KULTUR NACH CORONA

Virus und Virtualität. Klingt ähnlich und hat tatsächlich eine Verbindung. Nach dem Shutdown haben zahlreiche KünstlerInnen und Kultureinrichtungen versucht, ihr Publikum in der virtuellen Welt zu erreichen. Auch in Bielefeld schossen digitale Angebote aus dem Boden. Von gestreamten Konzerten über Online-Führungen bis zu Videos und Live-Übertragungen auf den Social-Media-Kanälen. Nur eine vorübergehende Notlösung oder ein digitaler Entwicklungsschub mit Potenzial für die Zukunft?

HISTORISCHES MUSEUM

Digitale Führungen, Objektgeschichten, Aktionen für Kinder – das Historische Museum Bielefeld war nach dem Shutdown nicht zufällig einer der Vorreiter bei der Eroberung digitaler Welten. „Über den virtuellen Auftritt haben wir im Museum schon lange diskutiert“, so Dr. Wilhelm Stratmann, „aber durch Corona hat die Entwicklung einen unheimlichen Schub erfahren.“ Inhaltlich wie technisch. „Wir haben in Sachen Qualität nachgerüstet, neue Mikrophone angeschafft und wir verfügen über ein professionelles Schneideprogramm. Und zum Glück gibt es im Haus einige Leute mit technischem Know-how“, unterstreicht der Museumsleiter.

Dr. Wilhelm Stratmann Museumsleiter

Der heruntergefahrene Museumsbetrieb bot außerdem Zeit darüber nachzudenken, wie sich der virtuelle Raum vom Exil während des Shutdowns zu einer dauerhaften zweiten Heimat entwickeln kann. Damit beschäftigt sich auch ein Positionspapier des Historischen Museums. Darin heißt es unter anderem: „Dem Museum verhilft eine Kultur der Digitalität zu einer neuen Rolle. Es verlegt seine Präsentationen und Angebote in den virtuellen Raum und bekommt von überallher Rückmeldungen von Zuschauerinnen und Zuschauern, die sich äußern, mitreden und mitgestalten wollen.“ Diesen interaktiven Ansatz sieht Dr. Wilhelm Stratmann als große Chance der Digitalisierung. Besonders in Bezug auf das junge Publikum. „Unser Ziel ist es, die Schulen noch direkter anzusprechen. Wir möchten mehr digitale Angebote zur Dauerausstellung machen, nach dem Motto ‚Schüler fragen, Museumsleute antworten‘. Dieser partizipative Ansatz ist uns wichtig. Frontalunterricht ist ja auch nicht mehr in.“

Natürlich wünscht sich der Museumsleiter nach wie vor, dass die Menschen direkt in die Ausstellungen kommen. „Das analoge Erlebnis kann das Internet nicht ersetzen“, ist Dr. Wilhelm Stratmann überzeugt. „Aber man kann digital Dinge machen, die analog nicht funktionieren.“ So bieten etwa die täglichen Objektgeschichten Gelegenheit, die eigene Sammlung viel besser zu präsentieren und online einzelne Stücke ins Rampenlicht zu stellen. Zuletzt hat sich der Museumsleiter zum Beispiel dem Bielefelder Radrennfahrer Willi Postler gewidmet und dazu nicht nur ein Rad, sondern auch Pokale und Siegerschleifen „ausgegraben“. „Wir stellen vielleicht 10-15 Prozent unserer Sammlung aus. Aber wir haben den Auftrag, auch alles andere zu zeigen und nicht im Magazin verschwinden zu lassen.“

Eine Sammlung, die übrigens kontinuierlich wächst – und momentan ganz besonders. Den Menschen ist nämlich erstmals bewusst, dass sie Zeitzeugen sind. „Wir haben uns schon immer sehr bemüht, vorausschauendes Sammeln zu machen. Aber jetzt haben viele das Gefühl, in Umbruchzeiten zu leben. Wir bekommen häufig Angebote, die sich auf Corona beziehen.“ Neben Fotos, etwa von der menschenleeren Innenstadt, auch schräge Objekte wie eine mit Süßigkeiten gefüllte Geburtstagstorte aus Klopapierrollen. „Und gerade“, freut sich der Museumsleiter, „haben wir einen Akkreditierungsausweis vom 1. Geisterspiel von Arminia bekommen.“
www.historisches-museum-bielefeld.de

KUNSTVEREIN BIELEFELD

Dass digitale Ausstellungs- und Veranstaltungsformate wie Screenings, Talks und Live-Chats für den Kunstverein Bielefeld kein Neuland sind, versteht sich von selbst. Schließlich hat er sich auf die Fahnen geschrieben, ein Raum für ästhetische Experimente zu sein. Dennoch hat der Shutdown auch hier eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem digitalen Raum und digitalen Formaten angestoßen. Von Anfang an war Nadine Droste dabei eines klar: Den realen Raum einfach in einen digitalen zu übersetzen – also etwa eine Ausstellung abzufilmen und online zu stellen – ergibt für sie keinen Sinn.

Nadine Droste, Direktorin des Kunstvereins

Digitale Formate sollen und können den realen Besuch im Ausstellungsraum nicht ersetzen“, unterstreicht die Direktorin des Kunstvereins. „Wir haben uns ganz gezielt die Frage gestellt. Wie funktioniert der digitale Raum? Und wir haben Arbeiten ausgesucht, die digital funktionieren und mit dem digitalen Raum spielen.“ Die reale und die virtuelle Welt erfordern ihrer Ansicht nach ganz unterschiedliche Herangehensweisen und künstlerische Formate. „Das ist ein spannender Prozess: Wie kann Kunst im virtuellen Raum selbst funktionieren, was ist das spezifisch Andere und wie wird das wahrgenommen, wenn man zuhause vor dem Rechner sitzt? Das war unser Ansatz und dieses Experiment wollen wir auch längerfristig wagen.“

Dass ausgerechnet im Mai die Online-Austellung „In This Layered World, All Perception Is Real“ an den Start ging, hätte kaum besser passen können. Schließlich beschäftigte sich die Kooperation mit dem I: project space in Peking und der FH Bielefeld mit der aktuellen Bedeutung der digitalen Bildproduktion. Ursprünglich als digitales und reales Projekt geplant, konnte sie Corona-bedingt nur rein digital stattfinden. Aber auch ganz ohne solch unfreiwillige Einschränkung möchte die Direktorin des Kunstvereins zukünftig weiterhin mit dem digitalen Raum experimentieren. „Ich bin gespannt auf das, was bleibt“, resümiert Nadine Droste. „Was öffnet Türen, ohne andere zuzuschlagen?“

www.kunstverein-bielefeld.de
www.kunstverein-bielefeld.online
www.cabrio.digital

THEATER BIELEFELD

Dariusch Yazdkhasti, Regisseur

Als klar war, dass der normale Spielbetrieb bis zum Ende der Saison ruhen muss, ist das Theater Bielefeld in die Vollen gegangen. Hat Videos, Audios und vieles mehr produziert. „Im Zuge des Shutdowns haben wir etwa eine Kooperation mit der Bielefelder Altstadt gemacht und Videos an verlassenen Orten wie Museen gedreht“, so Dariusch Yazdkhasti. Der Regisseur, der mit Beginn der Spielzeit 2021/22 Schauspieldirektor am Theater Bielefeld wird, fand es wichtig, sich in der krisenhaften Situation solidarisch zu zeigen. „Wir haben uns gefragt, was wir für die Stadt tun können. Das sind Effekte, da wünsche ich mir Nachhaltigkeit nach der Krise; dass man sich mit der Stadt und den verschiedenen Kulturinstitutionen vernetzt. Aber ich bin absolut nicht dafür, aus Theatern Streamingplattformen zu machen und das Erlebnis des Zuschauens abzuschaffen. Menschen haben das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt. Austausch findet im kommunikativen Akt statt, das kann mir kein Streaming-Angebot geben.“

Deshalb hat das Theater Bielefeld während des Shutdowns auch analog neue Formate wie „Das total verrückte Kassenhäuschen“ oder Lyrikspaziergänge entwickelt, um dem Publikum weiterhin live begegnen zu können. „Mit sehr kleinen Formaten mit wenigen Zuschauern oder Gesprächsrunden im Freien wollen wir trotzdem für unsere Zuschauer da sein“, unterstreicht Dariusch Yazdkhasti. Technikfeindlich ist das Theater aber keinesfalls.

Gerade in dieser Ausnahmesituation ist Technik schließlich hilfreich, etwa damit die Musiker überhaupt proben und dabei den Sicherheitsabstand einhalten können. „Generell haben wir uns schon seit langem mit der Digitalisierung des Theaters beschäftigt“, bestätigt Dariusch Yazdkhasti. „Aber das hat nichts mit Streaming-Angeboten auf der Homepage zu tun, sondern mit Life-Hörspielen, die in die Stadtgesellschaft rausgehen, oder Videos, die in eine Inszenierung eingebunden sind. Der Kern des Theaters ist nach wie vor, dass Menschen zusammenkommen, um ein gemeinsames Erlebnis zu haben. Daran möchte ich festhalten. Nach über 20 Jahren Theatererfahrung ist es für mich immer noch ein großes Wunder, wenn eine Schauspielerin wie Sandra Hüller auftritt und behauptet, sie sei Hamlet. Ich werde live Zeuge einer großen Lüge, aber gerade dadurch entsteht etwas geradezu Magisches. Da findet eine Verwandlung statt, die mich am ganzen Körper ergreift. Dieses Voneinander-Berührtsein fehlt uns.“
www.theater-bielefeld.de

THEATERLABOR

Mitten in einer Vorstellung gehen? Das traut sich im Theater fast nie jemand. Eine Situation gemeinsam mit anderen zu erleben und vielleicht auch mal auszuhalten, macht einen wichtigen Teil der Theatererfahrung aus. „Wer vorm Bildschirm sitzt, trinkt aber möglicherweise nebenbei Kaffee oder wickelt sein Kind. Vieles wird ganz anders rezipiert“, so Christian Müller, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Theaterlabors kümmert. Hinzu kommt: Wenn ein Angebot kostenlos ist, fällt es leichter, einfach wieder abzuschalten. Diese Erkenntnis war – mehr noch als die finanzielle Notlage der Kulturszene – ein Grund für das Theaterlabor, nicht all seine neu entstandenen Online-Formate kostenlos zu „versenden“. „Die Inszenierung des Stückes ‚Mütter‘ haben wir ganz gezielt als Bezahl-Aufführung gezeigt. So kriegt man die Leute eher dazu, am Ball zu bleiben.

Christian Müller
Öffentlichkeistarbeit Theaterlabor

Doch selbst dann fehlt etwas Entscheidendes: der direkte Kontakt. „Das merken wir schon im Team bei der Vorbereitung. Die Prozesse dauern länger, als wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen“, so Christian Müller. Besonders merkwürdig ist die Situation aber für die SchauspielerInnen. „Ihnen fehlt der direkte Spiegel, die direkte Reaktion. Jetzt schaut man auf die kleinen Zahlen am Bildschirm: Wie viele Zuschauer sind dabei, sind welche gegangen oder dazugekommen? Das ist weird.“

Dazu kommt, wie unüberschaubar das Online-Angebot und damit auch der Wettstreit um die Aufmerksamkeit ist. „Man konkurriert nicht nur mit Theatern in Bielefeld, sondern vielleicht haut auch gerade die Schaubühne Berlin was raus.“ Allerdings sieht Christian Müller diesen Aspekt nicht unbedingt negativ. „Es ist interessant neue Impulse zu kriegen, sich etwas anderes anzuschauen. Aber gerade, weil es im Internet so viel gibt, haben wir gefragt: Was ist uns eigen? Wir wollten nicht einfach alte Aufführungen ins Netz stellen, sondern neue Formate entwickeln.“ Und das ist gelungen. Von der Theaterpädagogik bis zu „Grenz-TV“ – live gespielt und gestreamt aus den Randgebieten Bielefelds. „Vieles davon wäre vielleicht unter anderen Umständen nicht entstanden“, resümiert Christian Müller. „Für Kreative ist die Krise insofern spannend, als wir umdenken und auf die Situation reagieren müssen. Aber schwer zu sagen, was bleiben wird.“
www.theaterlabor.de