In einer quirligen Metropole trifft man immer auch auf spannende Menschen, die das Stadtleben bereichern. Wir stellen sie vor. Aber in unserer tierisch inspirierten Ausgabe hat sich auch ein Stadtvogel in die Rubrik gemogelt.
Georg Böhm (39)
Schauspieler am Theater Bielefeld
„Genieße die Krise“ – diese Devise begleitet den gebürtigen Berliner seit der Schauspielschule. Doch ganz so hatte sich das der Träger des „Theatertalers“ der Bielefelder Thekos nicht vorgestellt. Erst legte Corona den Theaterbetrieb lahm, dann folgte im Februar ein Glatteis-Unfall. Einen Kreuzbandriss und zwei Knie-OPs später weiß Georg Böhm noch nicht, wann er wieder auf der Bühne stehen kann. „Wenn alles gut läuft, kann ich im Dezember einsteigen“, hofft der Schauspieler. „Aber nur mit angezogener Handbremse.“ Deshalb musste auch seine Roll im Weihnachtsmärchen, das er so sehr liebt, neu besetzt werden. Wohin also mit all der Energie, die in dem Sympathieträger mit der flotten Berliner Schnauze steckt? Er hat die Krise tatsächlich genutzt – für ein Projekt, das noch geheim ist, aber Großes verspricht. Bei der Planung, die gerade im vollen Gang ist, freut sich Georg Böhm darüber, wie viel Unterstützung er von allen Seiten bekommt und was in der kleineren B-City neben Berlin möglich ist. „Bielefeld ist eine riesige Spielwiese, das ist unglaublich!“ Dass es für ihn trotzdem „grauenhaft “ ist, nicht auf der Bühne stehen zu können, lässt sich trotz seiner lockeren Art kaum überhören. „Wir schließen unsere Lücken im Selbstwert durch Applaus“, hat Georg Böhm in seiner Abschlussarbeit geschrieben. „Da fällt es schon schwer, den Kopf oben und gute Laune zu behalten. Aber genau dabei hilft mir das Projekt.“
Unser Tipp: Augen auf und Social Media im Blick behalten. Da könnte
sich in den kommenden Monaten das nächste große Ding nach der
Bielefeld-Verschwörung entwickeln.
RICHILDIS WÄLTER
Mitinitiatorin des Podcasts Tonspur Ehrenamt
„Die Idee zu dem Podcast Tonspur Ehrenamt ist im
letzten Jahr in der Corona-Zeit entstanden“, sagt
Richildis Wälter, die neben ihrem Hauptgebiet Altenhilfe beim AWO Kreisverband Bielefeld immer auch im Bereich Ehrenamt aktiv war. Das Thema Ehrenamt öffentlich zu machen, zu unterstützen und zu fördern, ist ihr ein Anliegen. „Vieles läuft inzwischen digital. Deshalb haben auch wir ein neues Format gewählt.“ Mit „wir“ ist ihre Kollegin Doris Weißer aus Gütersloh, mit der sie die Idee für den Podcast entwickelt hat, ebenso gemeint wie Dieter Saake, der die Podcasts moderiert, und Matthis Weber, der die Technik verantwortet. „Macht Ehrenamt glücklich?“ lautete der Titel des ersten Podcasts, der Mitte letzten Jahres erschien. Inzwischen ist die sechste Folge öffentlich. Fünf Folgen pro Jahr planen die Macherinnen. „Wir haben eine ganz lange Ideenliste mit aktuellen gesellschaft lichen Themen, die wir platzieren wollen“, erklärt Richildis Wälter, die den Blick auf diejenigen lenken möchte, die sich engagieren. Auch bei der aktuellen Folge „Ehrenamt stark gegen Einsamkeit“ fokussieren sich die Macherinnen auf die persönlichen Geschichten der Ehrenamtlichen. Die berichten darüber, wie ihnen das Thema im Alltag begegnet. „Das sind oft kleine, unterhaltsame und schöne Momente aus dem Alltag, die es wert sind, erzählt zu werden“, so Richildis Wälter, der die Arbeit an den Podcasts viel Spaß macht. Und die Podcasts, zu jeder Zeit an jedem Ort abrufbar, kommen gut an. Schließlich gibt es Menschen, die lieber hören statt zu lesen.
www.instagram.com/tonspur.ehrenamt
Die Podcasts werden auf gängigen Plattformen wie Anchor FM, Soundcloud und Spotify veröffentlicht.
Die Bachstelze
(16,5–19 cm, 24 g)
Singvogel
Im Winter gibt es in der Bielefelder Innenstadt regelmäßig ein ganz besonderes Phänomen zu bestaunen. Mehr als hundert Bachstelzen sitzen auf den Ästen der Platane vor Karstadt. „Es ist immer derselbe Baum“, weiß Lothar Adorf. Aufmerksam auf die Wildvögel wurde er vor etlichen Jahren durch Passanten, die in die Luft guckten. Unbeeindruckt von Licht und Lärm schliefen die kleinen schwarz-weißen Singvögel, im Westfälischen Wippstiärtken genannt – wegen ihres wippenden Schwanzes. Neugierig geworden beschäftigte sich Lothar Adorf näher mit den Bachstelzen, die den Winter eigentlich in Südwesteuropa und Nordafrika verbringen. „Ich war von einer festen Gruppe ausgegangen, aber aus Wissenschaftskreisen erfuhr ich, dass es sich um eine sich durchtauschende Zuggruppe aus dem Norden handelt, die die Platane als regelmäßigen Zwischenstopp gewählt hat.“ Vermutlich weil es in der City ein paar Grad wärmer ist und keine natürlichen Feinde zu erwarten sind. Vor etlichen Jahren hatte sich eine Bachstelzengruppe auf den Flachdächern der Uni einen Schlafplatz gesucht, wurde dort jedoch von einer Eule auf Nahrungssuche gestört. Die Faszination für Vögel wurde durch das Fernglas geweckt, das ihm sein Vater vererbte. „Das erschloss mir eine völlig neue Welt“, erinnert er sich Lothar Adorf, der sich – obgleich studierter Biologe – bewusst auf einer nicht-wissenschaftlichen Ebene mit Vögeln beschäftigt. „Ich mag die beschreibende Biologie von Konrad Lorenz, Tiere sind zu individuell, um sie in Schubladen zu stecken. Auch das Phänomen der ,Bielefelder Bachstelzen‘ ist in keinem Buch zu finden.“
Tina Paschetag (40)
Kommunikationsdesignerin und Mitgründerin von Vanilla Milk
Mit ihrer ehemaligen Studienkollegin Ute Schernau, die an der FH Bielefeld Fotodesign studiert hat, gründete die kreative Bielefelderin im Winter 2020 Vanilla Milk. „Die Idee ist schon ein bisschen durch Corona entstanden, wir hatten Lust etwas Spielerisches zu kreieren“, sagt die Kommunikationsdesignerin, deren eigentlicher beruflicher Fokus im Bereich Branding, Typografie und Webseitengestaltung liegt. „Keep the distance“ lautet die lesbare Botschaft auf den Socken und ermahnt dazu Abstand zu halten. Tina Paschetag liebt besondere Dinge, hat Spaß am Wortwitz und schätzt mutiges Design. Die Kunst- und Designaffinität spiegelt sich daher in den Statement-Pieces von Vanilla Milk ebenso wider, wie der Anspruch, nachhaltige Produkte auf den Markt zu bringen. „Unser T-Shirt ist, wie der neue Sweater, der jetzt zum Herbst kommt, ein Fair Trade Produkt und möglichst rohstoffschonend hergestellt“, so die dreifache Mutter. Auch die Mom-Pouch und die Vaniletten – die Schlappen sind ein Upcycling-Produkt – passen zur Philosophie des Labels, das in Bielefeld zuhause ist. „Bielefeld ist eine sehr liebenswerte Stadt. Seit Corona gehe auch ich tatsächlich viel mehr spazieren, der Stadtwald hat einfach sehr viel Lebensqualität“, so Tina Paschetag, die, wenn es mehr Leben sein soll und darf, besonders den Bielefelder Westen rund um den Siggi mag. Und auch die kleine, feine Kunst- und Kulturszene der Stadt zu schätzen weiß.
www.vanillamilk.de
GESA NEUERT (65)
Präsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Bielefeld
Die einzellige Grünalge war schuld. Sie führte die damalige Studentin der Biologie und Chemie an die Universität von Tokio, wo bereits dazu geforscht wurde. „Vorher hatte ich mit Japan nichts am Hut“, lacht Gesa Neuert, „aber ich war sofort fasziniert, wie unglaublich freundlich ich aufgenommen wurde.“ Bei dem einen Besuch blieb es nicht. „Ich bin von Japan gefangen, das ist mein Sehnsuchtsort“, betont die Präsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Bielefeld. Ebenso erging es der Wahl-Bielefelderin, als sie in Kyoto das erste Mal einen japanischen Garten besuchte. Sie saß einfach nur da und spürte eine unglaubliche Ruhe. „Dieses Gefühl hat mich überwältigt und ich dachte: Wenn es so einen Garten doch auch in Deutschland gäbe.“ Nicht zuletzt dank ihres Einsatzes gibt es ihn. 2003 wurde der japanische Garten in Bielefeld eröffnet. Das Engagement der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Bielefeld geht allerdings weit darüber hinaus. Seit 1989 hat sie sich der Förderung der kulturellen und menschlichen Beziehungen zwischen Japan und Deutschland verschrieben. Für ihre Verdienste im deutsch-japanischen Jugendaustausch, beim Wiederaufbau der Erdbebenregion im Nordosten Japans und im Ausbau und der Pflege der Beziehungen zwischen Japan und Deutschland wurde Gesa Neuert in diesem Jahr gleich doppelt geehrt: mit dem „Orden der Aufgehenden Sonne, goldene und silberne Strahlen“ des japanischen Kaiserhauses sowie mit der Verdienstauszeichnung des japanischen Außenministers.
www.djg-owl.de