Spule deine Phantasie doch einfach um – sagen wir mal – 5 bis 10 Jahre vor. Denke an die absolut verkehrsberuhigte Bielefelder Innenstadt. Fällt dir schwer, weil gerade drei Busse und zwei LKW lautstark über den Jahnplatz brettern? Komm, wir helfen dir beim Träumen auf die Sprünge. Also, stell dir vor, es ist ein Morgen im Jahre des Herrn 2029. Du gehst durch die Fußgängerzone, die jetzt „open boulevard“ heißt, schlenderst durch die croissantduftgeschwängerte Frühstücksluft, schaust den autonomen Elektrokarren zu, die sirrend ein paar Geschäfte mit Waren beliefern. Keine Spur von den Lieferfahrzeugen, die einst die Luft verpesteten. Du guckst hoch und sieht einen regen Strom glitzernder Drohnen durch die Luft segeln. Rush Hour für die vielen Zalando-Pakete, die ausgeliefert werden müssen. Du gehst weiter bis zum Jahnplatz, der jetzt eine Event-Zone der Glückseligkeit ist. Chill-out-Musik weht über den Platz, ein paar ältere Leute spielen Schach oder Mühle auf extra angelegten Feldern, andere lassen sich in bequemen Allwetter-Sesseln nieder, um sich von beflissenen Gesundheitsassistenten Schultern und Nacken massieren zu lassen. Du willst gerade einen dieser Sessel ansteuern, als plötzlich etwas mit einem Affenzahn haarscharf an dir vorbeizischt. Ein E-Scooter-Fahrer! Du willst gerade hinterherbrüllen „Pass bloß auf, du blöder Sack! Hier ist eine Fußgänger…“ Aber ach nein, das Wort bleibt dir im Halse stecken, es ist eben keine Fußgängerzone mehr, sondern eine allgemeine Verkehrszone, die alten Unterteilungen gibt es nicht mehr. Kopfschüttelnd setzt du dich hin. Während dir eine kräftig gebaute Masseurin die Schultern durchwalkt, wischst du mit dem Finger durch deine Tablet-Tageszeitung. Schlagzeile heute: Verkehrsunfälle haben drastisch zugenommen! Der Artikel schlüsselt die Zahlen auf. Bei Autofahrern deutliche Rückgänge. Die Verkehrsopfer der Neuzeit sind die Fußgänger! Schuld daran sind die neuen Verkehrsrowdys, die E-Biker, die mit ihrer Pedelec-mich-am-Arsch-Mentalität ohne Rücksicht auf Verluste kreuz und quer durch die Lande kacheln. Auch besagte E-Scooter-Hellraiser verströmen beträchtliche Gefahr, weil sie nahezu geräuschlos sind. Der Kommentator schlägt allen Ernstes vor, E-Bikes und E-Scooter mit einer Art künstlichem Motorengeräusch auszustatten, damit man sie als Fußgänger kommen hört. Womit wir wieder beim Verkehrslärm alter Tage wären. Dich überkommt eine sentimentale Anwandlung früherer Tage. Wie du mit deinen Klassenkameraden Autoquartett spieltest: 225 km/h schlägt 184 km/h ̶ Stich! Wie spielt man das in Zeiten von E-Autos? 5 Stunden Ladezeit für eine Tankfüllung schlägt 8 Stunden? Kurz bevor du aufwachst, fällt dein Blick auf deine Tablet-Tageszeitung. Das heutige Motto stammt von Arthur Schopenhauer, dem alten Misanthropen: „Die Summe allen Übels ist konstant.“