MURISA ADILOVIC
Murisa Adilovic hat Veränderungen schon immer als Chance verstanden. Alles begann damit, dass sie als 24-Jährige im April 1990 aus dem heutigen Bosnien nach Bielefeld kam. Heute stößt die 58-Jährige – seit 2021 als Vorsitzende des Bielefelder Integrationsrates – Veränderungen in der Stadt an und gestaltet diese aktiv mit.
Wie rund 40 Prozent der Bielefelder Bevölkerung gehört Murisa Adilovic zu den Bielefelder*innen mit internationaler Familiengeschichte. Zum Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft beizutragen, ist für sie Bedürfnis und Motor zugleich. „Vor allem aber sollten wir das Potenzial von Menschen mit internationaler Familiengeschichte nutzen. Nicht nur ihre Mehrsprachigkeit ist eine Chance“, unterstreicht die Vorsitzende des Integrationsrates. Als sie damals in Bielefeld ankam, erfuhr sie eher zufällig vom Bielefelder Integrationsrat, der damals noch Ausländerbeirat und später Migrationsrat hieß. Heute sind Integrationsräte in 111 NRW-Kommunen – neben dem Hauptwirtschafts und Beteiligungsausschuss sowie dem Jugendhilfeausschuss – ein Pflichtgremium in NRW. Seine Rechte und Zuständigkeiten sind gesetzlich fest verankert. „Die Option, mich damals dort einzubringen, fand ich wenig attraktiv“, erinnert sich Murisa Adilovic. Erst als 2004 das neue Zuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht wurde und sich Möglichkeiten eröffneten, über das Gremium etwas zu bewegen, wuchs ihr Interesse. „Ich wollte Teil dieser Veränderung sein“, sagt Murisa Adilovic. Ihre Beweggründe waren vielschichtig, auch geprägt durch persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung.
„Es mangelte an chancengerechten Gegebenheiten“, erklärt sie. Berufliche Hürden erschwerten auch ihr damals den Neustart in Deutschland. Ihre spätere Arbeit als Dolmetscherin – damit verbundene war ein enger Austausch mit unterschiedlichen Bielefelder Institutionen – führte ihr wiederum vor Augen, wie viele zugewanderte Menschen von Ungleichbehandlung betroffen waren. „Das fördert nicht den guten Zusammenhalt“, lautet ihr Fazit damals wie heute. Die Erkenntnis, dass Veränderung notwendig, zugleich schwierig, aber dennoch zielführender über ein Gremium zu realisieren ist, keimte. 2004 wurde sie erstmals in den Bielefelder Integrationsrat gewählt.

Dort engagiert sie sich ehrenamtlich dafür, zugewanderten Menschen eine Chance zu geben, statt sie mit bürokratischen Hürden zu konfrontieren. „Arbeiten zu können, ist nach wir vor eine große Hürde trotz des Chancenaufenthaltsgesetzes“, so die streitbare Bielefelderin. Sie plädiert dafür, die Berufsanerkennung zu flexibilisieren und über Probezeiten oder zusätzliche Qualifizierungen Chancen zu ermöglichen. Den Blick auf Potenziale oder mögliche Unterstützungsbedarfe möchte sie schärfen. „Wir müssen heute zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen noch stärker Brücken bauen“, macht sie deutlich. Und so bedeutet Teilhabe für sie, Menschen mit schlechten Startbedingungen Möglichkeiten zu bieten, sich zu integrieren. Sprachkurse oder Integrationsklassen an Schulen sieht sie als grundlegende Voraussetzung.
„Um sogenannten ‚Parallelgesellschaften’ und Nischen, in die sich Menschen durch mangelnde Toleranz zurückziehen, entgegenzuwirken, braucht es eine Handreichung. Wir müssen diese Menschen abholen“, so Murisa Adilovic, die Teilhabe auf vielfältige Weise einfordert. Beispielsweise, wenn am 14. September 2025 im Rahmen der Kommunalwahl auch der Bielefelder Integrationsrat wieder gewählt wird. „Er ist das einzige Gremium, das die politischen Interessen von Menschen ohne deutschen Pass
vertritt“, unterstreicht die Vorsitzende des Bielefelder Integrationsrates. Die Teilhabe an demokratischen Prozessen, wie sie durch die Wahl des Integrationsrates ermöglicht wird, ist für sie wesentlich, um sich einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen. „Ich möchte dazu beitragen, dass sich diese Menschen angesprochen und wie alle anderen Wahlberechtigten zudem verpflichtet fühlen sollten, zur Wahl zu gehen, um Demokratiefeinde zu verhindern“, betont die 58-Jährige. Ihr ist es ein Anliegen, dass allgemeine politische Themen auch aus Sicht von Menschen mit unterschiedlichen
60- BIS
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ZU FRAUEN DOPPELT SO
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kulturellen Hintergründen betrachtet werden. Daher setzt sich der Bielefelder Integrationsrat seit 2006 auch für ein kommunales Wahlrecht für alle Bielefelder*innen ein. „Der Rat hat diesem Beschluss damals zugestimmt. Wir waren in Bielefeld Vorreiter, sind aber bisher nicht weitergekommen“, bedauert Murisa Adilovic, die allerdings auch auf zahlreiche, kleine wie große Erfolge verweisen kann. So waren die Flüchtlingswelle 2015 und der Beginn des Ukraine-Kriegs 2020 für die Bielefelderin ein Anlass, einen runden Tisch einzufordern, um mit Betroffenen auf Augenhöhe zu sprechen, Bedarfe zu berücksichtigen und Möglichkeiten aufzuzeigen. „Um einen anderen Blick auf uns als Zuwanderungsgesellschaft zu werfen, haben wir an der Ausstellung „Angekommen“, die 2023 im Historischen Museum zu sehen war, mitgewirkt“, so Murisa Adilovic. Den Vorsatz, sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einzusetzen und alles zu tun, um als Gesellschaft friedvoll zusammenzuleben, sich zu respektieren und die gegebene Vielfalt an Menschen zu schätzen, verfolgt sie konsequent. „Denn davon profitiert nicht nur jede und jeder Einzelne, sondern das ganze Land“, bringt sie ihre Haltung auf den Punkt. Dafür macht sie sich auch als Vorstandsmitglied in der Dachorganisation, dem Landesintegrationsrat NRW, stark. ✔
STIFTUNG GEMEINSAM-SOLIDARISCH
Seit 2022 tritt die Stiftung gemeinsam-solidarisch ein für die Stärkung von Menschen- und Bürger*innenrechten, Gleichberechtigung, Frieden, ökologische Nachhaltigkeit sowie soziale Gerechtigkeit. Bei der finanziellen Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen und Projekten liegt der Fokus auf der Förderung lokaler Initiativen für eine solidarische Gesellschaft. Ein großes Fest am 11. Mai bietet jetzt Gelegenheit, die Stiftung näher kennenzulernen. Auf dem Programm stehen u. a. Live-Musik mit Beija Flor und dem Woza Chor, Tanz, Theater und Filmvorführungen, Essen & Trinken sowie Infostände der geförderten Organisationen und Projekte.
www.gemeinsam-solidarisch.eu
Fest: 11. Mai, 14 bis 20 Uhr, Alarmtheater