Alphalernberatung
Rund 6,2 Millionen Menschen oder 12,1 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung können in Deutschland nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben. „Die Betroffenen gelten als gering literalisiert und haben Mühe, einen längeren zusammenhängenden Text zu verstehen“, sagt Alphalernberaterin Sonja Wind. Sie möchte das ändern und berät Menschen, die zu ihr kommen. „Es ist ein sprach- und kultursensibles Thema, das zudem vielfach schambehaftet ist“, weiß die Bielefelderin. Betroffene Erwachsene finden häufig über soziale Beratungseinrichtungen den Weg zur Alphalernberatung. Muttersprachler ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei verfügen mehr als 60 Prozent aller Betroffenen über keinen oder einen niedrigen Schulabschluss. „Positiv ist, dass viele Menschen in der sozialen Beratung offener für das Thema Lernen sind als in den meisten anderen Situationen ihres Lebens. Sie bringen bereits die Bereitschaft mit, sich konkreten Problemen zu stellen und ihren Alltag zu verbessern“, weiß die 37-Jährige, die bereits während ihres Studiums an der Uni Bielefeld beratend tätig war. Allerdings in einem ganz anderen Kontext. Damals studierte sie Deutsch als Fremdsprache, arbeitete mit internationalen Studierenden und Promovierenden und war in der Schreibberatung aktiv.
„Ohne die Schriftsprache bleibt einem vieles verschlossen. Die Literalisierung ist der Schlüssel zur Welt“, stellt sie fest. „Briefe oder Fahrpläne lesen, Bewerbungen schreiben oder den eigenen Kindern bei den Hausaufgaben helfen, wird sonst zur großen Hürde.“ Dem möchte die engagierte Bielefelderin mit der Alphalernberatung – Träger des Projekts ist der AWO Kreisverband Bielefeld e.V. und das Germanistische Institut an der Uni Münster – entgegenwirken. „Auch um mehr Teilhabe und Chancengleichheit sowie mehr Autonomie durch Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen“, betont sie. Dabei zielt das Projekt auf den besonderen Lernbedarf der Betroffenen ab, denn diesem kann die Sozialberatung nicht gerecht werden. „Die soziale Beratung baut quasi die Brücke zu uns“, so die Lernberaterin.
Seit dem letzten Frühjahr befindet sich das Projekt in der Praxisphase. Angepasst an die aktuelle Situation nicht persönlich, sondern online oder telefonisch. An dem Anspruch, für akute Probleme nach schnellen Lösungen zu suchen, hat sich nichts geändert. Im Gespräch klärt Sonja Wind, was sich verändern soll und welche Teilziele auf dem Weg liegen. Ihr geht es darum, auch kleine Erfolge sichtbar zu machen und zu schauen, auf welche Ressourcen jeder einzelne zurückgreifen kann. Das non-formale Angebot soll die Betroffenen in keinen Rahmen zwängen, ist minimal direktiv, aber immer ganz individuell. „Dinge, die an Schule und früheres Lernen erinnern, sollten vermieden werden“, betont Sonja Wind, die dazu beitragen möchte, dass die Menschen mehr Selbstvertrauen entwickeln. „Man muss nicht geduckt durch die Welt laufen, weil man nicht lesen und schreiben kann – das macht nicht den Wert eines Menschen aus!“