Längst fertig gepackt sind die Papiertüten mit Backwaren. Fein säuberlich in Reih und Glied stehen auch die mit verderblicher Frischware wie Wurst oder Milchprodukten gefüllten Taschen im Kühlhaus. Eine Mehrarbeit, die vor der Corona-Pandemie nicht erforderlich war. Eigentlich sieht es in der großen Halle nämlich beinahe aus wie in einem Supermarkt, der nur auf seine KundInnen wartet. Ganze Paletten mit haltbaren Lebensmitteln stapeln sich hier neben Kleidung und Hygieneartikeln. „Das Problem ist, dass die Menschen nicht mehr einfach reinkommen und sich etwas aussuchen dürfen“, erklärt Thomas Doussier. „Ungeimpfte können wir nicht reinlassen, also haben wir zur Sicherheit die gesamte Ausgabe nach draußen verlegt.“ Jede(r) kommt nach einer festen Terminvergabe und erhält die fertig gepackten Lebensmittel – nach Wahl vegetarisch oder mit Fleisch und bei letzterem mit oder ohne Schweinefleisch. „Durch diese geregelte Übergabe fällt auch der Small Talk weg, darunter leiden wir sehr“, sagt Thomas Doussier, der den Vorsitz nach langjährigem Engagement fast exakt mit Beginn der Pandemie übernommen hat.
Auch ohne Corona sind die Abläufe komplexer als gedacht. Wir verstehen schnell, warum dieses Ehrenamt eher ein Vollzeitjob ist, als Thomas Doussier uns unter anderem von strengen lebensmittelrechtlichen Vorgaben und der schwierigen finanziellen Lage berichtet. Eigentlich bräuchte die Tafel zwei neue Transporter und das Dach ist undicht. „Wir finanzieren uns rein über Spenden, aber andererseits verweist die Stadt Menschen auf die Tafel, wenn sie mit ihrem Geld nicht auskommen. Dabei ist die Grundversorgung bei Hartz IV eine Lachnummer, das geht an der Lebensrealität komplett vorbei.“
Die Zahlen bestätigen das. Etwa 2.500 Bedürftige kommen regelmäßig. Ältere, die von ihrer kleinen Rente nicht leben können, ebenso wie Alleinerziehende und sogenannte Hartz IV-Aufstocker. Gegen ein symbolisches Entgelt von fünf Euro erhalten sie Waren, die gut zwei Tage in der Woche überbrücken. Inzwischen ist es 12 Uhr. Die Ausgabe beginnt. Trotz kühler Temperaturen und Nieselregen stellen sich die meisten Menschen geduldig und mit Abstand in die Schlange. Wir fühlen uns als „Zuschauer“ wieder einmal nutzlos. Aber vielleicht können wir mit diesem Bericht wenigstens dazu beitragen, dass sich die durch Corona eingebrochene Zahl der Ehrenamtlichen wieder erhöht.
Deutschlandweit retten über 950 Tafeln jährlich rund 265.000 Tonnen überschüssige, qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die ansonsten entsorgt würden. Auch die 1996 gegründete Tafel Bielefeld sammelt Lebensmittel bei Bäckereien, Supermärkten und Feinkostherstellern und verteilt sie an Bedürftige und Einrichtungen wie die Bahnhofsmission. Das Angebot kann von allen genutzt werden, die von einer niedrigen Rente, ALG 2 oder anderen Zuwendungen leben. Dafür benötigt der Verein den Jobcenter- oder Rentenbescheid sowie einen aktuellen Bielefeld-Pass. Die Ausgabe erfolgt in der Regel Dienstag bis Freitag zwischen 12-14 Uhr nach telefonischer Terminvereinbarung am Vortag.
www.tafel-bielefeld.de