DETLEV BARCZEWSKI & REINHARD JASCHKE

Sie sind die Experten, die genau wissen, wo es hakt. Wo sich im Alltag Hindernisse und Stolperfallen auftun. Gemeinsam mit insgesamt 20 TesterInnen haben Reinhard Jaschke und Detlev Barczewski am Projekt „Bielefeld barrierefrei erleben!” der Neuen Schmiede teilgenommen. Ausgestattet mit Testbogen und Maßband haben sie Informationen über mögliche Barrieren für Menschen mit einer Mobilitäts-, Hör-, Seh- und kognitiven Einschränkung gesammelt.

Reinhard Jaschke sitzt seit einem Schlaganfall vor 18 Jahren im Rollstuhl. „Der ‘Barriere-Check’ kam wie gerufen”, so der 71-Jährige. „Ich habe schon immer gedacht, dass es gut wäre, mit kritischen Augen auf die Situation zu schauen und Verbesserungsvorschläge zu machen.” Detlev Barczewski bestätigt: „Das ist eine Aufgabe, mit der ich mich identifizieren kann.” Der 64 Jährige wurde durch den Blindenverein Pro Retina auf das Projekt aufmerksam. Aufgrund eines absterbenden Sehnervs hat er ein eingeschränktes Gesichtsfeld und sieht verschwommen. Ein schleichender Prozess, der vor zehn Jahren begonnen hat.

Beide Bielefelder konnten sich in eine Liste mit Terminen und Orten eintragen, die sie besuchen wollten. Insgesamt rund 50 Kultur-, Freizeit- und Sportstätten mit 63 Gebäuden und 203 Räumen wurden bereits getestet.

Der „Barriere-Check” verläuft nach festgelegten Kriterien. Fragen sind etwa: Sind die Türen breit genug für Rollstuhlfahrer, ist der Zugang barrierefrei und gibt es genug farbliche Kontraste, damit Menschen mit Seh-Beeinträchtigung sich besser orientieren können? Im Anschluss erhalten die Betreiber der Stätten eine Beratung mitsamt Ergebnis-Report und lernen Lösungswege kennen. Reinhard Jaschke war bei etwa 15 Testungen dabei. „Beeindruckt hat mich der Lokschuppen. Dort wurde die Corona-Zeit genutzt, um alles behindertengerecht umzubauen. Und was Arminia auf den Weg gebracht hat, ist auch großartig.” An anderen Orten steht dem guten
Willen der Denkmalschutz im Weg. Im TAM etwa müssen Rollstuhlfahrer den Lastenaufzug des Restaurants benutzen. Und auch das Rolli-ungeeignete Kopfsteinpflaster des Bauernhausmuseums darf nicht verändert werden. Detlev Barczewski war, von der Stadtbibliothek bis zum Heimattierpark Olderdissen, bei 10 Testungen dabei. „Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich positive und negative Aspekte die Waage halten”, so sein Fazit. Obwohl beide finden, dass Bielefeld auf einem guten Weg ist, begegnen ihnen im Alltag doch auch Barrieren. Vom defekten Fahrstuhl bei der Stadtbahn bis zu ungeeigneten Behindertenparkplätzen. „Da macht mir manchmal eine hohe Bordsteinkante ohne Absenkung das Aussteigen vom Auto in den Rollstuhl unmöglich”, so Reinhard Jaschke. Für Detlev Barczewski gleicht besonders die Strecke vom Bahnhof zur Tüte einem Spießrutenlauf: „Die Führungslinien für Sehbehinderte heben sich vom Kopfsteinpflaster überhaupt nicht ab. Außerdem haben es auf der Strecke viele Menschen eilig und rennen einen über den Haufen. Andererseits bieten viele auch ihre Hilfe an.”

MIT 10 PROZENT
IST DER ANTEIL DER MENSCHEN, DIE
SICH IN DER ZWEITEN LEBENSHÄLFTE
EINSAM FÜHLEN, RELATIV GERING.

Einhellig begeistert sind beide von den Reaktionen der Betreiber der getesteten Orte. „Die haben ein offenes Ohr, sind begierig zu erfahren, was sie tun können und freuen sich, wenn jemand etwas konkret auf den Punkt bringt”, so Reinhard Jaschke. Detlev Barczewski ergänzt: „Oft war es für sie ein Aha-Effekt, zu erkennen, wo wir die Probleme sehen. Und manchmal sind es Kleinigkeiten, die sich leicht beheben lassen. Etwa ein größeres Hinweisschild zu den Toiletten anzubringen. Oder Säulen in einer anderen Farbe zu streichen als den Hintergrund, damit sie für Sehbehinderte sichtbar sind.”

Reinhard Jaschke resümiert: „Dass Leute für Kritik und Anregungen offen sind, sind beste Voraussetzungen, damit sich überhaupt etwas ändern kann.” Um weitere Verbesserungen anzustoßen, sind die „Barriere-Checker” auch bei der zweiten Testphase dabei und haben nicht nur Menschen mit Handicap im Blick. „Diese Testungen helfen auch älteren Menschen sowie denen, die mit Kinderwagen oder nach einem Unfall auf Krücken unterwegs sind”, unterstreicht Detlev Barczewski. Die Teilhabe-Chancen für alle Menschen zu verbessern, ist schließlich Ziel des Projektes. ✔

BEIRAT FÜR BEHINDERTENFRAGEN
In diesem Beirat wird über, für und vor allen Dingen mit Menschen mit Behinderung gesprochen. Der Rat der Stadt Bielefeld hat für bestimmte Gruppen von EinwohnerInnen Beiräte gebildet. Diese beraten Politiker und die Verwaltung in allen Fragen, die ihre Bedürfnisse und Interessen betreffen. Der Beirat hat Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte, die sicherstellen, dass in der Stadtentwicklung, Planung und Gestaltung die Belange von Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden.
Nähere Infos: www.behindertenbeirat-bi.de