Es gibt kein Entrinnen, denn sie sind überall. Wer jetzt an den Plot eines Horrorfilms denkt, liegt gar nicht so falsch. Allerdings sind die „Angreifer“ im Fall der endokrinen Disruptoren unsichtbar. Anlässlich seines 20. Jubiläums schaut der Verein Knotenpunkt genauer auf die große Gruppe der hormonschädigenden Chemikalien – in Form eines auch für Laien verständlichen Flyers und eines Vortrags.
“Ich bin im Rahmen einer Fortbildung auf das Thema gestoßen und war entsetzt“, sagt Dr. med. Doris Tormann, die zum Vorstand des Vereins zählt. Ihr war klar: Die Problematik muss an die Öffentlichkeit. Und so entstand die Idee, zum Knotenpunkt-Jubiläum einen Flyer zu entwickeln. Bereits 2020 hat der Verein mit den Recherchen dafür begonnen. „Je tiefer wir eingestiegen sind, desto erschreckender wurde es, wie wenig darüber bekannt ist und dazu geforscht wird“, unterstreicht die Ärztin im Ruhestand. „Allerdings wollen wir keine Ängste schüren, sondern ein Bewusstsein für die Gefahr schaffen“, ergänzt ihre Mitstreiterin Christa Schumacher, die als Berufsschullehrerin im Gesundheitsbereich tätig ist. Beide Bielefelderinnen engagieren sich ehrenamtlich für den Verein.
Zu den auch als Umwelthormone bezeichneten Stoffen zählen neben vielen anderen Bisphenol A, Triclosan, Parabene, Phthalate sowie die riesige Gruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Nicht alle sind deklarationspflichtig und sie verstecken sich in vielen Produkten des täglichen Gebrauchs. Von Kosmetik und Konservendosen über Plastikschüsseln, Outdoorkleidung bis hin zu Backpapier, Skiwachs und Kunstdünger. „Da wird einem schwindelig“, bringt es Doris Tormann auf den Punkt. Die Wirkung der Substanzen erklärt sie vereinfacht so: „Sie beeinflussen die Erbinformationen oder die Produktion und Freisetzung von Hormonen. Meistens wirken sie östrogenartig und da kommt der Bogen zum Brustkrebs, denn viele Brustkrebse werden durch Östrogen gefördert. Und sie wirken vor allem in sensiblen Phasen wie Schwangerschaft oder Pubertät.“ Aufgenommen über Ernährung, Atmung und die Haut können die Stoffe verschiedene Hormonsysteme im Körper beeinflussen, etwa auf die Schilddrüse einwirken sowie Zucker- und Herzkrankheiten fördern. „Problematisch ist, dass es lange dauert nachzuweisen, dass bestimmte Stoffe bestimmte Krankheiten verursachen“, erklärt Doris Tormann. „Das Fatale ist, dass schon eine winzige Dosis Auswirkungen haben kann und Wechselwirkungen möglich sind“, ergänzt Christa Schumacher.
Umso erschreckender, dass zum Beispiel bei Bisphenol A der zulässige Aufnahmewert kürzlich noch 20.000-mal höher war, als es heute als unbedenklich eingestuft wird. Und bis bestimmte Substanzen, etwa Weichmacher in Schnullern, ganz verboten wurden, hat es sehr lange gedauert. „Klar ist, dass wir den Stoffen nicht komplett aus dem Weg gehen können“, resümiert Christa Schumacher. Aber zumindest gibt es Möglichkeiten, den Kontakt mit ihnen zu verringern. Hilfreich ist es etwa, grundsätzlich möglichst wenig Produkte aus Plastik zu verwenden und keine eingeschweißten Lebensmittel zu kaufen. Oft genug gibt es gute Alternativen, von der Glasschüssel bis zum Spielzeug aus Holz und Textilien aus Naturmaterialien. Wer es genauer wissen will, kann zum Beispiel mit der ToxFox-App Schadstoffe in Alltagsprodukten von Kosmetik über Spielzeug bis zu Möbeln aufspüren. Auch der Vortrag zum Jubiläum will nicht nur für das Thema sensibilisieren, sondern praktische Hinweise geben.