FASZINATION ATMUNG
Atmen ist für die meisten Menschen etwas so Selbstverständliches, dass wir gar nicht darüber nachdenken. Zwischen 12 und 20 Atemzüge machen wir pro Minute. „Buddhistische Mönche kommen nach entsprechend langem Training mit drei Atemzügen aus“, erklärt Prof. Dr. Bernd Schönhofer, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) und Universitätsklinik Ostwestfalen-Lippe (OWL). „Die Geburt ist der größte Schock, denn die Neugeborenen erleben plötzlich Licht, Kälte und müssen zum ersten Mal selbstständig atmen.“
Die Lunge als zentrales Atemorgan sorgt dafür, dass lebenswichtiger Sauerstoff in den feinen Lungenbläschen in unser Blut gelangt. Denn alle Körperzellen benötigen Sauerstoff, um zu funktionieren. Gleichzeitig entsorgt sie beim Ausatmen Kohlendioxid, das als Abfallprodukt im Körper anfällt.
In unkontrollierten Stresssituationen oder bei Angstzuständen wird die Atmung automatisch schneller – so stellt der Körper den dann erhöhten Sauerstoffbedarf sicher. „ Andererseits hat Atmen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unser Seelenleben, wenn wir bewusst zwei bis drei Minuten ruhig ein- und ausatmen. Wir kommen dabei zur Ruhe. Das ist eine unterschätzte Form der Selbstbeeinflussung, die gut funktioniert. Anders als zum Beispiel bei einem hohen Blutdruck, den können wir nicht selbst regulieren.“
Nächtliche Atemstillstände, zu denen es bei bestimmten Erkrankungen, wie z. B. der sogenannten „Schlafapnoe“ kommt, sind purer Stress für den Körper: Der Blutdruck schnellt in die Höhe und die Schlafqualität ist insgesamt miserabel. „Hierbei kann es zu Hunderten Aussetzern pro Nacht kommen. Das lässt sich bei uns im Schlaflabor feststellen und dann effektiv mit einer Nasenmaske behandeln“, berichtet der engagierte Chefarzt, der seit dem 1. April 2021 in Bielefeld die Pneumologie auf die Universitätsmedizin vorbereitet.
Neben der Schlafapnoe ist die meistens raucherbedingte chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ein weiteres weit verbreitetes pneumologisches Thema. Bei der fortschreitenden und bislang nicht heilbaren Lungenkrankheit sind die Atemwege entzündet und sind zunehmend verengt (Obstruktion). „Rauchen ist aktuell wieder ein Riesenthema“, so der erfahrene Lungenfacharzt. „Vor der Corona-Epidemie waren wir auf einem guten Weg. Besonders der deutliche Anstieg des Rauchens in der Pandemie
bei den jungen Menschen ab dem 14. Lebensjahr bereitet uns große Sorge. Diese Menschen bekommen spätestens im Alter von 40 Jahren Probleme, wie alltägliche Luftnot bei Belastung. Nicht nur die Atemwege sind rauchbedingt dann geschädigt, sondern im Verlauf der Erkrankung lösen sich die Lungenbläschen regelrecht auf und es kommt zum sogenannten Lungenemphysem.“ Die Folge ist ebenfalls Luftnot, wie sie auch bei Asthmatikern auftritt. Weil sich COPD-Patienten über Jahrzehnte an ihre Luftknappheit gewöhnt
haben, empfinden viele diesen Zustand subjektiv aber nicht so bedrohlich wie Menschen, bei denen ein Asthmaanfall, der von jetzt auf gleich auftritt, und eine explosionsartige Engstellung der Bronchien zur Folge hat. „Glücklicherweise können wir Asthma mit die Bronchien erweiternden Medikamenten zur Inhalation oft sehr schnell und effektiv behandeln. Die Erkrankung kann durch eine genetische Disposition oder durch eine Allergie ausgelöst werden. Bei Kindern kann sich Asthma wieder regelrecht ,auswachsen’, aber bei Erwachsenen im höheren Alter erstmals auftreten. Die Anlagen zum Asthma befinden sich in unserem Erbmaterial. Bestimmte Zellen in der Schleimhaut der Atemwege, die für Entzündungsreaktionen verantwortlich sind, sind so lange friedlich, bis sie gereizt werden, zum Beispiel durch Pollen, Gräser, Chemikalien, Tierhaare oder einen Virusinfekt.“ Akute Luftnot kann auch durch eine sogenannte „Lungenfibrose“ hervorgerufen werden – eine Vermehrung von Bindegewebe, die zu einer Vernarbung und Versteifung des Lungengewebes führt. Die Ursachen einer Lungenfi brose sind meistens unbekannt. „Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium der Fibrose oder COPD sind die üblichen Medikamente nicht mehr wirksam; dann kann ein Therapieversuch mit Morphium unternommen werden. Denn: Morphium lindert Luftnot oft ähnlich wie Schmerzen“, so Prof. Dr. Bernd Schönhofer.
Im Lungenzentrum behandeln die Kliniken für Pneumologie und Thoraxchirurgie des EvKB gemeinsam vor allem Patient*innen mit Lungenkrebs. Die Lungenfachklinik des EvKB steht aber auch in engem Austausch mit anderen Disziplinen, wie Neurologie und Rheumatologie. Denn z. B. Rheuma kann auch innere Organe wie beispielsweise die Lunge schädigen.
Bei eigentlich neurologischen Erkrankungen mit Muskelbeteiligung ist nicht selten der Hauptatemmuskel – das Zwerchfell – geschwächt, was zu Luftnot führt. Menschen mit schwerer Luftnot erleben nicht selten lebensbedrohliche Zustände mit psychischen Belastungen. Hierbei können Selbsthilfegruppen hilfreich sein, um sich unter Begleitung von Lungenexperten mit anderen Betroffenen auszutauschen. Ganz aktuell hat Prof. Dr. Bernd Schönhofer im Juni neuromuskulär erkrankte Patient*innen mit Zwerchfellschwäche eingeladen, um ihnen die Behandlungsmöglichkeiten zu erklären – ein Novum in Bielefeld. ✔