SCIENCE-SEEING

Es ist kalt an diesem Sonntagmorgen. Doch trotz des ungemütlichen Wetters stehe ich bereits zusammen mit 12 weiteren Teilnehmer*innen um kurz vor elf an der Skulptur von Sandro Chia vor dem Neuen Rathaus. Der Treffpunkt für die Science-Seeing-Tour „Gesundheit“ durch Bielefeld.
Ein Stadtspaziergang, der Wissenschaft erlebbar macht, sich als unterhaltsam und interaktiv erweist und bei mir so manche Wissenslücke füllt.

Begrüßt werden wir von Gästeführerin Meike Brinkmann und ihrer Tandempartnerin Emilia Sposito, die Gesundheitskommunikation an der Uni Bielefeld studiert. Und damit wir die nächsten zwei Stunden nicht zu Eisblöcken erstarren, geht’s gleich ein paar Schritte rüber, hinein ins Alte Rathaus. So gestaltet sich der Auftakt für diese Tour, die Themen wie gesundes Leben, Medizin und Pflege in den Fokus rückt, völlig fröstelfrei. Nicht zuletzt, weil wir das Treppenhaus hinauf- und hinuntersteigen. Schließlich geht’s ja um das Thema Gesundheit und wir wollen selbst herauszufinden, was Muskulatur und Gelenke mehr beansprucht. Und wir sind der Frage auf der Spur, wie Muskelkater entsteht.

An dieser ersten von insgesamt sechs Stationen erklärt Meike Brinkmann außerdem, warum es diese neue Tour durch Bielefeld überhaupt gibt. Entstanden ist sie im Rahmen des „Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!“, initiiert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Alle Bürgerinnen konnten persönliche Fragen zur Wissenschaft stellen. „Es kamen 14.000 zusammen, sie wurden sortiert und für die Science-Seeing-Touren aufbereitet“, sagt Meike Brinkmann mit Blick auf das Projekt „Nachgefragt! Science-Seeing Touren durch Wissenschaftsstädte“ der Bielefeld Marketing und science2public e.V. in Halle (Saale). Die fachlichen Antworten zum Themenfeld Gesundheit stammen von Bielefelder Expertinnen und Wissenschaftler*innen aus dem Gesundheitssektor. Die Tour selbst zeigt, wo und wie diese Fragen in Bielefeld erlebbar werden. Eine Stadt, die mit Bethel über die größte diakonische Einrichtung in Europa verfügt und mit ihrer Hochschullandschaft für das Thema prädestiniert ist. Im Alten Rathaus stehen wir übrigens an einem Ort, der schon früh etwas mit dem Thema Gesundheit zu tun hatte. 1854 wurde hier Bielefelds erstes Krankenhaus gebaut.

Etwas später, 1869, entstand an der Stapenhorststraße das Franziskus Hospital, von Franziskanerschwestern gegründet und deshalb auch heute noch liebevoll „Klösterchen“ genannt. „Durch die Industrialisierung gab es zunehmend Bedarf an Krankenpflege, die meist von Schwestern aus Klöstern und Orden wahrgenommen wurde“, erklärt Meike Brinkmann. So widmeten sich bereits Ende des 15. Jahrhunderts Augustinerinnen in der Altstadt der Armen- und Krankenpflege. Die „Süstern“, niederdeutsch für Schwestern, gründeten hier das Schwesternhaus „Zum Mariental“. Der Name „Süsterhaus“ entstand und verhalf später der Süsterkirche zu ihrem Namen. Auch die Pflegestation der Gemeinde existiert noch heute und ist – im Gegensatz zu vielen anderen Pflegeeinrichtungen der Stadt – eine der wenigen diakonischen Einrichtungen Westfalens, die von einer einzelnen Gemeinde getragen wird.

Emilia Sposito schlägt angesichts des Mangels an Pflegekräften an dieser Stelle den Bogen zu der Frage, welche Rolle Roboter künftig in der Pflege spielen können. Sie entfacht damit eine lebhafte Diskussion innerhalb unserer Science-Seeing-Gruppe, die sich von Station zu Station den Weg durch die Innenstadt bahnt: Immer wieder spielen sich Meike Brinkmann und Emilia Sposito die Bälle zu, verknüpfen Stadtgeschichte und Kultur mit Gesundheitsthemen und Mitmachaktionen. Bei einer Balance-Challenge erleben wir, wie sich der unterschiedliche Körperschwerpunkt von Frauen und Männern auswirkt. Einer von vielen biologischen Unterschieden, der uns – während im Hintergrund Jonathan Borofskys Skulptur „Male/Female“ in den grauen Bielefelder Himmel ragt – bewusst macht, dass Medizin diese Unterschiede berücksichtigen müsste. „Es folgt eine Gleichbehandlung, obwohl eine Ungleichbehandlung sinnvoll wäre“, zitiert Emilia Sposito Dr. Gabriele Klärs von der FH Bielefeld. Ein Zitat, das je nach Sachlage auch in umgekehrter Form Sinn ergibt. Inzwischen nähern wir uns dem Ende der Führung und ich bin angesichts der nächsten Frage tiefenentspannt: An der Station beschäftigen wir uns nämlich damit, wie sich die körperliche Mobilität im Alter erhalten lässt. Die Antwort leuchtet ein: Bewegung. Als „Gesellschaft von Vielsitzern“ sollte sich jeder pro Woche mindestens fünf Stunden moderat bewegen. An diesem Sonntag ist ein Teil dieses Pensums jedenfalls „abgearbeitet“. Im Park der Menschenrechte, wo die ScienceSeeing-Tour schließlich endet, wird es dann noch einmal spannend. Es geht darum, inwiefern sich unser Körper an extremes Wetter anpassen kann. Das funktioniert nur bedingt – so viel ist klar.

Doch wir können auch aktiv werden, denn unsere Lebensführung wirkt sich auf das globale Klima aus. So sorgt der analoge Stadtspaziergang – im Netz gibt’s ihn auch digital – am Ende nicht nur dafür, sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Er spornt auch dazu an, Gesellschaft aktiv zu gestalten.

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