Algen made in Bielefeld
Algen gelten als Hoffnungsträger, um der Bioökonomie die nötige Schubkraft zu verleihen. Denn klar ist: Fossile Brennstoffe sind eine endliche Ressource. Gewonnen aus vor Millionen von Jahren abgestorbener Biomasse gehen die Reserven an Kohle, Erdöl und Erdgas zuneige. Vor einem Jahr hat das Bundeskabinett die Bioökonomiestrategie 2030 verabschiedet. Das Kernziel ist dabei, eine nachhaltige, kreislauforientierte und innovationsstarke deutsche Wirtschaft zu schaffen. Für das Bielefelder Start-up Algenium ist dies ein klarer Hinweis darauf, dass es sich auf dem richtigen Weg befindet. Der Ansatz: die heimische Algenzucht. Direkt in Bielefeld.
Mit Algen sind nicht die großen Makroalgen, die man auch am Strand findet, gemeint, sondern winzige Einzeller, sogenannte Mikroalgen, die schneller und effizienter wachsen können als jede bekannte Pflanze auf diesem Planeten. Diese „winzigen Pflänzchen“ werden aufgrund ihrer wertvollen Inhaltsstoffe als kleine Alleskönner unter den nachwachsenden Rohstoffen bezeichnet. Dabei sind sie gar nicht sonderlich anspruchsvoll. Für ihr Wachstum brauchen sie wenige Nährstoffe, Licht, Wasser und Kohlendioxid. Genau über die sinnvolle Nutzung dieser Ressourcen auf seinem Hof hatte Johann Meyer zu Bentrup schon länger intensiv nachgedacht. „Eigentlich hat meine Mutter den Stein ins Rollen gebracht“, lacht der promovierte Landwirt. „Sie hatte einen Zeitungsartikel über die Grundlagenforschung zu Mikroalgen an der Universität Bielefeld gelesen und gefragt, ob das vielleicht für unsere Biogas-Anlage interessant wäre.“ War es definitiv. Johann Meyer zu Bentrup nahm Kontakt zur Fakultät für Biologie auf. Dort stieß er auf Viktor Klassen, den er – wie der Zufall es so wollte – bereits von der gemeinsamen Schulzeit kannte und der sich seit seiner Dissertation mit dem Einsatz von Mikroalgen zur Gewinnung von Biogas beschäftigt. Er wiederum sprach Dominik Cholewa aus der Technischen Fakultät an, der sich ebenfalls schon seit seiner Promotion den Mikroalgen und den technischen Möglichkeiten hierzu gewidmet hat. In dieser Kombination erkannten die drei Gründer in spe recht schnell, dass jenseits von Bio-Methan zahlreiche Möglichkeiten mit den Mikroalgen auf ihre Umsetzung warten. 2018 gründeten sie Algenium.
ALLROUND-TALENT
„Mikroalgen enthalten große Mengen an wertvollen Proteinen – mehr als Soja –, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, natürlichen Carotinoiden, Vitaminen und vielem mehr. Dies macht sie für die Nahrungsmittelindustrie, für Kosmetik, Pharmazie, Chemie und die Bioenergiebranche so interessant. Es ist ein sehr junges Marktsegment, das das Potenzial hat, Geschichte zu schreiben“, ist Johann Meyer zu Bentrup überzeugt.
Algenprodukte finden bereits jetzt schon vielseitige Verwendung als Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika, Vitamin-Präparate oder als therapeutische Immunstimulanzien. So kann aus nur einem Gramm Biomasse mit Euglena gracilis der Vitamin-E-Bedarf eines erwachsenen Menschen für einige Wochen gedeckt werden. Zudem enthält sie das wertvolle Vitamin B12 (Cyanocobalamin) und andere wichtige Nährstoffe, die zum Teil nur in tierischen Lebensmitteln enthalten sind, wie z. B. Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B1. „Fische sind reich an Omega-3-Fettsäuren, weil sie u. a. Algen fressen“, erklärt Dominik Cholewa. „Wenn man an die Zustände in den Fischfarmen und die Überfischung vieler Teile der Meere denkt, sind Mikroalgen eine sehr gute Option, den Fisch einfach außen vor zu lassen und die wichtigen Nährstoffe gleich von den Mikroalgen aufzunehmen.“ Außerdem dienen Mikroalgen nicht nur als prall gefüllte Proteinlieferanten, sondern mit dem wissenschaftlichen Know-how können sie so kultiviert werden, dass sie auch zu einem wichtigen Lieferanten von Kohlenhydraten werden. „Man kann sogar Bioplastik aus den kleinen Pflänzchen herstellen“, berichten die drei Gründer begeistert.
PRODUKTION VOR ORT
Anders als andere Mikroalgenhersteller – wie in Asien beispielsweise, wo das Thema Mikroalgen schon seit ewigen Zeiten bekannt ist – produziert Algenium in geschlossenen Systemen und erreicht dabei Reinheitsgrade, die in offenen Kultivierungen nicht möglich sind. Da kann eine hereingewehte Plastiktüte zum Beispiel ein ganzes Becken kontaminieren. „In Asien gibt es bereits viele große Farmen, in Europa sind es noch sehr wenige. Bei uns wird auf sehr hohem Niveau und mit ganz anderen Qualitätsansprüchen gearbeitet. Die Produktion hier durchzuführen ist eigentlich naheliegend, denn Mikroalgen können überall hergestellt werden und man kann die Transportwege um die halbe Welt, unserer Umwelt zuliebe, sparen“, betont Viktor Klassen. „Wir haben hier, vor der Haustür, Mikroalgen,
die reich an Vitamin E und anderen lebenswichtigen Stoffen sind“, ergänzt Dominik Cholewa.
Momentan ist noch sehr viel Forschung nötig, um die Kultivierung so zu gestalten, dass es mengenmäßig zu wirtschaftlichen Ergebnissen kommt. Dazu wurde eigens ein Labor auf dem Hof Meyer zu Bentrup im Osten Bielefelds eingerichtet. Das Besondere an der Algenkultivierung made in Bielefeld ist, dass das umweltschädliche CO2 im Produktionsprozess zu reinem Sauerstoff umgewandelt wird. Damit ist die Algenzucht zugleich aktiver Klimaschutz.
Dies ist ein weiteres wichtiges Anliegen von Algenium. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung und einer drastischen Veränderung des Klimas ist eine Anpassung unserer Lebensweise unabdingbar. Algenium möchte hier Alternativen schaffen, die es Verbrauchern ermöglichen, so gut es geht, am gewohnten Lebensstil festzuhalten. Eine wirkliche Veränderung der Wirtschaft und Gesellschaft, die keinen Raubbau mehr an unserem Planeten betreibt, sei nur gemeinsam mit allen Menschen zu schaffen. Produkte aus Mikroalgen sollen dazu einen Beitrag leisten. „Denn die Strategie des Bundes für eine erfolgreiche Bioökonomie hört nicht bei der Wirtschaft auf. Erst wir Verbraucher tragen zum Erreichen einer weiterhin lebenswerten Welt bei“, so die Überzeugung der Bielefelder Gründer.