Ausbildung in der Pflege

Über kaum ein anderes Thema wird heißer diskutiert als über die Pfelege. Nun ändert sich so einiges: Aus drei Ausbildungsberufen – Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger wird ab 2020 der Ausbildungsberuf Pflegefachfrau bzw. -mann.

Judith Kreuziger

Lehrkraft an der Gesundheitsschule des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB)

Mit der neuen generalistischen Pflegeausbildung wird ein neues Berufsbild und zudem ein Abschluss geschaffen, der in der EU anerkannt ist. Unsere Absolventen bekommen damit nicht nur mehr Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten, sondern können innerhalb der Union überall arbeiten“, berichtet Judith Kreuziger, die seit sechs Jahren als Lehrkraft an der Gesundheitsschule des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) arbeitet. Für die Berufspädagogin Pflege und Gesundheit und ihre KollegInnen bedeutet das, dass ein komplett neuer Lehrplan auf der Grundlage des bundeseinheitlichen Lehrplans erstellt wird. Die Ausbildungsdauer von drei Jahren bleibt erhalten. Neu ist auch, das die Gestaltung des Pflegeprozesses – dazu gehören die Bedarfserhebung, die Planung der Pflegemaßnahmen, die Durchführung und die Evaluation – künftig den examinierten Pflegefachleuten vorbehalten ist. Eine Aufwertung des Berufsstandes.

ABWECHSLUNG IM BERUF

Nach ihrem Abschluss können die examinierten Pflegefachleute in verschiedenen Tätigkeitsfeldern arbeiten: von der Akutpflege über den ambulanten Bereich bis zur Langzeitpflege, von der Somatik bis zur Psychiatrie. Und das bei Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren. Hieraus kann man schon erahnen, dass eine Menge Hintergrundwissen erforderlich ist. „Wir werden künftig verstärkt fächerintegrativ an Fallbeispielen lehren“, so Judith Kreuziger, die vor ihrem Studium an der FH Bielefeld eine Grundausbildung in der Pflege absolviert hat. Nicht die Krankheit steht im Fokus, sondern vielmehr die Frage: Was macht die Krankheit mit dem Menschen und was bedeutet das konkret für die Pflege. Auch wenn der medizinische Teil der Ausbildung damit etwas zurückgenommen wird, ist die Vermittlung von Zusammenhängen weiterhin wichtig. „Insgesamt ist das eine neue Ausrichtung und die Pflege fokussiert sich mehr auf ihren eigenen Verantwortungsbereich.“ Mindestens 2.100 Stunden Theorie und 2.500 Stunden Praxis liegen hinter den Auszubildenden, bevor die Examina anstehen. Die Pflegekräfte sind oft erste Ansprechpartner in ihrem Arbeitsumfeld und eine wichtige Schnittstelle zwischen Pflegebedürftigen, Angehörigen, Ärzten, Therapeuten und anderen Berufsgruppen.

Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Bielefeld steigt monatlich.

PFLEGE IST GEFRAGT

Die Gesundheitsschulen des EvKB bieten 445 Ausbildungsplätze in der Pflege an, darunter auch Plätze für die einjährige Ausbildung zum Pflegeassistenten. Die Resonanz ist gut. Alle Ausbildungsplätze sind besetzt. Viele Auszubildende – der Männeranteil ist in den letzten Jahren gestiegen – haben vor ihrer Ausbildung ein Betheljahr oder ein Praktikum absolviert. „In den Bewerbungsgesprächen nehmen wir uns Zeit dafür, den jungen Menschen zu erklären, wie Ausbildung und Beruf aussehen“,
sagt Judith Kreuziger. Voraussetzung für eine Bewerbung ist die Mittlere Reife oder ein Hauptschulabschluss mit abgeschlossener Ausbildung und man muss 18 Jahre alt sein. „Zu uns kommen auch viele Abiturienten, die einen sinnvollen Beruf erlernen und gern mit Menschen arbeiten möchten. Oder Eltern oder Freunde arbeiten hier im EvKB. Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist immer noch die beste Werbung. Für die Auszubildenden sind die vielen Einrichtungen, die es in Bethel gibt, attraktiv für ihre Praxiseinsätze. Ich denke da z. B. an das Epilepsiezentrum Mara, eine solche Einrichtung gibt es ja nicht überall.“ Die Ausbildung in der Pflege wurde an der Gesundheitsschule übrigens schon immer vergütet. Neu ist, dass auch die Ausbildungen in den Bereichen Physiotherapie, Diätassistenz, MTR A und Ergotherapie bezahlt werden.

GUTE PFLEGE OWL

Um eine Ausbildungsoffensive zu starten, die mehr junge Menschen für Pflegeberufe begeistert, haben Angelika Gemkow, Uwe Borchers, Geschäftsführer des Zentrums für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL mit Sitz in Bielefeld, und Petra Krause, Leiterin der Gesundheitsschulen am EvKB, das Netzwerk „Gute Pflege OWL“ ins Leben gerufen, denn die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Bielefeld steigt monatlich. Schon heute sind mehr als 12.000 Bielefelderinnen pflegebedürftig und zigtausend Menschen haben Hilfe- und Unterstützungsbedarf. „Fachpflege braucht Fachkräfte“ – so das Credo. Die Pflegearbeit, die unterschiedlichen Berufsfelder und Arbeitsorte sollen sichtbarer gemacht werden, um mehr Menschen für die Pflegeausbildung zu gewinnen. Zu diesem Zweck wird ein breites Unterstützungsnetzwerk gebildet, das aus SchülerInnen, Pflegenden, Pflegearbeitgeber* Innen, Lehrenden, Eltern, Interessierten aus Verbänden, Organisationen, Medien, aus Sport und Politik besteht. Nach Meinung der Initiatoren gibt es zu viele Negativberichte. „Die sinnerfüllende Arbeit, die Arbeit mit Menschen in zig Berufsfeldern, die technische Entwicklung und die hohe Verantwortung, darüber wird zu wenig gesprochen“, so Angelika Gemkow, ehemaliges Mitglied des Landtags NRW und Vorsitzende der Enquete-Kommission „Zukunft der Pflege in NRW“. „Wer pflegt, der bekommt viel Empathie zurück. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen verändert werden. Das bedeutet beispielsweise mehr Stellen und mehr Geld – insbesondere in der Altenpflege. Die Pflegearbeit braucht verlässliche Arbeitszeiten. Da sind die Pflegearbeitgeber* Innen in der Verantwortung. Außerdem müssen wir Aussteiger zurückgewinnen. Die Pflege konkurriert zudem mit Industrie und Handwerk, die auch dringend Arbeitskräfte suchen.“

www.gute-pflege-owl.de

AZUBIS HABEN DAS WORT

Wie sieht die Praxis aus?

Im April haben Anna Büscher (20) und Saskia Ziep (19) ihre Ausbildung zur Altenpflegefachfrau beim Ev. Johanneswerk begonnen. Wir wollten Näheres wissen.

Warum haben Sie sich für eine Ausbildung zur Altenpflegefachfrau entschieden?

Saskia Ziep: Ich habe zuvor eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin angefangen, aber schnell gemerkt, dass ich eine Beziehung zu älteren Menschen habe. Deshalb habe ich gewechselt.

Anna Büscher: Die Idee kam eigentlich von meiner Mutter. Ich wollte gern mit Menschen arbeiten und habe erst daran gedacht, Grundschullehrerin zu werden. Aber eigentlich ging es mir so wie Saskia. Ich bin gern mit älteren Menschen in Kontakt. Mein Praktikum im Jacobi-Haus in Bünde hat mich in meinem Entschluss bestärkt.

Ist aus Ihrer Sicht die Darstellung Ihres Berufs zutreffend?

Anna Büscher: M ir i st d ie D arstellung oft zu einseitig. Meist wird immer das Thema Waschen angesprochen und dass das ja jeder kann. Oder ich werde gefragt, wie ich das aushalte, das wäre doch ekelig. Dabei wird unsere Arbeit von den älteren Menschen sehr geschätzt und man bekommt ganz viel zurück. Und nach der Ausbildung gibt es ganz viele Perspektiven. Man kann studieren oder sich zur Pflegebereichsleiterin weiterbilden. Außerdem macht mir der Beruf
ganz viel Spaß. Es ist manchmal zwar anstrengend, aber wenn ich den ganzen Tag am PC sitze, ist es das auch. Ich fände es gut, wenn sich die Leute den Beruf
genauer anschauen und nicht immer nur das Negative sehen würden. Außerdem möchten die später selbst auch gepflegt werden. Ich hoffe, dass ich eines Tages auch Hilfe bekomme.

Saskia Ziep: Wir erleben sehr viel Dankbarkeit und Lob. Oft bekomme ich zu hören: Liebe Saskia, ohne dich hätte ich
das nicht geschafft. Außerdem erlebe ich bei meinem Job viel mehr als im Büro. Ich habe Kontakt zu den Bewohnern, wir unterhalten uns. Das ist ganz wichtig. Vor allem für die, die keine Angehörigen haben oder nur wenig Besuch bekommen. Ich finde es sehr spannend, wenn die älteren Menschen vom Krieg erzählen. Ich kenne das nur aus Büchern und die Bewohner haben das tatsächlich erlebt. Das ist manchmal sehr emotional.

Anna Büscher: Stimmt. Viele freuen sich, wenn wir da sind und sie jemanden haben, mit dem sie reden können. Ich kann von den Bewohnern viel lernen, wenn sie mir ihre Geschichten erzählen. Auch für die Angehörigen, die viele Fragen haben, sind wir Ansprechpartner.

Also ist es wichtig, kommunikativ zu sein. Was ist noch wichtig?

Saskia Ziep: Ich finde, man muss kritikfähig sein. Wir lernen ja noch, da ist es wichtig, so viel wie möglich von den Anleiterinnen mitzunehmen.

Anna Büscher: Humor hilft auch oft. Dass man zum Beispiel locker damit umgeht, wenn jemand mal Blähungen hat. Oft entstehen daraus sehr lustige Situationen, über die wir gemeinsam lachen können. Eine Dame hat mal so gelacht, dass sie einen hochroten Kopf bekam. Da hatte ich schon Sorge, dass etwas passiert ist.

Das heißt, Sie lernen auch einzuschätzen, wann ein Arzt gerufen wird?

Anna Büscher: A uch d as w ird z u u nseren Aufgaben gehören. Wir lernen, Vitalzeichen wie Puls und Blutdruck zu überprüfen. Auf dem Stundenplan stehen zudem Anatomie und Physiologie, Medikamentengabe, Blutzucker kontrollieren, Insulin spritzen, viel zum Thema Ernährung, typische Krankheitsbilder, Demenz beispielsweise, und noch vieles mehr aus dem medizinischen Bereich.

Saskia Ziep: Dazu kommen noch Hygiene, Rechtskunde, Ethik, Betreuungspflichten, Psychologie, Sozialwissenschaften und Gerontologie, das ist die Lehre vom Altern der Menschen. Was viele vielleicht nicht wissen, ist, dass auch wir eine Schweigepflicht haben. Alles, was zwischen mir und einem Bewohner besprochen wird, bleibt vertraulich.

Wie sieht die Praxis aus?

Anna Büscher: Während der Praxisphasen bin ich im Jacobi-Haus, wo ich schon das Praktikum gemacht und vier Monate als Präsenzkraft gearbeitet habe. Im Jacobi-Haus haben zwölf Bewohner eine eigene Wohnung mit einem gemeinsamen Wohnzimmer und einer Küche. Fast wie eine WG. Wir kochen zusammen und die Bewohner können dabei helfen, wenn sie möchten.

Saskia Ziep: Ich arbeite im Johanneshaus in Herford, das ähnlich aufgebaut ist wie das Jacobi-Haus. Auch hier bemühen wir uns um eine sinnvolle Beschäftigungsstruktur für die Bewohner. Wir veranstalten Feste, Gottesdienste oder Kegelabende.

Anna Büscher: Es gibt auch schräge Situationen, wenn beispielsweise jemand in Dauerschleife Beleidigungen schreit. Wenn ich dann ans Bett trete und frage, wer denn der „Hurenbock“ sei, lächelt derjenige mich an und ist glücklich und friedlich. Ich wurde noch nie beleidigt.

Saskia Ziep: Mich hat die Geschichte einer Bewohnerin sehr berührt, die im Alter von 18 ganz allein von Russland nach Deutschland geflüchtet ist. Da wird mir bewusst, wie schwer es die Menschen damals hatten und wie gut wir es heute haben.

Ein weiteres Vorurteil ist, dass Pflegeberufe nicht gut entlohnt werden?

Anna Büscher & Saskia Ziep: Es gibt eine Ausbildungsvergütung von 1.100 Euro im ersten Jahr, die in den beiden weiteren Lehrjahren um jeweils 100 Euro steigt. Dazu kommen in unseren Einrichtungen Schichtzulagen, Urlaubsgeld und Betriebsrente. Mit dem Geld kommen wir gut zurecht.

WER BILDET IN BIELEFELD AUS?

In Bielefeld bilden Krankenhäuser, Kliniken, Wohlfahrtsverbände u. ä. und viele ambulante Pflegedienste aus, z. B.:

AWO-Fachseminar für Altenpflege

„Bielefelder Akademie für Pflegeberufe“ (BiAP) ab 1.4.2020 unter dem Dach des Zentrums für Pflege und Gesundheit (Kooperation vom Klinikum Bielefeld und der AWO)

Bildungszentrum des Franziskus Hospitals

Gesundheitsschulen des EvKB (Pflege, Physiotherapie, Diätassistenz, MTR und Ergotherapie)

Pflegeschule des Johanneswerks