Sozial gerechte Großstadt

Keine Armut, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, weniger Ungleichheiten – diese Aspekte zählen u. a. zu den Nachhaltigkeitszielen der UN, denen sich auch die Stadt Bielefeld verpflichtet sieht. Zur eigenen Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt gehört der Markenbaustein „Lebenswerte Großstadt“. Die lebenswerte Stadt soll ressourceneffizient, grün, gesund, engagiert und sozial gerecht sein. Über den letzten Aspekt haben wir mit Sozialdezernent Ingo Nürnberger gesprochen.

Herr Nürnberger, wie steht es um die soziale Gerechtigkeit in unserer Stadt?

Bielefeld ist definitiv eine soziale Stadt. Wir haben bereits eine recht gute Infrastruktur, was beispielsweise Kitas und Schulen anbelangt. Es gibt viele Angebote für Menschen mit Behinderung, ältere Menschen und auch für sogenannte Randgruppen, wie zum Beispiel Wohnungslose oder schwer Suchtkranke. Durch die umfangreichen Angebote können manche Probleme gelöst oder zumindest aufgefangen werden. Das ist nicht perfekt, aber schon recht gut.

Wo sehen Sie Probleme?

Der Wohnungsmarkt ist zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit geworden. Das Angebot ist knapp und die Mieten sind zum Teil stark gestiegen.
Da gibt es einige Personengruppen, die da nicht mehr mithalten können und um die wir uns in der Wohnungspolitik kümmern müssen. Außerdem gehen wir gezielt in die Stadtteile, in denen viele sozial benachteiligte Menschen leben. Zum Beispiel mit Quartierszentren. Am Oberlohmannshof in Jöllenbeck haben wir im November den Spatenstich zum Bau eines solches Zentrums vorgenommen. Ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt. Denn das jetzige Zentrum oder auch die Kita bestanden schon seit vielen Jahren lediglich provisorisch aus zusammengelegten Wohnungen und beides war viel zu beengt. Jetzt haben wir endlich Fördergelder vom Land bekommen und konnten mit dem Bau des Zentrums anfangen. Die neue Kita ist schon in Betrieb. Insgesamt muss die soziale Infrastruktur in den Quartieren verbessert werden.

Woran denken Sie dabei?

In erster Linie an gut ausgestattete Kitas und Schulen, die in Wohnortnähe sind. Wir haben in den vergangenen Jahren aber auch die Quartiersarbeit massiv ausgebaut, zum Beispiel mit mehr Stellen für die Kinder- und Jugendarbeit, für Streetwork und der sogenannten Stadtteilkoordination oder mit dem Grünen Würfel. Und wir machen da auch weiter. Bald kommt die Stadtteilküche in Sieker. Entscheidend ist auch eine gute Verkehrsanbindung, damit alle Menschen am gesellschaftlichen Leben in der Stadt teilhaben. Auch schöne Außenbereiche, wie Parks, Grünflächen und Spielplätze sind wichtig. Wer spielt, lernt. Durch ein integriertes städtebauliches Konzept werden Quartiere in unserer Stadt entwickelt, damit alle Aspekte vernetzt werden können.

Viele Wohnungsanlagen befinden sich in der Hand großer Immobilienkonzerne. Welche Einflussmöglichkeiten hat die Stadt dort?

Eigentum verpflichtet. Wenn Außenbereiche verwahrlost sind, üben wir Druck aus. Und wenn es darum geht, dass Wohnungen erhebliche Mängel aufweisen, dazu zählt unter anderem Schimmelbefall, kommt die Wohnungsaufsicht ins Spiel. Dann geht es um Fragen der Bewohnbarkeit. Gewisse Standards, dass man zum Beispiel duschen kann, müssen auf jeden Fall erfüllt werden. Ich würde in diesem Bereich gern noch stärker in die Beratung gehen. Dahingehend, dass Mieter ihre Rechte gegenüber einem Vermieter kennen und so eine Beseitigung der Missstände beschleunigen können. Gerade Menschen aus bildungsfernen Schichten wissen oft nicht, welche Möglichkeiten sie haben. Aber nicht alle Wohnungsgesellschaften sitzen Mängel aus, manche reagieren zügig auf Beschwerden. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber wirksame Regeln für die Frage schaffen würde, wie groß Wohnungsbaugesellschaften eigentlich sein dürfen und wie viel Marktmacht sie haben. Da scheint mir das jetzige Kartellrecht nicht auszureichen. Das können wir auf kommunaler Ebene nicht lösen, ebenso wenig wie die Ungleichverteilung von Vermögen.

Wie können Folgen sozialer Ungleichheit aufkommunaler Ebene aufgefangen werden?

Das ist eine sehr vernetzte Aufgabe, die wir mit integrierter Sozialplanung und Prävention angehen. Wenn wir beispielsweise den Bereich Arbeit betrachten. Ziel muss es sein, dass Menschen von ihrer Erwerbstätigkeit leben können. Deshalb müssen wir innovative Unternehmen fördern, die gute Löhne zahlen und die Gesellschaft voranbringen. Um Menschen Arbeit zu beschaffen, besteht in der Stadt ein Konsens zwischen der Jugendberufsagentur, der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter, nachhaltige Maßnahmen anzustreben und nicht auf die schnelle Vermittlung zu setzen. Häufig sind Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte benachteiligt, wenn sie sich auf einen Job bewerben. Der zurzeit herrschende Arbeitskräftemangel könnte eine Chance für die sein, die Kompetenzen haben, aber nicht über die formalen Abschlüsse verfügen. Es wird immer eine kleine Gruppe von Menschen geben, die es im sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen. Sei es, weil sie eine Suchterkrankung überstanden haben und nicht acht Stunden am Tag arbeiten können oder Menschen mit physischen oder psychischen Erkrankungen, die nicht voll belastbar sind. Aufgabe des Dezernats Soziales und Integration ist es auch, denen eine Stimme zu geben, die oft nicht gehört werden.

Ein Ziel der Bielefelder Nachhaltigkeitsstrategie lautet, dass 2030 alle Menschen in das gesellschaftliche Leben integriert sind und von systematisch strukturierten Beteiligungsformaten profitieren. Was bedeutet das?

Wir möchten alle Bielefelder*innen an politischen Entscheidungen beteiligen. Wenn es beispielsweise um die Ausweisung neuer Wohngebiete oder den Ausbau des ÖPNV geht. Ein gutes Beispiel für Beteiligung ist der Kesselbrink mit dem „Grünen Würfel“. Nicht wir haben das Angebot allein entwickelt, sondern dazu viele Interessierte eingeladen, mitzumachen und selbst ein Angebot 10 zu machen. Dabei muss Verwaltung und Politik aushalten können, dass der Entscheidungsprozess ein Stück weit offen bleibt und man nicht jedes Entscheidungsdetail im Vorfeld kennt. Wir möchten aber nicht nur die hören, die laut sind, sondern auch alle anderen. Wir setzen auf die Schwarmintelligenz der Bürger*innen. Aber entscheiden müssen am Schluss die politisch Verantwortlichen im Rat. Dabei gilt auch: Wenn versucht wird, es allen recht zu machen, kann es sein, dass dabei manchmal ein schlechter Kompromiss herauskommt, der im Grunde keinem dient. So kann es sein, dass sich die demokratisch gewählten Gremien bewusst für einen Weg entscheiden.

Haben Sie ein Beispiel für ein strukturiertes Beteiligungsformat?

Wir haben gerade das Kinder- und Jugendparlament auf den Weg gebracht, weil die junge Generation viel zu wenig gehört wird. Wir alle wollen darauf achten, dass es kein Elitenparlament wird, sondern alle Kinder und Jugendliche – Mädchen wie Jungen, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte – gleichermaßen einbezieht. So können junge Menschen Demokratie einüben und uns wichtige Impulse geben.

Wo erleben Sie in Bielefeld soziales Miteinander?

Auf dem Kesselbrink. Hier findet ein Zusammenleben unterschiedlichster Gruppen statt. Es ist eine bunte Mischung, die man kaum irgendwo so findet, und für mich ein Symbol dafür, dass man mit guten Angeboten wie dem Mitmach-Begegnungszentrum „Grüner Würfel“, mehr Spielgeräten und mehr Licht Konflikte mindern kann. Auch wenn damit die Wirklichkeit auf dem Kesselbrink nicht perfekt wird.