Bielefelder Seebrücke – Sichere Häfen

Juni 2018: Die Rettungsschiffe „Lifeline“ und „Aquarius“ nehmen mehrere hundert Menschen an Bord, retten sie vor dem Ertrinken im Mittelmeer – und werden tagelang am Einlaufen in einen Hafen gehindert. Aus der breiten Empörung formiert sich in Berlin die Seebrücke, heute eine internationale zivilgesellschaftliche Bewegung, auch mit einer Lokalgruppe in Bielefeld. Bereits am 21.7.2018 demonstrieren 2.000 Menschen in Bielefeld gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung.

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„Es herrschte überall eine Aufbruchstimmung, die motivierte, etwas gegen die unhaltbaren Zustände zu tun“, erinnert sich Jens Drüke. Der Bielefelder, der sich bereits in den 1990ern in der Antirassismusbewegung engagierte, fand es „entsetzlich, was in der Welt und in Deutschland passiert“. Farbe bekennen, stand deshalb ganz oben auf der Agenda und so organisierte die Bielefelder Lokalgruppe gleich am 4. August einen „Day Orange“, um ihre Solidarität mit Menschen auf der Flucht zu zeigen. Die Farbe „Orange“ symbolisiert die Rettungswesten. Bis heute sind schätzungsweise über 300.000 Menschen bei den Aktionen der Seebrücke auf die Straßen gegangen.

Konkrete Forderungen an die Lokalpolitik zeigten bereits Erfolge. In einem offenen Brief an Pit Clausen forderte die Seebrücke Bielefeld den Oberbürgermeister auf, sich der Initiative seiner Amtskollegen in Köln, Düsseldorf und Bonn anzuschließen und sich bereitzuerklären, gezielt aus Seenot gerettete Gefüchtete zusätzlich aufzunehmen. Pit Clausen wurde überzeugt und schrieb an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am 27. September stimmte der Rat der Stadt dem Vorhaben zu und damit konnten im November etwa zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vom Seenotrettungsschiff „Aquarius“ in Bielefeld aufgenommen werden.

Seenotrettung ist eine Pflicht

Die Seebrücke möchte den öffentlichen Fokus auf die katastrophalen Zustände und die Kriminalisierung der Seenotrettung legen. Wurde den Rettern vor einiger Zeit noch von  Teilen der veröffentlichten Meinung unterstellt, mit kriminellen Schleppern im Mittelmeer zu kooperieren, konnte diese Unterstellung nun aus der Welt geschafft werden. Die Rechtslage ist indes eindeutig: Jeder Kapitän ist zur Seenotrettung verpflichtet. Doch die Kriminalisierung geht weiter: Schiffe werden konfisziert und das Einlaufen in einen Hafen ohne Genehmigung der Behörden wird unter Strafe gestellt, wie das Beispiel von Carola Rackete jüngst zeigte. Dazu gab’s am 6. Juli des Jahres erneut einen Day Orange auf dem Jahnplatz. Von der Sparrenburg wehte ein zehn Meter langes Banner. „Das musste abgenommen werden, weil es an dem Tag sehr windig war und wir es nicht sicher genug befestigt hatten. Die Mitarbeiterinnen der Sparrenburg bedauerten aber ausdrücklich, dass sie das Banner deswegen abhängen mussten“, so der Sozialarbeiter. Es sind manchmal die kleinen Sympathiebekundungen, die der Lokalgruppe Mut machen. Ein kleiner Kompromiss konnte auch bezüglich des Mahnmals am Niederwall erzielt werden. Am 10. Dezember 2018, dem „Tag der Menschenrechte“, gedachten etwa 100 Menschen der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge auf dem Grünstreifen vor dem Rathaus. „Unsere Forderung an die Stadt, dort etwas Permanentes zu errichten, wurde nicht erfüllt. Aber unser Mahnmal durfte zumindest bis Weihnachten dort bleiben. Das sind alles kleine Schritte, aber man muss aufpassen, dass man nicht in der politischen Umarmung erstickt“, so der 51-Jährige. „Ein großer Schritt wäre es, wenn die Lokalpolitik eigenständig über die Aufnahme von geflüchteten Menschen entscheiden könnte und das nicht nur auf Bundes- oder Landesebene geschähe.“

Überlebensrecht sichern

Noch immer ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer. Bis Oktober 2019 waren es über 1.000 Menschen. „Durch das Engagement der Seebrücke ist der Fluchtweg über das Mittelmeer stark in den öffentlichen Fokus gerückt worden“, sagt Jens Drüke, „aber das ist ja nur ein sehr kleines Stück, das die Menschen zurücklegen. Viele geflüchtete Menschen sind monate- oder sogar jahrelang unterwegs. Der Landweg ist gefährlicher geworden und die Zustände in den Lagern in Libyien oder auf den griechischen Inseln sind menschenunwürdig. Diese Elendsquartiere ohne Perspektiven müssen evakuiert werden.“

Und Europa schottet sich ab. „Europäische Politik kommt durch aktiv verhinderte Seenotrettung dem Schießbefehl einer Alice Weidel gefährlich nahe, denn der Tod von Menschen wird zumindest in Kauf genommen. Damit diese Insel des Wohlstandes erhalten werden kann, braucht es militärische und polizeiliche Gewalt“, kritisiert Jens Drüke. Wir müssen jetzt vor allem ehrlich sein und anerkennen, dass  Wohlstand auf der Ausbeutung anderer Länder beruht und entsprechend mutig handeln, um die komplexen ökonomischen Strukturen aufzubrechen. Etwa bei Freihandelsabkommen, die Europas ökonomischen Reichtum absichern, Menschen in Afrika aber die Lebensgrundlagen nehmen.“

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Die Seebrücke Bielefeld trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat im Kulturhaus in Bielefeld.

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