GERITTEN WIRD NICHT
Esel? Störrisch! Die Idee mit zwei Langohren zu einem Trekking aufzubrechen? Verwegen! An einem wolkenverhangenen Nachmittag stehe ich mit meinen Kolleginnen in Bielefeld Senne zum Eseltrekking. Hinter einem schweren Holztor liegt das Reich von Carla und Pedro Während uns Sandra Thyke – Mitgründerin vom Bielefelder Verein Natursinn, der das Eseltrekking für Groß und Klein anbietet – mit den Tieren vertraut macht, streicheln meine Kolleginnen Pia, Lynn und Aylin bereits begeistert den Wallach und die Stute.
Erfahrungen mit Eseln haben wir alle nicht. Aber Pedro und Clara machen es uns leicht. Und so lernen wir die Vorlieben und das Lebensprinzip Gelassenheit der Esel kennen. Und schließen in puncto Esel so manche vorurteilsbeladene Schublade. Bevor wir losziehen, führt uns Sandra Thyke aber erst einmal in das Verhalten, die Herkunft und die Bedürfnisse der Esel ein. „Anders als Pferde neigen Esel in Stresssituation nämlich nicht zur Flucht, sondern bleiben oft wie angewurzelt stehen. Das geschieht aus Vorsicht, Esel sind eigentlich Wüstenbewohner und das Stehenbleiben ist ein Überlebensprinzip. Daher flüchten sie nur in allergrößter Not.“ Denn das Risiko, sich lebensgefährlich bei einer kopflosen Flucht auf Sand und Geröll zu verletzen, ist groß. Vorsicht als Starrsinn auszulegen: unser Fehler. Wie die Zusammenarbeit zwischen uns und den Tieren klappt, erklärt uns Sandra Thyke mithilfe eines selbstgebauten Esel-Dummys. Der ist zwar nicht so weich wie Pedro und Carla, hält aber beim Anlegen der beiden Führstricke still.
Denn: Geritten wird nicht, wir führen die Esel. „Ziehen und zerren braucht es nicht“, sagt die Sozial- und Umweltpädagogin und Fachkraft für tiergestützte Interventionen/Pädagogik und demonstriert, wie es geht. Als hätten Pedro und Carla es geahnt, stehen sie jetzt neugierig neben unserer kleinen Gruppe und lassen sich die Führstricke anlegen. Der 22-jährige Wallach zeichnet sich durch Mehlbrille, Mehlschnute und seinen weißen Bauch aus. Carla, vier Jahre jünger, ist optisch dagegen ganz „graue Grande Dame“. „Allerdings deutlich agiler, aktiver und besonders lernwillig“, wie Sandra Thyke feststellt, die zurzeit von Yvonne Biller unterstützt wird, die eine Ausbildung zur Ergotherapeutin absolviert und als Praktikantin für tiergestützte Intervention bei Natursinn arbeitet. Und dann ziehen wir los: Lynn und Aylin machen den Anfang, nehmen Pedro in die Mitte, stellen sich parallel zu seinem Schulterkreuz auf, suchen Blickkontakt und gehen in die Vorwärtsbewegung. Pedro registriert‘s und zieht los. Die beiden Esel sind sehr neugierig, aber, wie sich später herausstellt, auch standhaft besonne Tiere. „Die Körpersprache macht’s“, lacht Sandra Thyke. „Klar in sich, aber auch authentisch zu sein, ist wichtig.“ Und so geht’s mit den zwei Langohren entschleunigt durch den Senner Wald. Langweilig wird es nicht. Zurück am Eselstall werden unsere zwei Begleiter – die Verwandtschaft mit Zebras lässt sich an den zebratypischen Streifen an ihren Beinen erkennen – mit Weidenruten versorgt. Sie rupfen behutsam, aber dennoch energisch und kraftvoll, die Blätter von den Zweigen und widmen sich im Anschluss der Rinde. Auch sie wird rückstandslos abgeknabbert. Als wir schließlich gehen und das schwere Holztor in die Angeln fällt, hören wir ein doppelstimmiges langgezogenes „Iiia“. Wie auf Bestellung, denn Sandra Thyke hatte uns schon bei der Begrüßung auf die liebevolle Verabschiedung eingestimmt. Esel, alles andere als dumm und stur. Eher unterschätzt und verkannt.
HIER GEHT WAS!
Als gemeinnütziger Verein und Träger der freien Jugendhilfe unterstützt NatURsinn e.V. durch naturerlebnispädagogische Angebote die Entwicklung junger Menschen. Die naturnahen Angebote bei fast jedem Wetter und zu allen Jahreszeiten – vom Klettern bis hin zu tiergestützten Projekten – richten sich an Erwachsene, Kinder und Kitas.