AUSBILDUNG AUF ALLEN KANÄLEN

Es rauscht im Bielefelder Untergrund.
Denn die Abwasserautobahnen Bielefelds werden unermüdlich gespeist. Verbrauchtes Wasser aus Abflüssen und Toiletten mündet im unterirdischen Abwasserkanalnetz. Das hat seine ganz eigenen Dimensionen.
Es befördert täglich mehrere Millionen Liter Abwasser und misst rund 1.959 Kilometer.
Das entspricht der Entfernung zwischen Bielefeld und Madrid.

„Die Abwasserrohre liegen am tiefsten. Manchmal, es kommt auf das Gelände an, sind es mehr als neun Meter“, erzählt Nico Tanz. Er hat die unterirdische Infrastruktur Bielefelds in den drei Jahren seiner Ausbildung zur Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice ausgiebig kennengelernt. Die Hausleitungen, die das Abwasser in das öffentliche Abwassernetz ableiten, haben einen Durchmesser von gerade einmal ca. 15 Zentimetern. Die öffentlichen Kanäle hingegen sind bis zu zwei Meter hoch.

Der 25-Jährige, der neben technischem Verständnis, handwerkliches Geschick und Interesse an Naturwissenschaften mitbringt, hat sich bewusst für eine handwerkliche Ausbildung entschieden. „Ich habe zunächst eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär- und Klimatechnik absolviert, mich dann aber noch einmal neu orientiert“, erklärt Nico Tanz, der in der Abteilung Kanalbetrieb und Grundstücksentwässerung des Umweltbetriebes der Stadt Bielefeld arbeitet. Florian Pieper, Meister für Rohr-, Kanal- und Industrieservice, leitet die Inspektion der Abwasserkanäle in Bielefeld, betreut die Auszubildenden und wirbt für das abwechslungsreiche Berufsbild. „Wir suchen bereits wieder zwei Auszubildende für 2023.“ Zu den Aufgaben gehören die Reinigung abwassertechnischer Anlagen und die Kontrolle des Kanal- und Abwassersystems auf undichte Stellen, aber auch deren Reparatur. Darüber hinaus zählt die Reinigung und Wartung von Regenrückhaltebecken zum Aufgabengebiet.

Um den reibungslosen Betrieb der Kanal- und Abwasseranlagen im Stadtgebiet zu gewährleisten, müssen diese regelmäßig gewartet, gereinigt, aber auch Instand gehalten werden. Das Spektrum reicht von der Erneuerung der Schachtabdeckungen oder der Abscheidetechnik bis hin zur Sanierung. „Es gibt drei Stufen der Sanierung, von der Reparatur über die Renovierung beispielsweise mittels Schlauch-Lining bis hin zur kompletten Erneuerung eines Abwasserkanals“, erklärt Florian Pieper. „Durch die Verkleidung eines Kanals von innen lassen sich beispielsweise kleinere Beschädigungen beheben.“

Alle zwei Jahre werden die Kanal- und Abwassersysteme gereinigt. Eine Inspektion der Kanäle und Sammler, wo das Abwasser mehrerer kleiner Anschlüsse gebündelt und zum Klärwerk abgeführt wird, findet dagegen alle 15 Jahre statt. Sie sind aufgrund der hohen Fließgeschwindigkeit fast selbstreinigend. Allein gut 150 Kilometer Sammler gibt es in Bielefeld. „Einige sind schwer zugänglich, da sie am Wegesrand in ländlichen Bereichen liegen. Doch natürlich müssen wir auch hier sicherstellen, dass das Abwasser problemlos abfließen kann“, erklärt Nico Tanz, der die abwechslungsreiche Arbeit schätzt. Die Kontrolle auf mögliche Undichtigkeiten gehört für ihn ebenso zum Alltag wie die Begutachtung der Abwasserkanäle mit Spezialkameras und modernen Prüfsystemen. Ablagerungen sind die Regel und so wird wortwörtlich mit Hochdruck an der Reinigung der Kanäle gearbeitet. Scherben, Steine und Ablagerungen – im innerstädtischen Bereich vor allem auch Fette, die so hart sind wie Beton – verstopfen die Abwasserkanäle. „Auch Feuchttücher sind immer wieder ein Problem, denn sie sogen für defekte Pumpen und lösen sich entgegen vieler Behauptungen einfach schwer auf“, so Florian Pieper, der im Laufe seiner Berufstätigkeit auch schon einmal E-Roller oder Fahrräder aus den Bielefelder Abwasserkanälen gefischt hat. „Wir reinigen die Kanäle mit 120 bzw. 140 bar“, erklärt Nico Tanz. 500 Meter weit dringt der sogenannte Spülschlauch in den Kanal ein. „Wenn wir wie hier mit zwei Fahrzeugen einen Sammler reinigen, beträgt der Maximaldruck 270 bar“, fügt Florian Pieper hinzu. Eine Aufbereitungsanlage, die die Feststoffe und Wasser voneinander trennt, befindet sich im Spülfahrzeug. Dort wird auch das Wasser aufbereitet und für den nächsten Spülgang genutzt. „Das ist sowohl nachhaltig als auch effektiv, denn die Feststoffe verbleiben in einer Schmutzkammer, die erst am Ende des Tages fach-und sachgerecht auf dem Betriebshof entleert wird“, unterstreicht Florian Pieper. Zehn Spülfahrzeuge mit modernster Technik und drei Inspektionsfahrzeuge gehören zum Fuhrpark.

„Mein Arbeitsumfeld ist immer wieder anders und nicht alltäglich“, betont Nico Tanz, der bei Wind und Wetter draußen arbeitet. „Und ganz nebenbei lernt man auch das Stadtgebiet kennen.“ Platzangst darf man bei seinem Job allerdings nicht haben. Denn die Fachkräfte für Rohr-, Kanal- und Industrieservice müssen immer wieder auch in die Abwasserschächte hinabsteigen. Bei einem Durchmesser von 80 Zentimetern sind die Einstiege alles andere als groß. „Wir haben immer einen Selbstretter für Gaswarnungen bei uns, denn Gase wie Methan und Schwefelwasserstoff können lebensgefährlich sein“, unterstreicht der junge Bielefelder.