Was hält unsere Kinder während Corona gesund?
Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich durch den Lockdown in Deutschland im Verlauf der Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind leidet ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Das hat die zweite Befragung (Dezember 2020 bis Januar 2021) der sogenannten COPSY-Studie (Corona und Psyche), die Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durchgeführt haben, ergeben.
Gegenüber der ersten Befragung (Mai bis Juni 2020) haben Sorgen und Ängste noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund sind betroffen. Beobachtungen, die Volker Mauck, Leitender Arzt der Jugendstation in der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel, aus seiner täglichen Praxis bestätigen kann.
Beobachtungen, die Volker Mauck, Leitender Arzt der Jugendstation in der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel, aus seiner täglichen Praxis bestätigen kann.
Nein, das ist sie nicht. Einerseits ist es erstaunlich, wie gut viele Kinder und Jugendliche mit der Situation zurechtkommen. Andererseits nehmen aber die psychischen Belastungen bei einem Teil der Kinder zu. Diese Kinder leiden darunter, dass sie sehen, dass ihre Eltern Ängste und Sorgen haben. Für die Kinder kann es traumatisch sein, wenn ihre Eltern, die ansonsten der sichere Hafen sind, ins Schwimmen geraten. Für manche Kinder kann das den Verlust des Urvertrauens bedeuten. Das ist das Vertrauen darauf, dass da immer jemand ist, der mir hilft, dass ich gut durch schwere oder problematische Situationen komme.
Für Kinder ist das kein Problem. Sie verstehen sehr gut, was ein Virus ist. Wir Erwachsenen tun uns damit wesentlich schwerer, weil wir komplizierter denken. Neben dem Verstehen ist die Handhabbarkeit wichti g. Sie erklären Kindern die AHA-Regeln und dass man regelmäßig lüft en muss und damit ist für die Kinder der Fall erledigt. Sie erkennen die Sinnhaftigkeit, dass wir alle zusammenhalten müssen.
Wir müssen jetzt genauer unterscheiden, um welche Kinder wir uns kümmern müssen. Um etwa zwei Drittel müssen wir uns keine Gedanken machen. Ein Teil davon profitiert sogar vom Homeschooling. Diese Kinder und Jugendlichen können in ihrem Tempo lernen und kommen unter Umständen sogar besser und schneller mit dem Lernstoff voran als in der Schule, wenn die Lehrer das Tempo rausnehmen, damit auch die, die zum Lernen mehr Zeit brauchen, mitkommen. Für einen anderen Teil der Kinder und Jugendlichen hat sich nichts geändert, während wir bei denen, die keinen fördernden psycho-sozialen Rahmen haben, aufpassen müssen. Wer bereits krank ist, wird im Lockdown nicht gesünder. Wer beispielsweise Schulangst hat, der schafft es nach der Öffnung eher nicht mehr, wieder zur Schule zu gehen. Insgesamt werden durch den Lockdown bereits vorhandene Konfl ikte in Familien verschärft .
„Kinder leiden darunter, dass sie sehen, dass ihre Eltern Ängste und Sorgen haben.“
Volker Mauck
Zunächst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Krankheit nicht das Gegenteil von Gesundheit ist. Die psychische Widerstandskraft, die Resilienz, ist hier entscheidend. Was sind die Belastungsfaktoren? Und was kann ich auf eine symbolische Waage packen, damit ich genügend auf der Gesundsein-Seite habe, damit ich die Belastungen aushalte und nicht krank werde. Jeder sollte sich die Frage stellen: Was hält uns gesund? Häufig sind das die sogenannten „weichen Faktoren“ wie nette Gespräche, Kino, Konzerte, also insgesamt Soziales und Kultur. Wenn es um Schule geht, wäre es gut, danach zu fragen: Wer braucht eigentlich nur einen Laptop für zu Hause, um gut arbeiten zu können. Und wer benötigt wirklich den Unterricht vor Ort. Das wird momentan zu stark vereinfacht. Man muss individuell differenzieren, was die Schüler brauchen. Meiner Meinung nach wird der Präsenzunterricht überbewertet.
Neben negativen Folgen, die ein zu hohes Maß an Konsum von digitalen Medien mit sich bringt, hat der durch die Pandemie forcierte Digitalisierungsschub auch sein Gutes. Formen der digitalen Therapie, sei es telefonisch oder per Videokonferenz, ziehen in den Alltag ein. Bislang haben sich die Krankenversicherungen in dieser Hinsicht noch ein bisschen gesträubt. Mit Apps können wir im Präventionsbereich und auch in der Rehabilitation noch besser arbeiten. Gerade Kinder und Jugendliche sind es gewohnt, häufig auf ihr Handy zu schauen. Hier kann beispielsweise eine App dabei helfen, den Tag zu strukturieren oder auch für eine schnelle und anonyme Kontaktaufnahme sorgen, wenn Probleme auftauchen. Vor einigen Wochen, als so viel Schnee lag, habe ich meine erste Patientenvisite per Video durchgeführt, weil ich nicht persönlich in die Klinik kommen konnte. Für die Kinder und Jugendlichen war das völlig normal, ihren Arzt auf dem Bildschirm zu sehen. Nur ich selbst fand das seltsam … (lacht). Für uns Ärzte ist das ein Gewöhnungsprozess. In der Prävention könnte man ganz viel machen, um soziale Isolation im Lockdown aufzubrechen. Zum Beispiel mit der Schaff ung einer moderierten Plattf orm, auf der Großeltern und Enkel zusammenkommen. Oder abends könnte sich die Oma per App dazuschalten, um den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. Danach können sie sicherlich besser schlafen als nach hunderten von YouTube-Videos.
Eltern sollten aufmerksam bleiben, wenn sich ihr Kind anders verhält. Wenn es still wird und sich immer weiter zurückzieht. Oder schnell gereizt reagiert. Manchmal reicht auch eine einfache Ansprache. Am besten mit Ich-Botschaft en, wie zum Beispiel: Ich habe den Eindruck, dass du dich zurückziehst. Was kann ich tun? Wir nennen das, das Verhalten zu spiegeln. Wenn Eltern im Zweifel sind, können sie sich an die Kinder- und Jugendpsychiatrie wenden. Wir haben ein niedrigschwelliges Angebot und können häufi g schon in einem Telefongespräch klären, ob wir die richti gen Ansprechpartner sind oder ob dem Kind oder dem Jugendlichen mit einem pädagogischen Angebot oder mit einer Psychotherapie geholfen ist. Wir haben unsere ambulanten Kapazitäten in den vergangenen Monaten ausgeweitet, weil der Bedarf sehr hoch ist. Uns ist es lieber, wenn die Eltern schon früh anfragen. Manchmal wachsen sich Probleme Jahre später zu psychischen Störungen aus. Viele Belastungen kann man jedoch rechtzeitig abfangen. Als Universitätsklinikum bieten wir in der Kinder- und Jugendpsychiatrie schon jetzt ein breites Spektrum, unter anderem auch zu den Themen Medienkonsum und Suchtmedizin.