„‘Berlin Alexanderplatz‘ ist ein Geräuschroman. Es geht viel um Klänge, und Alfred Döblin ist sehr akustisch in seinen Beschreibungen. Der Text ist schon Musik, was sollen wir da noch machen?“, lacht Ketan Bhatti.
Eine ganze Menge, lautet die Antwort. Immerhin war die Frage, wie aus dem 700 Seiten starken, sprachlich komplexen Mammutwerk ein Musiktheaterstück für „nur“ einen Abend werden sollte.
„Die Aufgabe, eine verdichtete Geschichte daraus zu destillieren, hat Christiane Neudecker mit Bravour gelöst“, unterstreicht Vivan Bhatti.
In enger Zusammenarbeit mit der Librettistin haben die beiden Brüder den urbanen Sound komponiert. „Beim Lesen des Romans haben wir nach Anknüpfungspunkten und klanglichen Ideen gesucht“ erklärt Ketan Bhatti. „Wir wollten der historischen Verortung Rechnung tragen, haben uns aber auch gefragt, wie eine Großstadt heute klingt“, ergänzt sein Bruder.
„Die Stadt ist in dem Libretto selbst ein Hauptdarsteller, sie singt und spricht.“
Dabei lässt sich die musikalische Sprache, die die Bhatti-Brüder gefunden haben, in keine Schublade packen. Wenig erstaunlich, da sie das Überschreiten von Grenzen, das Ausprobieren und Experimentieren schon immer mehr interessiert hat, als vorgegebene Wege zu gehen. „Wir haben uns in Verwandlungsprozesse begeben“, erklärt Ketan Bhatti. So lassen sich im klanglichen Vokabular Schlager und Chansons der 1920er Jahre ebenso entdecken wie populäre Musik und Club Sounds von heute. Aber eben nicht als Zitat, sondern verwandelt zu etwas Eigenem.
„Mal geht es in die Nahaufnahme, mal in die Vogelperspektive. Die Musik folgt Franz Biberkopf durch die verschiedenen Welten, in denen er sich bewegt. Dabei ist das Rauschen ein Thema, das immer wieder auftaucht.“
Ein Grundrauschen, das übrigens in Berlin – der derzeitigen Heimatstadt von Ketan Bhatti – und Bielefeld ganz unterschiedlich klingt. „Berlin ist vielschichtiger, polyphoner und lauter“, findet der Bielefelder Vivan Bhatti. „Hier ist alles etwas leichter, ruhiger und luftiger, wobei man zum Beispiel auf dem Siggi auch das Urbane spürt.“
Berlin Alexanderplatz
Mit dem 1929 erschienenen „Berlin Alexanderplatz“ verfasste Alfred Döblin ein Schlüsselwerk der Moderne und einen der ersten Großstadtromane überhaupt. Daher gab nicht der Antiheld Franz Biberkopf, sondern die Stadt Berlin mit einem ihrer lebendig-chaotischsten Plätze dem Buch seinen Namen. Diese Polyphonie einer Metropole wurde schon mehrfach für Bühne, Film und Hörfunk adaptiert; nun wird der facettenreiche Stoff – als Auftragswerk der Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld – erstmals als spartenübergreifendes Musiktheater zu erleben sein. Das Grundrauschen der Stadt erhält in dem Libretto von Christiane Neudecker eine eigene Stimme und wird von den Komponisten Vivan und Ketan Bhatti in einen urbanen Sound überführt, der verschiedene Klangwelten vom 20er-Jahre-Schlager bis hin zu zeitgenössischer Musik einfängt.
www.theater-bielefeld.de
- 4. September 2022
- Stadttheater