Stadt ist nie fertig

Entgegen der Prognose der Demografen schrumpft Bielefeld nicht. Ganz im Gegenteil, die Stadt wächst und hat heute rund 340.000 Einwohner. 2005 waren für 2020 lediglich 295.000 vorausgesagt worden. Eine Herausforderung für die Verwaltung, denn mehr Menschen brauchen mehr Wohnraum, Schulen, Kitas, Freizeitflächen und vieles mehr. Wir haben bei Sven Dodenhoff nachgefragt, der sich als Teamleiter Stadtentwicklung in der Abteilung Gesamträumliche Planung und Stadtentwicklung im Bauamt der Stadt Bielefeld seit 15 Jahren mit der Thematik beschäftigt.

Es ist sehr komplex“, sagt Sven Dodenhoff gleich zu Beginn des Gesprächs. „Prognosen sind, wie wir gesehen haben, nicht unbedingt zuverlässig. Die Einwohnerentwicklung ist eine Sache, aber wir müssen uns die Zahlen differenziert ansehen – manche Stadtteile wachsen, manche schrumpfen und wieder andere stagnieren. Das gilt auch für die Einwohnerstruktur. Als Universitätsstadt haben wir Quartiere mit vielen jüngeren Menschen und in anderen mehrheitlich ältere.“ Es ist insgesamt im Interesse der Wirtschaft, die Studierenden nach ihrem Abschluss in der Stadt zu halten, denn Fachkräfte werden dringend gesucht. Mit der Medizinischen Fakultät ab dem Wintersemester 2021/22 werden zusätzliche Studierende nach Bielefeld kommen. Dabei wird die Stadtgesellschaft zugleich älter. „Für uns bedeutet das zweierlei“, so der studierte Raumplaner. „Wir brauchen Bauflächen für junge Familien und zugleich ein Angebot für ältere Menschen, die sich räumlich verkleinern wollen.“ Mitgedacht werden muss zudem eine gute Infrastruktur mit Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, Apotheken etc., die fußläufig oder mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen sind. Außerdem muss die Stadtplanung Mega-Trends wie z. B. Zuwanderung im Blick haben.

INTEGRIERTES STÄDTEBAULICHES KONZEPT

Bereits 2005, als Sven Dodenhoff gerade im Bauamt anfing, starteten die ersten Vorüberlegungen, um dem demografischen und wirtschaftsstrukturellen Wandel in Bielefeld zu begegnen. Der Rat hatte die Bauverwaltung beauftragt, im Rahmen des Förderprogramms „Stadtumbau West” ein gesamtstädtisches integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) zu erarbeiten, das u. a. die Sennestadt als ein Handlungsgebiet empfahl. Denn der seit 1973 zu Bielefeld gehörende Stadtbezirk wurde zwischen 1956 und 1965 gebaut und ist nun in die Jahre gekommen.

„Wir brauchen Bauflächen für junge Familien und zugleich ein Angebot für ältere Menschen, die sich räumlich verkleinern wollen.“

Sven Dodenhof

„Bielefeld ist sehr heterogen. Wir haben hier eine Großstadt mit dörflichen Strukturen an den Rändern.“

Sven Dodenhof

Das Quartier hat sich verändert, kleinere Einzelhandelsgeschäfte haben aufgegeben, da große Supermärkte für die Kunden attraktiver wurden. Viele Projekte aus dem städtebaulichen Entwicklungskonzept sind bereits realisiert oder befinden sich derzeit in der Umsetzung, wie zum Beispiel die Neugestaltung des Sennestadtteiches mit seinen neuen Uferbereichen, Terrassen und bunten Tretbooten, die Umsetzung des Wettbewerbsentwurfes zur Park- und Spiellandschaft Sennestadt u. a. mit der Errichtung des Stangenwaldes und der Boulebahn im Ost-West-Grünzug oder die Renovierung des Sennestadt-Pavillons. „Im Großen und Ganzen hat das Pilotprojekt Sennestadt schon gut funktioniert. Bei allen Planungen ist es die große Herausforderung, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen und die Menschen frühzeitig einzubinden“, betont der 51-Jährige. „Letztlich ist Städteplanung immer ein Kompromiss, denn man kann es nicht allen zu hundert Prozent recht machen.“

EIN LANGER WEG ZUR UMSETZUNG

Es sind viele Themen, die Einfluss auf die Planung nehmen. Auch ökologisch. „Viele Menschen haben die Vorstellung, dass wir nur damit befasst sind, Flächen zu versiegeln, dabei gestalten wir auch Freiräume, wie die Parkanlage in Sieker, die vorher eine Brache war. Was die Aufgabe des Bauamtes ist, regelt übrigens das Baugesetzbuch des Bundes. Da ist von gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen und der Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung die Rede. Und von den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung, insbesondere auch von Familien mit mehreren Kindern, der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, der Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und den Anforderungen kostensparenden Bauens sowie der Bevölkerungsentwicklung. Daneben kommen soziale und kulturelle Bedürfnisse, Bildung, Sport, Freizeit und Erholung, die zentrale Versorgung der Bevölkerung, Baukultur, Denkmalschutz und Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege ins Spiel. Von Seiten der Stadt ist nicht nur das Bauamt involviert, sondern ein Projekt hat immer sehr viele Mitwirkende, beispielsweise vom Amt für Verkehr, den Immobilienservicebetrieb und den Umweltbetrieb. „Zudem muss das Raumkonzept der Bezirksregierung, der Regionalplan berücksichtigt werden“, erklärt Sven Dodenhoff, der als stellvertretender Abteilungsleiter das Thema „Gesamträumliche Planung“ mitvertritt. „Übergeordnet gibt es dann den Landesentwicklungsplanung und die Raumordnung des Bundes.“ Als sehr positiv bewertet Sven Dodenhoff die starke Unterstützung der Stadt durch das Land NRW und die Bezirksregierung Detmold in puncto Städtebauförderung.

Bei diesem Vorlauf wird klar, dass Veränderungen in der Stadt ein bisschen länger dauern. Zumal die Maßnahmen, die einen Konsens erzielt haben, auch noch finanziert werden müssen und so bis zur Bewilligung von Landes-, Bundes- oder EU-Mitteln recht viel Wasser die Lutter – übrigens auch ein städtebauliches Projekt – herunterfließt. Dann müssen die Projekte ausgeschrieben werden. Hier macht sich der Fachkräftemangel bereits stark bemerkbar. Manchmal fehlt es an Angeboten und es muss neu ausgeschrieben werden – das kostet Zeit.

KRITIK AM KESSELBRINK

Manchmal gibt es nach der Umsetzung von Bauprojekten Kritik – wie beim Kesselbrink. Das sortiert Sven Dodenhoff ganz sachlich ein: „Der Kesselbrink hat ja eine 40-jährige Planungsgeschichte. Was vielfach vergessen wird, ist, dass gerade eine versiegelte Fläche ausdrücklich gewünscht wurde, um dort Veranstaltungen stattfinden zu lassen. Damit konnte der Platz keine grüne Oase werden. Das Konzept ist nach Abwägung aller Interessen ein Kompromiss. Mir gefällt der Kesselbrink gut. Denn wenn man sich anschaut, wie der Platz vorher aussah, das war ein grauer Parkplatz mitten in der Stadt. Das ist jetzt schon eine enorme Verbesserung. Außerdem muss man sehen, was der Platz für das Stadtquartier leistet bzw. an Investitionen auslöst. Studien zufolge zieht ein investierter Euro 8 bis 10 Euro von privaten Eigentümern nach sich.“ Und es tut sich einiges im Quartier. 15 Häuser wurden bereits saniert, die Volksbank hat ihre Zentrale grundsaniert und Interesse, in der Wilhelmstraße weiterzumachen; Goldbeck saniert demnächst das Telekomgebäude. Es wird sich künftig auch weiterhin viel in der Stadt tun. Auf die Pläne für den RaSpi-Park darf man gespannt sein. „Eine Stadt ist eigentlich wie ein eigenes Haus“, bringt es der Stadtentwicklungsplaner auf den Punkt, „man muss immer daran arbeiten und wird nie fertig.“