Die Definition von „Pillepalle“ liefert der Duden mit einem Klick: Kinkerlitzchen oder Kleinigkeit. Kathrin Ahäuser hat ihre Masterarbeit mit „Pille Palle“ überschrieben. Ein Wortspiel, das im Kontext mit der Pille an Bedeutung gewinnt. In elf Kurzfilmen lässt die Fotografin Menschen zu Wort kommen, die von ihren Erfahrungen und ihrem Umgang mit der Antibabypille berichten. Anwenderinnen ebenso wie ExpertInnen. Es ist ihr Beitrag zur Aufklärung über „die Pille“. Und so gut, dass ihre Arbeit im letzten Jahr für den Grimme Preis nominiert wurde.

Kathrin Ahäuser

Wie viele andere Frauen hat auch Kathrin Ahäuser, die zunächst an der FH Bielefeld studierte und schließlich an der FH Dortmund ihren Master in Fotografie machte, in unterschiedlichen Lebensphasen die Pille genommen. „Es ist ein Thema mit unendlich vielen Aspekten, jeder hat eine Meinung und so wird vielfach emotional diskutiert“, stellt die heute 34-Jährige fest. Sie hat sich dem Thema von ganz unterschiedlichen Seiten genähert. Hat persönliche Standpunkte eingefangen, Fakten und Links zusammengetragen. Denn das Thema Verhütung ist für jede Generation aufs Neue relevant. Nicht für ein, zwei Jahre, sondern über Jahrzehnte, immer abhängig von der jeweiligen Lebenssituation. Und Fakt ist: Obwohl immer von der Pille gesprochen wird, gibt es nicht nur die „eine“ Pille, sondern unterschiedliche Präparate von unterschiedlichen Herstellern und mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen. „So wie jede Frau individuelle Voraussetzungen mitbringt, wirkt auch jede Pille bei jeder Frau anders“, sagt Kathrin Ahäuser, die mit ihrem Filmprojekt Frauen ermutigen möchte, Aufklärung in Anspruch zu nehmen und sich selbst zu informieren. Ihr Rat: „Eine sehr gründliche Anamnese sollte an erster Stelle stehen.“

„Ich hatte mir nie Gedanken gemacht und die Pille einfach genommen. Erst in dem Zusammenhang ist mir bewusst geworden, dass Frauen durch die Pille zu Schaden gekommen sind.“

Kathrin Ahäuser

Unaufgeregt hat sie sich dem zumeist interessengesteuerten und häufig emotional diskutierten Thema in ihrer Masterarbeit genähert. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Mit eindrucksvollen Bildern. „Kurzfilme sind eine spannende Erzählform“, stellt die Fotografin fest, die Menschen und Bilder erzählen lässt. Dabei spiegelt jeder der elf Kurzfilme eine Haltung zur Pille. Ob als persönlicher Erfahrungsbericht oder als Einschätzung aus Sicht von Fachleuten. Elf Menschen erzählen. Die Jüngste ist 17, die Älteste 82 Jahre alt. Dabei richtet sie in ihren elf Kurzfilmen den Fokus nicht nur auf die Gesichter ihrer Protagonisten. Sie lässt sich Zeit für Details, ruht mit dem Blick der Kamera auf ihnen, während die Stimmen der Befragten durch die Bilder hindurchklingen. Sie fängt Hände ein, die Verletzlichkeit spiegeln und gleichzeitig sicher und routiniert Handgriffe des alltäglichen Lebens ausführen. Beim Kartenspielen, beim Griff in die Apothekerschublade oder bei der Präsentation verschiedenster Verhütungsmethoden. Kameraschwenks, die Details im Raum in den Blick rücken oder ins Draußen abtauchen, transportieren wiederum eine ganz spezielle Atmosphäre, geben einen Blick in den Lebens- und Arbeitsalltag der Interviewpartner frei.

1960 kam sie in den USA auf den Markt. Ein Jahr später gab es dann in Deutschland erstmals die Pille auf Rezept. Ein Medikament, mit dem allein in Deutschland rund sieben Millionen Frauen regelmäßig verhüten. Damit ist die Antibabypille auch knapp 60 Jahre nach Markteinführung Deutschlands Verhütungsmittel Nummer 1. „Ein Spiegel-Beitrag, in dem ein junge Frau erzählt, dass sie durch die Einnahme der Pille Yasminelle eine Thrombose erlitt und fast an einer dadurch verursachten Lungenembolie gestorben wäre, war 2015 der Auslöser für Kathrin Ahäuser, sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen. „Ich hatte mir nie Gedanken gemacht und die Pille einfach genommen. Erst in dem Zusammenhang ist mir bewusst geworden, dass Frauen durch die Pille zu Schaden gekommen sind“, so die heute 34-Jährige rückblickend.

Über 50 Antibabypillen gibt es auf dem deutschen Markt.

46 Prozent der Deutschen nutzen das Kondom.

47 Prozent der erwachsenen, sexuell aktiven Frauen und Männer nennen die Pille als Verhütungsmethode.

Seit 1960 gibt es die Pille in den USA.

Unabhängige Informationen über die Wirkung, die Risiken und Nebenwirkungen suchte die Fotografin bei ihrer Recherche im Vorfeld ihrer Masterarbeit vergeblich. In ihrer multimedialen Masterarbeit schaffte sie den Raum dafür. Mit Kurzfilmen zwischen 2 und 4 Minuten, von denen man mehrere konsumieren kann und in kurzer Zeit unterschiedliche Aspekte erlebt, aber auch mit Begleittexten, die wesentliche Punkte aufgreifen und weiterführenden Links. „Film, Text und weiterführende Infos bilden eine Einheit“, beschreibt die Fotografin das umfassende Konzept ihrer aufwendigen Masterarbeit. Dinge zu verbinden, ist ihr ein Bedürfnis. Ebenso genau hinzuschauen. Kathrin Ahäuser, die von 2009 bis 2013 in OWL zuhause war und nach Auslandsaufenthalten 2018 ihren Master in Dortmund machte und dort heute als freie Fotografin arbeitet und lebt, folgte mit „Pille Palle“ ihrem Bedürfnis, genreübergreifend zu arbeiten. „Ich habe immer geschwankt, ob ich Fotografie oder Journalismus studieren sollte“, so Kathrin Ahäuser, die inzwischen in Dortmund als freie Fotografin arbeitet. „Heute kann ich beides verbinden.“

Weniger der Pille selbst steht sie heute kritisch gegenüber, es ist vielmehr die Art und Weise, wie Informationen über sie zugänglich sind. „Die Pille ist ein Medikament. Es gibt Risikofaktoren, das sollte jeder Frau bewusst sein“, so Kathrin Ahäuser. Die synthetischen Sexualhormone der Pille, Gestagene und Östrogene, können diverse körperliche und psychische Nebenwirkungen hervorrufen. „Das ist vielen Mädchen und Frauen gar nicht bewusst“, so Kathrin Ahäuser. Und wird verdrängt durch die möglichen positiven Wirkungen, die sich häufig auf Schlagworte wie „regelmäßiger Zyklus, schöne Haut und Haare“ reduzieren. Mit ihrer multimedialen Auseinandersetzung möchte sie ein Zeichen setzen, dass sich Frauen selbstbestimmt und bewusst für oder gegen die Pille entscheiden können. Und sich nicht von den Pillenverpackungen irritieren lassen, die mit in ihrem Look eher an „Smartie-Verpackungen“ erinnern als an ein medizinisches Produkt.


www.kathrin-ahaeuser.de
www.pillepalle.info