Nicht für die Lehrer, für die Straße lernen wir
Problematische Schülerschaft, mangelhafte Ausstattung, schlechte Pädagogen. Hat eine Schule erst einmal diesen Ruf, schreckt dies viele Eltern ab, ihre Kinder dort zur Schule gehen zu lassen. „Das war für mich Motivation, dieses Buch zu schreiben“, sagt Hanna Fecht.
Problematische Schülerschaft, mangelhafte Ausstattung, schlechte Pädagogen. Hat eine Schule erst einmal diesen Ruf, schreckt dies viele Eltern ab, ihre Kinder dort zur Schule gehen zu lassen. „Das war für mich Motivation dieses Buch zu schreiben“, sagt Hanna Fecht. Die 26-jährige Bielefelderin, heute Textchefin Digital bei InStyle, ist in Brackwede aufgewachsen und besuchte das dortige Gymnasium. Ihr Buch „Was für Ghetto Schule?!“ ist ein Plädoyer für kulturelle Vielfalt. Vor allem aber transportiert es die Message, dass eine sogenannte ‚Problemschule’ lehrreich ist. Und nachhaltig fürs Leben.
„Jeder kennt die Schulen in Bielefeld, die zu den ‚Problemschulen‘ zählen und die, die einen guten Ruf haben. Das heißt aber nicht, dass man dort besser lernen kann“, erklärt Hanna Fecht. Mit ihrem Sachbuch möchte sie den Blick für den Kosmos Schule öffnen – und auf Themen lenken, die ihr zufolge in den bildungspolitischen Debatten zu kurz kommen. Denn Schule ist für sie weit mehr als nur ein Lernort für schulisches Wissen. „Schule ist der Ort sozialer Begegnung, es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um das Erlernen von Soft Skills. Die kann einem kein Unterrichtsfach vermitteln“, stellt die 26-Jährige fest. „Damit keiner in seiner Bubble verschwindet, brauchen wir Skills, die für das gesellschaftliche Miteinander wichtig sind.“ Dazu zählt für sie neben einer gesunden Streitkultur auch die Fähigkeit aufeinander zuzugehen.
Wie ihre Schulzeit den Blick auf andere Lebensentwürfe und Kulturen öffnete, erzählt sie – zwar nah dran an der Realität, aber dennoch fiktionalisiert – am Beispiel alltäglicher Begebenheiten. Ein Grillfest droht beispielsweise auszufallen, weil in der Klasse ein heftiger Streit darüber entbrennt, welches Fleisch auf dem Grill landen darf. Schließlich einigt sich die Klasse auf den Einsatz eines zweiten Grills. Und auf dem einen liegt eben kein Schweinefleisch. Bei den Debatten stehen Themen im Fokus, die die Klasse bewegen: religiöse Bräuche, kulturelle Identität, Großzügigkeit, Privilegien, Deutschrap, die Rolle der Medien und interkulturelle Beziehungen. „Es brauchte im Schulalltag immer wieder Lösungen für Konflikte, die von jedem Verständnis und Kompromissfähigkeit verlangten. Schule ist ein Ort, wo gestritten wird, wo Auseinandersetzung stattfindet. Und auch Aussöhnung“, stellt die Bielefelderin fest. Und attestiert ihrer ‚Problemschule‘ eine gesunde Streitkultur. Einsicht entwickelte sich oft im Laufe der Diskussion, ebenso wie Toleranz und Offenheit. „Die Themen Migration und Integration waren natürlich auch in unserer Klasse präsent“, erklärt Hanna Fecht rückblickend. „Aber, es ist, was man daraus macht. Mein Freundeskreis hatte einen lockeren Umgang mit kulturellen Identitäten.“
„Wer zu welcher Gruppe gehörte, hing allerdings nicht davon ab, woher man kam oder woran man glaubte“, betont Hanna Fecht. Nicht Herkunft noch Religion waren das Maß der Dinge, es war eine Mentalitätsfrage. Hanna Fecht erzählt in ihrem Buch davon, wie unterschiedlich jede und jeder Einzelne ist. „Das wollte ich nach vorne stellen“, so die Bielefelderin mit Blick auf Eda, ihre bis heute beste Freundin, David, Yasin, Emma, Youssef und ihre erste Liebe Miran. Dass sie sich als Tochter einer Deutschen und eines Palästinensers in beiden Kulturen zuhause fühlt, thematisiert sie ebenso wie die Fragestellungen, die sich daraus für einen Teenager ergeben, der auf der Suche nach der eigenen Identität ist. „Du wächst auf und isst Köfte. Das ist für dich Alltag, aber irgendwann merkst du: Deutsche tun das nicht. Und dann gibt es diese Schlüsselmomente, in denen du in einem Gespräch mit anderen Arabern oder Ausländern merkst, dass sie das auch tun. Köfte essen, vor dem Essen „Bismillah“ sagen.“
Mal humorvoll, mal frech, mal berührend emotional öffnet Hanna Fecht Kapitel für Kapitel den Blick in ihre damalige Lebenswelt. Nicht ohne das Geschehen zu reflektieren und einzuordnen. Und zeigt auch, wie viel schwerer Kinder mit Migrationshintergrund arbeiten müssen, um gesellschaftlichen Maßstäben Genüge zu leisten und wieviel Druck dabei auf ihnen lastet – auch, weil ihre Familien oft ebenfalls hohe Ansprüche an sie haben. „Mit dem Buch möchte ich Eltern einen Einblick in eine Welt ermöglichen, die sie sonst nicht durchschauen. Es ist wie ein Tag der offenen Tür.“ Migration im Kontext von Schule aufzubrechen, ist ihr ein Anliegen. „Die Gesellschaft sieht Probleme und läuft an ihnen vorbei statt sie anzupacken und Chancen zu erkennen“, findet die 26-Jährige. Heute lebt sie in München. Kommt sehr oft und gern nach Bielefeld. Und pflegt ihren Freundeskreis. Es ist das Multikultimäßige, das sie besonders an ihrem Stadtteil Brackwede schätzt. „Ich mag es, die Hauptstraße entlangzulaufen, es ist einfach so gut durchmischt und erinnert mich an unseren damaligen Alltag. Vorne das türkische Café, in dem Eda und ich in unseren Freistunden immer gefrühstückt haben, gegenüber der deutsche Schreibwarenladen, in dem wir unsere Hausaufgabenhefte kauften, da der Elektronik Fachhandel, der dem Vater einer kurdischen Freundin gehörte und noch zahlreiche weitere Geschäfte, in denen Leute mit den verschiedensten Biografien und kulturellen Backgrounds arbeiten. Das erinnert mich an meine Schulzeit, die mir Wertschätzung für andere Kulturen beschert hat, aber auch Durchsetzungsvermögen und Schlagfertigkeit.“ Denn: Nicht für die Lehrer, für die Straße lernen wir.
Buchtipp:
Die 26-Jährige studierte Medienkommunikation und Journalismus sowie Medienwissenschaft und machte ihren Master an der Uni Bielefeld. Sie schrieb u.a. für die Cosmopolitan, InStyle, ELLE, Zeit Online und Freundin. Heute ist sie Textchefin Digital bei InStyle.
Hanna Fecht
Was für Ghettoschule?!
Ullstein Buchverlage, 9,99 €