Die Verkehrswende anstossen
„Unsere Kinder und Enkelkinder werden zu spüren kriegen, was wir jetzt verbocken“, bringt es Michael Schem auf den Punkt. Dabei ist die Faktenlage eindeutig: Feinstaub, Stickoxide und Lärm schaden Mensch und Umwelt. Der Vater zweier Kinder will sich nicht eines Tages der Frage stellen müssen, warum er nichts dagegen unternommen hat. Deshalb engagiert er sich gemeinsam mit zahlreichen weiteren BielefelderInnen für den Radentscheid.
Wie in vielen weiteren Städten von Berlin bis München möchte der Radentscheid Bielefeld eine Verkehrswende anstoßen. Jahrzehntelang galt: Vorfahrt für den Autoverkehr. Eindeutig eine Sackgasse, sind die InitiatorInnen der Initiative überzeugt. Sie wünschen sich den verstärkten Ausbau der Infrastruktur für den Radverkehr, damit mehr Menschen entspannt und sicher aufs Rad umsteigen können. „Wir wollen, dass sich die Verkehrsplanung der Stadt in eine komplett andere Richtung dreht“, unterstreicht Monika Haverkamp. „Und wir möchten, dass schnell etwas passiert“, ergänzt Michael Schem. „Natürlich ist es auch wichtig, den Nahverkehr auszubauen, aber das ist teurer und dauert länger als der Bau von Radwegen und die Umwidmung von Auto- in Fahrradstraßen.“
Privat haben beide die Verkehrswende längst vollzogen. „Vor zehn Jahren haben wir das Auto abgeschafft“, so Michael Schem.
„Meine Familie erledigt alles mit dem Rad. Und wenn es tatsächlich mal nicht anders geht, leihen wir uns ein Auto von Freunden.“ Nicht ganz so „radikal“ geht es Monika Haverkamp an. „Alle Strecken von Gellershagen, wo ich wohne, bis ins Stadtzentrum lege ich mich dem Rad zurück. Aber ich nutze auch den ÖPNV und habe noch ein Auto für schwere Lasten oder falls ich mal jemanden mitnehme.“ Beide treten aus Überzeugung in die Pedale. „Im Hinblick auf den
Klimawandel müssen wir unser Leben drastisch ändern und eine Möglichkeit ist, weniger Auto zu fahren“, unterstreicht Michael Schem. Doch nicht nur der Klimawandel treibt beide an. „Radeln ist schnell, bequem und man ist nah am Leben. Der Spaß ist mein größter Anreiz“, betont Monika Haverkamp. Dass es in der Stadt zahlreiche Strecken gibt, wo einem der Spaß vergeht, ist der Bielefelderin allerdings bewusst.
Michael Motyka
Wir möchten ein Aha-
Erlebnis erzeugen. BISELA steht für ‚Bielefeld sein Lastenrad‘ und der Verein möchte den Leuten die Chance geben, das einfach mal niedrigschwellig auszuprobieren. Drei verschiedene Lastenräder können Interessierte ausleihen und so einfach mal
testen, welche Transporte sich ohne Auto erledigen lassen.
„Fahrradfahren an Hauptverkehrsstraßen ist teilweise lebensgefährlich. Gerade als Mutter fordere ich daher sichere Radwege. Man muss nur die Grenze nach Holland überqueren und schon kann man seine Kinder unbesorgt Rad fahren lassen.“
Überhaupt sind die Niederlande ein großes Vorbild für die Bielefelder Initiative. „Alle guten Ideen sind schon da und die Niederländer hätten nichts gegen Plagiate“, lacht Michael Schem. Sichere Fahrradwege massiv ausbauen, den Autoverkehr dagegen weitestgehend aus der Innenstadt verbannen – das ist auch das Erfolgsrezept von Städten wie Kopenhagen oder Groningen. „Diese Städte verändern sich, die Unfallzahlen gehen zurück, das Klima wird besser und die Lebensqualität steigt. Wo früher Parkplätze waren, ist jetzt etwa Raum für Außengastronomie“, schwärmt Michael Schem.
Apropos Parkplätze: Dass die Quadratmeterpreise für Mieten in der Innenstadt kontinuierlich steigen, Parken aber immer noch vergleichsweise günstig ist, obwohl es viel Fläche verbraucht, findet Monika Haverkamp unlogisch. „Städte sind auf den Autoverkehr ausgerichtet, es geht immer um die automobile Erreichbarkeit. Es gibt noch große Widerstände dagegen, Autospuren und Parkplätze wegzunehmen“, weiß die Bielefelderin. „Aber ich finde, die Stadt sollte mutig sein, es einfach mal ausprobieren. Vielleicht quartiersweise oder als Verkehrsversuch.“
Rilana Nahrstedt & Raina Ingenfeld
Im Gegensatz zu Autos können wir als Fahrradkuriere von flottweg Strecken abkürzen und Einbahnstraßen nutzen, die wir in Gegenrichtung befahren dürfen. Außerdem müssen wir keinen Parkplatz suchen und sind dadurch im dichten Innenstadtverkehr schneller. Allerdings müssen wir sehr vorausschauend fahren. Viele Autofahrer blicken nicht in den Rückspiegel, blinken nicht und biegen ab, andere beharren darauf der Stärkere im Straßenverkehr zu sein. Mehr Rücksicht wäre schön. Ein Plus für uns: Durch das viele draußen sein, sind wir kaum krank.
Die 11 Ziele
Folgende 11 Ziele hat sich der
Radentscheid auf die Fahnen geschrieben, um mehr Sicherheit für alle Verkehrsteil-
nehmer zu erreichen, Umwelt und Klima
zu schonen sowie weniger Konflikte zwischen verschiedenen Verkehrsteilnehmern entstehen zu lassen:
- Fahrradstraßen
- Sichere und attraktive Radwege
- Sichere Kreuzungen und Kreisverkehre
- Fahrradfreundliche Ampeln
- Radschnellwege für Pendler
- Fahrradstellplätze
- Radwege pflegen und nutzbar halten
- Schutz vor rechtsabbiegenden Lkw/Bussen
- Fahrradstaffel des Ordnungsamtes
- Bielefeld wirbt für mehr Radverkehr
- Qualitativ hochwertige Umsetzung der Maßnahmen
Ende April hat die Initiative die 11 Ziele des Radentscheids Bielefeld an die Stadt Bielefeld übergeben. Diese muss darauf basierend eine Kostenabschätzung erstellen, damit die geschätzten Kosten mit auf die Unterschriftenbögen gedruckt werden können. Erst dann kann die Unterschriftensammlung beginnen.
Gabriele Weiss
Ich nutze mein Jobrad, wann immer es geht. Natürlich im Sommer, aber auch in der kalten Jahreszeit. Neben dem Aspekt durch mehr Bewegung etwas für meine Gesundheit zu tun, sind es auch ökologische Gründe, die mich motivieren, Rad statt Auto zu fahren. Und ich spare mir die langwierige Suche und den Kampf um einen Parkplatz und schätze es sehr, dass ich nach der Fahrt mit dem Rad frisch im Büro beim Evangelischen Johanneswerk ankomme. Für mich ist es deutlich stressfreier das Rad für den Arbeitsweg zu nehmen. Und am Ende des Tages schalte ich auf dem Rückweg mit dem Rad viel besser ab als im Auto. Durch das Pedelec trete ich auch in der Freizeit häufiger in die Pedale.