Natalie Feuchtinger
Sie war ein halbes Jahr mit ihrem Freund zusammen, als sie ungeplant schwanger wurde. 22 Jahre jung. Ohne Ausbildung. Natalie Feuchtinger hat sich nicht nur für das Kind entschieden. Ihr Sohn war eineinhalb Jahre alt, als sie ihre Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten begann. Inzwischen hat die alleinerziehende Mutter auch noch eine Fortbildung zur Fachwirtin in Angriff genommen.
Keine Periode und Unterleibsschmerzen. Natalie Feuchtinger griff sofort zum Schwangerschaftstest. „Wir hatten mit Kondomen verhütet, aber, wenn man ehrlich ist, einfach nicht richtig aufgepasst.“ Doch der Test war, wie zwei weitere im Abstand von je einer Woche, negativ. Die Schmerzen blieben. Eine erste Untersuchung in der Notaufnahme endete mit der Empfehlung, Blasen-Nieren-Tee zu trinken. Ein Termin bei einem Gynäkologen bescherte ihr kurz darauf die Diagnose: Eierstockentzündung. Medikation: Antibiotika und das Rezept für die Pille. „Das weiß ich noch wie gestern“, sagt die heute 29-Jährige. Als die Schmerzen immer noch nicht aufhörten, brachte ihre Mutter sie erneut in ein Krankenhaus. Dort sagte man ihr kurze Zeit später: „Sie sind schwanger.“ Natalie Feuchtinger bekam einen Schock. Gleichzeitig erfuhr sie, warum bisherige Tests negativ waren. „Der Schwangerschaftshormonwert war extrem niedrig.“ Es brauchte einige weitere Tage bis sie endgültig Gewissheit hatte, schwanger zu sein. Mit der Erkenntnis „Ich bin schwanger“ stürzte vieles auf sie ein. Gefühle schwankten, Gedanken kreisten.
Ihr Freund signalisierte ihr, dass er sich über ein gemeinsames Kind freuen würde. „Er hätte aber auch für eine Abtreibung Verständnis gehabt.“ Natalie Feuchtinger suchte Perspektiven und das Beratungsgespräch. „Ich hatte zwar einen Vollzeit-Job, aber weder eine Ausbildung noch finanzielle Rücklagen und nie in Betracht gezogen, eigene Kinder zu haben“, fasst sie ihre damalige Situation stichpunktartig zusammen. Als sie eines Abends ins Bett gehen und sich auf den Bauch legen wollte, durchzuckte sie plötzlich der Gedanke: „Oh, ich mach mein Kind kaputt! Völlig irrational, aber ich wusste da, ich kann nicht abtreiben.“ Die Frage ihrer besten Freundin, ob sie sich sicher sei, konnte Natalie Feuchtinger nur bejahen.
Nach einer Schwangerschaft voller Komplikationen kam ihr Sohn zwei Wochen vor dem errechneten Termin zur Welt. „Die Hebamme, die mich betreute, versicherte mir, dass ich alles richtig mache, das hat mir Angst genommen und Sicherheit gegeben“, so Natalie Feuchtinger. „Und der Papa war ein vorbildlicher Vater, der nachts aufgestanden ist, gefüttert und gewindelt hat.“ Drei Wochen nach der Geburt zog sie mit ihm zusammen. Vor eineinhalb Jahren trennte sich das Paar zum zweiten Mal. „Zu Anfang meiner Ausbildung waren wir schon einmal fast ein Jahr getrennt“, erzählt die 29-Jährige, die sich während der Elternzeit mit dem Arbeitsamt in Verbindung setzte und sich um einen Ausbildungsplatz kümmerte. „Ich habe mich gefreut, wieder etwas für mich zu machen und habe dadurch auch neue Freundinnen gefunden.“ Die haben die junge Bielefelderin von Anfang an mit Kind kennengelernt. Die Frage Fremder, ob sie die große Schwester oder die Nanny sei, stört sie ebenso wenig wie die Feststellung, sie sei ja sehr jung Mutter geworden. Natalie Feuchtinger ist trotz mancher Widrigkeiten froh darüber, so jung Mutter geworden zu sein. „Ich würde mich heute wieder so entscheiden“, stellt sie fest.
UNGEWOLLT SCHWANGER
Pro familia berät
Anonym, kostenlos, vertraulich. In der Schwangerschaftskonfliktberatung arbeitet der pro familia Ortsverband Bielefeld e.V. nach diesen Kriterien und ohne feste Termine. Und das aus guten Grund: Denn wer eine Beratung benötigt, soll dieses Gespräch auch kurzfristig führen können. „Wir wollen für die Frauen zeitnah ansprechbar sein“, unterstreicht Simone Mansfeld.
Von 14 bis Mitte 40. Viele Schwangerschaften sind nicht geplant, manche auch ungewollt. Frauen, die dann über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, sind verpflichtet, sich in einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten zu lassen. Wer anonym bleiben möchte, kann dies ohne schlechtes Gewissen. „Die Frauen können sich vorher einen Namen ausdenken, unter dem wir sie dann im Wartezimmer aufrufen“, erklärt Simone Mansfeld. Jährlich entscheiden sich in Deutschland knapp 101.000 Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch. Das Beratungsgespräch ist ein Angebot, über die Gründe zu sprechen, was Frau bewegt. „Eine Schwangerschaft ist wie eine Lupe und zeigt Themen auf, die eh da sind“, so die Dipl.-Sozialarbeiterin, die seit 10 Jahren in der Beratung arbeitet. Egal ob eine Partnerschaft auf dem Prüfstand steht oder eine Frau mit ihrem Partner schon längst einmal über Familienplanung hätte sprechen wollen. Es gibt viele Beweggründe, weshalb eine Schwangerschaft in Frage gestellt und Konflikte auslösen kann. Von der eigenen Lebensplanung, die durch eine Schwangerschaft ins Wanken gerät über finanzielle und gesundheitliche Bedingungen bis hin zu Schwierigkeiten in der Partnerschaft. „In Partnerschaften wird sonst ja viel verhandelt, aber bei der Familienplanung gibt es keine Kompromisse. Es kann es nur ein ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zum Kind geben“, bringt Simone Mansfeld die Situation auf den Punkt. Offen ins Gespräch kommen. Ohne zu bewerten, aber um zu unterstützen. Die 38-Jährige schaut genau hin. Und räumt mit gesellschaftlichen Klischees auf. „Studien belegen, dass es Frauen nach einem Abbruch psychisch gut geht. Das liegt aber vor allem daran, wie sie ihre Entscheidung getroffen haben.“ Schuld, Moral, religiöse Impulse – die Sozialarbeiterin weiß, dass viele Themen und Argumente im Raum stehenspricht Dinge und Themen an, die sonst nicht ausgesprochen werden. „Wir sitzen den Menschen sofort auf der Bettkante“, sagt Simone Mansfeld. Das Gespräch ist dafür da, damit Frau Argumente abwägen kann. Aber auch, um zu klären, wo Infobedarf existiert. „Es gibt Frauen, die sind ganz klar in ihrer Entscheidung für eine Abtreibung und in ihrer Haltung kein Kind zu wollen. Da kann Verhütung ein füllendes Gesprächsthema sein.“ Schließlich kommt es immer wieder trotz Verhütung zu ungewollten Schwangerschaften: Mal verhindern Infekte oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten die Wirksamkeit der Pille, mal ist es ein kaputtes Kondom, oder der „Verhütungsübergang“ in den Wechseljahren. „Wir gucken individuell, was Frauen in ihrer Situation wissen müssen und was sie brauchen“, sagt Simone Mansfeld. Die Beratungsbescheinigung erhält jede Frau nach der Beratung. „Entscheidend ist, dass jede ungewollt schwangere Frau selbstbestimmt eine Entscheidung treffen kann.“