Nachgefragt: Ist eine autofreie Innenstadt die Zukunft oder nicht?
Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die GRÜNEN, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz sowie Aufsichtsratsvorsitzender der moBiel GmbH spricht für die autofreie Innenstadt.
Jens Julkowski-Keppler,
Autofreie Innenstadt. Jetzt! Jeden Morgen und Nachmittag der gleiche Horror. Viel zu viele Autos quälen sich morgens in die Stadt und nachmittags wieder hinaus. Und es werden immer mehr. Irgendwo noch ein Unfall und das Chaos ist perfekt. Wenn wir so weitermachen, brauchen wir uns um ein gutes Leben in unserer Stadt keine Gedanken mehr machen. Attraktivität, Erreichbarkeit, Gesundheit und Lebensqualität der Innenstadt ersticken im Verkehr. Vom Klimaschutz ganz zu schweigen. Was also tun? Eigentlich wissen wir es alle, die Kinder und Jugendlichen der „Fridays for future“- Bewegung sagen es uns und die Wissenschaftler sagen es uns.
Der Flaschenhals ist die mangelnde Bereitschaft der Politik, klare entschiedene wegweisende Beschlüsse zu fassen, und zwar jetzt!
Es reicht nicht mehr, in langwierigen Prozessen hier und da mal etwas für den Fahrradverkehr zu tun und an anderer Stelle mal dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) etwas mehr Vorrang einzuräumen. Wir müssen vielmehr den begrenzten Verkehrsraum neu aufteilen. Das heißt, auf bisher vierspurigen Straßen bekommt der motorisierte Individualverkehr nur noch zwei Spuren und Parkplätze nehmen wir aus dem Straßenraum heraus. Diesen neu gewonnenen Raum schlagen wir dem ÖPNV, den Radverkehren und den Fußgängern zu. Dann wird es viel attraktiver, mit dem Bus zu fahren, weil der eben nicht mehr im Stau steht. Und dann werden komfortable Fahrradwege als so sicher empfunden, dass auch Eltern ihr Kind bedenkenlos hierauf fahren lassen. Außerdem müssen wir auswärtige Besucher rechtzeitig abfangen (Park and Ride), ÖPNV-Verbindungen in Region stärken und durch Fahrradschnellwege auch längere Strecken für Radler attraktiv machen.
Natürlich ist mir klar, dass dies alles viel Geld, Mut und auch Zeit braucht. Eine jahrzehntelange Stadtplanung für das Auto lässt sich nicht so einfach beseitigen, aber wir müssen jetzt damit anfangen. Der Umbau des Jahnplatzes, der im nächsten Jahr beginnt, ist hierfür ein ganz wichtiges Zeichen. Die Altstadt kann ohne großen Aufwand schnell autofrei werden. Versenkbare Pömpel an vier bis fünf Stellen reichen.
Die Altstadt wäre sofort noch attraktiver. Aufenthaltsqualität, Ruhe, die Lust sich länger hier aufzuhalten, würden sich sofort auswirken. Ein absoluter Gewinn für Bielefeld. Dies kann den Geschäften, Kneipen, den Kultureinrichtungen doch nur recht sein – und den Bewohnern der Innenstadt sowieso.
Thomas Kunz,
Hauptgeschäftsführer Handelsverband Ostwestfalen-Lippe e.V. spricht dagegen.
Mit knapper Mehrheit hat die Politik in Bielefeld eine neue Mobilitätsstrategie beschlossen. Demnach soll zukünftig jeder zweite Autofahrer sein Auto stehen lassen und stattdessen lieber zu Fuß, mit dem Rad oder per Bus & Bahn seine Wegstrecken innerhalb von Bielefeld zurücklegen. Bis 2030 soll der örtliche Modal Split bei 25 % Fußverkehr, 25 % Radverkehr, 25 % ÖPNV und 25% Autoverkehr liegen. Ein Verkehrskonzept wie man das erreichen will, gibt es aber nicht!
Stattdessen liest man einerseits etwas von Verkehrserziehung oder den Rückbau von Haupteinfallstraßen und andererseits etwas von Arbeitsplatzverlusten durch den Wegzug von Gewerbebetrieben im großen Stil. Alles keine guten Aussichten für den größten Handelsplatz unserer Region. Dabei ist für den stationären Einzelhandel eine gute Erreichbarkeit von elementarer Bedeutung. Jegliche verkehrliche Einschränkung gefährdet den Erhalt von Betrieben und gefährdet natürlich auch Arbeits- und Ausbildungsplätze. Das gilt im Übrigen für alle Sortimentsbereiche – ob Nahversorgung mit Waren des täglichen Bedarfs oder auch für die innenstadtrelevanten Sortimente. Der Einzelhandel übernimmt hierbei eine Bündelungsfunktion und in Verbindung mit einer Stadt der kurzen Wege werden unnütze Wege minimiert. Wenn alle Waren nur noch einzeln per Paket zum Kunden gebracht werden, droht uns der verkehrliche Super-GAU. Von daher sollte Politik alles unternehmen, die verkehrliche Erreichbarkeit zu verbessern.
Wegen erhöhter Stickoxidwerte wurden durch den Verkehrsversuch auf dem Jahnplatz Tatsachen geschaffen. Nach rund 90 Messungen seit 2017 können wir bereits für 2018 die Unterschreitung der Grenzwerte belegen. Dennoch wird völlig übereilt gehandelt, denn bevor Fördergelder in beträchtlicher Millionenhöhe verfallen, werden aus der Zeitnot heraus völlig übereilte Beschlüsse gefasst. Den erhofften großen Wurf, den sich manche von der Umgestaltung des Jahnplatzes erhoffen, wird es wohl so leider nicht geben. Bestenfalls werden nur Steuergelder verschwendet. Die Folgen für den Handel werden erst später sichtbar – wie immer!