Gastfamilie Galla
Johana Orozco ist das erste Mal außerhalb ihres Heimatlands Ecuador. Die 27-Jährige ist im Rahmen des „weltwärts“-Programms des Welthauses im Februar 2023 nach Bielefeld gekommen und leistet 18 Monate lang einen Bundesfreiwilligendienst in der Drogenberatung. Bei der Familie Galla-Niestradt in Bielefeld-Senne hat sie eine zweite Heimat gefunden.
„Weil wir etwas außerhalb der Stadt wohnen, hatte ich zunächst etwas Sorge, ob Johana gut mit Bus und Bahn zur Arbeit kommt“, erinnert sich Daniela Galla-Niestradt. „Aber vom ersten Tag an hat sie alle Verbindungen schneller und besser verstanden als wir.“ „Wenn ein Bus nicht kommt, dann warte ich auf den nächsten“, lacht Johana. „In meiner Heimat ist das ganz normal.“ Viele Gedanken, die sich Lukas und Daniela Galla zuvor gemacht hatten, wären gar nicht nötig gewesen.
„Das war für mich ein ein großes Learning: In Deutschland neigen wir manchmal dazu, vieles zu zerdenken“, reflektiert Lukas Galla, der als Entwicklsleiter tätig ist. „Johana mit ihrer ansteckenden Lebenslust hat einfach gemacht. Zum Beispiel ganz spontan eine Malaktion mit Edda und Grete im Garten veranstaltet.“ Apropos: Die Töchter waren anfangs gar nicht so begeistert, dass ein neues Familienmitglied einziehen sollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass das mit Johana so cool wird“, erzählt Edda. Die beiden Mädchen haben für den Gast aus Südamerika ihr Spielzimmer geräumt, aber unterm Dach adäquaten Ersatz gefunden. Für die 6- und die 8-Jährige ist Johana nun eine große Schwester. Eine Rolle, die sie gern einnimmt. „Ich fühle mich hier nie allein. Wenn es eine Frage oder ein Problem gibt, ist meine Familie immer da und auch meine Kolleginnen sind sehr freundlich und helfen mir.“
Kultureller & kulinarischer Austausch
Die Kommunikation fand zunächst mit Händen, Füßen, Englisch, Deutsch und Spanisch statt. Google Übersetzer wurde eine oft konsultierte App. Manchmal kam es zu kleinen Missverständnissen, über die alle nachher gemeinsam lachen konnten. „Wir haben sehr schnell ein gutes Level der Verständigung erreicht, verstanden haben wir uns von Anfang an“, resümiert Lukas Galla. In den vergangenen Monaten hat Johana so gut Deutsch gelernt, dass ein flüssiger Austausch möglich ist. In den ersten Wochen war sie unsicher, wie sie die Menschen hier begrüßen soll: die Hand geben, mit Wangenkuss oder Umarmung? „In Ecuador haben wir mehr Körperkontakt. Egal ob die Leute sich kennen oder nicht, alle reden miteinander.“ Das ist hier anders. Wie auch das Essen. „Ich habe vorher noch nie so viel Brot und Pasta gegessen, aber das Essen in Deutschland ist sehr lecker“, schmunzelt die 27-Jährige, die zur Begeisterung ihrer Gastfamilie Llapingachos – eine Art Frikadelle aus Kartoffeln mit Käse gefüllt – und Bananenchips eingeführt hat.
Unterstützung der Gastfamilien
Ihre eigene Erfahrung als Au-Pair in den USA hat Daniela Galla-Niestradt motviert, ihr Zuhause für einen Gast zu öffnen. „Da habe ich die andere Seite kennengelernt. Für mich ist es spannend, Menschen, ihre Kultur und Sprache richtig kennenzulernen.“ Begeistert ist das Ehepaar von der Unterstützung durch das Welthaus, das die Organisation der Reise samt aller Formalitäten und Behördengänge, wie die Anmeldung bei der Krankenkasse, Eröffnung eines Bankkontos, Bahnticket etc., bis hin zu den Deutschkursen übernommen hat. „Wir haben vorab ein realistisches Bild vermittelt bekommen, wie es als Gastfamilie sein kann. Die Mitarbeiterinnen des Welthauses haben berichtet, welche Erfahrungen sie in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben. Auch, dass es sein kann, dass die Chemie nicht stimmt. Uns wurde signalisiert: Wir können nicht versprechen, wie es wird, aber wir sind da, wenn Probleme auftauchen. Das war für uns enorm beruhigend.“ Die Gastfamilien verpflichten sich, eine* Freiwillige*n zunächst für neun Monate aufzunehmen. Sollte es nicht klappen, kann ein Wechsel erfolgen. „Das war bei uns gar keine Frage“, freut sich Lukas Galla. „Wir haben durch Johana viele neue Menschen getroffen, die wir sonst wahrscheinlich nie kennengelernt hätten, die anderen Freiwilligen aus El Salvador, Mosambik, Mexiko, Nicaragua, Peru, Simbabwe und Südafrika samt Gastfamilien. Das hat unser Leben bereichert und ich würde immer wieder jemanden aus dem Programm aufnehmen
Vier Jahreszeiten
Die Arbeit im Drogenhilfezentrum findet Johana sehr interessant. „In Ecuador bekommen Suchtkranke keine Unterstützung“, berichtet die studierte Sozialarbeiterin, die in ihrer Heimat mit von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern gearbeitet hat. Einer von vielen Berührungspunkten mit ihrer Gastmutter. Auch die Körperpsychotherapeutin hat in ihrem Beruf in einer Traumaklinik häufig mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu tun. „Johana und ich reden oft über Frauenrechte in Ecuador und Deutschland. Durch sie habe ich jetzt einen anderen Blick auf die politische Situation in einem Land ohne demokratische Strukturen, wo die Polizei korrupt ist.“ Sicherheit hat für Johana ein große Bedeutung, einer der Gründe, warum sie gern in Bielefeld lebt. „Ich komme aus Mindo, ein Dorf mit knapp 4.000 Einwohnern und Bielefeld ist nicht so groß wie Berlin oder Frankfurt.“ Städte, die sie bereits mit einer Freundin aus dem „weltwärts“-Programm besucht hat. „Johana ist ganz viel auf Reisen“, ergänzt Edda. Und tatsächlich: Sie war schon an der Nord- und Ostsee, in Köln, München, Stuttgart, Heidelberg, Freiburg, der Schweiz, Portugal und Frankreich. In Bielefeld hat sie ihren ersten Frühling erlebt. „Als ich ankam, hatten die Bäume keine Blätter und ich dachte, ich muss unbedingt Pflanzen für den Garten kaufen.“ Und sie sah zum ersten Mal Schnee. In dem südamerikanischen Land am Äquator schneit es zwar in den Bergen , aber Johana stammt aus einer subtropischen Region mit jeder Menge Artenvielfalt. Allein 600 unterschiedliche Vogelarten gibt es in Ecuador inklusive Galapagos-Inseln. Ein Land, das die Familie Galla gern mal besuchen würde. Im Juli endet Johanas Zeit in Bielefeld, aber sie möchte schon sehr bald zurückkehren, um hier zu leben und zu arbeiten.
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Gastfamilien gesucht!
Das Welthaus Bielefeld sucht zum 1. August 2024 Gastfamilien, aber auch für die Folgezeit können sich interessierte Familie beim Welthaus Bielefeld e.V. melden. Mit Gastfamilien sind alle denkbaren Formen des Zusammenlebens gemeint, unabhängig von Alter, Geschlecht, Personenanzahl, Herkunft oder sexueller Orientierung.
Ansprechpartnerin Barbara Schütz: barbara.schuetz@welthaus.de
Was ist weltwärts?
weltwärts ist ein Freiwilligendienst, gefördert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bei dem sich junge Menschen aus Deutschland und dem Globalen Süden bei einer gemeinnützigen Organisation engagieren. Ziele sind der Austausch zwischen Menschen des Globalen Südens und des Nordens, die persönliche Weiterentwicklung der Freiwilligen sowie der Einsatz für globale soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung.