Arminia ist der emotionale Leuchtturm OWLs

Seit Sommer 2021 ist Rainer Schütte Präsident von Arminia Bielefeld. Ein besonderes Ehrenamt. Zusammen mit Maurice Eschweiler (Schatzmeister und Vize-Präsident) und Olaf Köster, der für die Abteilungen des Vereins verantwortlich zeichnet, steht er im Präsidium rund 15.000 Mitgliedern vor. Von Führung mag er nicht sprechen. Als Teamplayer ist ihm das „Wir“ wichtiger als das „Ich“.

Haben Sie sich Ihr Amt als Präsident so vorgestellt?

Ehrlich gesagt: nein. Durch meine Arbeit im Bündnis Ostwestfalen für die MöllerGroup habe ich zwar schon vorher viele Einblicke in den Verein erhalten und wir wurden vom vorherigen Präsidium sehr gut eingearbeitet, aber die bunte Vielfalt des Vereins, die vielen Projekte, die im Verein und im Umfeld von Arminia Bielefeld initiiert werden, und das Engagement der Mitglieder und der Ehrenamtlichen haben mich doch überrascht und begeistern mich immer wieder. Es wird von vielen, die nicht so im Vordergrund stehen, herausragende Arbeit geleistet. Mein Zwischenfazit lautet: Es ist komplexer und intensiver als gedacht, aber ungemein bereichernd.

Vor welchen Herausforderungen steht der Verein?

Die Welt ist aktuell ziemlich auf den Kopf gestellt. Durch die Corona-Pandemie, den schon seit längerem schwelenden Handelskrieg zwischen den USA und China und nun den schlimmen Krieg in der Ukraine wird die wirtschaftliche Situation schwieriger. Das trifft alle, auch die Mitarbeitenden, die Fans, die Sponsoren. Natürlich auch Arminia Bielefeld selbst. Das Geld wird knapper, die Preise – insbesondere für Energie – explodieren. Unter diesen Bedingungen gibt es tatsächlich wichtigeres als Profifußball oder Sport. Trotzdem haben wir auch unter diesen Bedingungen unsere Aufgaben zu erfüllen, aber auch Haltung zu zeigen und Perspektiven zu geben.

BIELEFELD, DEUTSCHLAND – 04. MAERZ 2022: Der Bielefelder Praesident Rainer Schuette mit einem ‚Frieden Ueberall‘ Ukraine T-Shirt waehrend des Spiels der 1. Bundesliga zwischen dem DSC Arminia Bielefeld und dem FC Augsburg in der Schueco Arena in Bielefeld.

Hilft Ihnen Ihre Erfahrung als Unternehmer?

Viel wichtiger als den Umgang mit wirtschaftliche Kennzahlen zu beherrschen, dazu muss man übrigens nicht Unternehmer sein, ist das Verständnis, dass es immer um Menschen geht – und zwar um viele Menschen: die Angestellten, die Mitglieder, die Ehrenamtlichen, die Fans und alle, die sich mit Arminia verbunden fühlen. Ein Verein lässt sich nicht ausschließlich wie ein Unternehmen führen, obgleich wir uns mit allen Themen befassen, die momentan auch die Wirtschaft beschäftigen, wie die Digitalisierung und das große Thema Nachhaltigkeit, um nur zwei zu nennen. In puncto Digitalisierung haben wir großen Nachholbedarf. Durch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten war zum Beispiel für den Aufbau einer zukunftsfähigen IT-Infrastruktur kein Budget da.Aber wir sind am Ball und arbeiten die Aufgaben sukzessive ab. Essenziell sind aus meiner Sicht die vielschichtigen sozialen Aufgaben, die der Verein übernimmt.

Woran denken Sie dabei?

Zum Beispiel, was im Bereich der Betreuung von Menschen mit Behinderung geleistet wird. Am Spieltag ermöglicht ein Team von 15 bis 25 Betreuern Menschen mit Behinderung den Stadionbesuch. Wie hier Inklusion gelebt wird, das ist vorbildlich – in der Region und darüber hinaus. All unsere Abteilungen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung. Der ASC zum Beispiel mit dem Projekt „Wir für Euch“, bei dem Geflüchteten und sozial Benachteiligten ein Stadionbesuch ermöglicht wird. Inklusion, Integration, Bildung, Gesundheit, Umwelt, Vielfalt – das sind unsere Themen, die durch die Abteilung „Fußballkultur & Soziales“ abgebildet wird. Momentan wird ein Rundgang mit dem Titel „ Spurensuche – DSC Arminia Bielefeld und der Nationalsozialismus“ angeboten, der an der SchücoArena beginnt und durch den Bielefelder Westen führt. Die Resonanz darauf ist riesig. Daran nehmen auch Menschen teil, die sich sonst nicht für Fußball interessieren. Im Nachwuchsleistungszentrum, hier kommen junge Menschen aus unterschiedlichsten familiären Situationen zusammen. Und manche davon brauchen Unterstützung in der Schule oder beim Erlernen der deutschen Sprache. Und die bekommen sie auch. Arminia ist so viel mehr als die Profimannschaft. Aber ohne deren Strahlkraft wären viele Projekte nicht möglich.

Apropos Strahlkraft: Wie sind Sie zu Arminia gekommen?

(lacht) Das weiß ich noch ganz genau. Das war 1970. Als 14-Jähriger bin ich heimlich mit zwei älteren Freunden aus Bünde, dort bin ich aufgewachsen, nach Bielefeld zum Spiel gefahren. Meine Mutter hat mich erwischt, und als ich heimkam gab es einen intensiven Rüffel. Ich bin trotzdem weiter samstags zur Alm gefahren, bis der Bundesliga-Skandal ans Licht kam. Das konnten meine Freunde und ich nicht einordnen und waren sehr enttäuscht. 1992 kam ich zurück nach Bielefeld – zwischendurch war ich zum Studium und beruflich in München und Berlin – und bin seither Dauerkarteninhaber.

Wie sieht es denn mit Ihrer Pulsfrequenz während eines Arminia-Spiels aus?

Die ist ähnlich hoch, als würde ich mit dem Rennrad einen Berg hochfahren. Ich bin schon sehr emotional dabei. Meist eingemummelt auf der West-Tribüne und hoffe, nicht erkannt zu werden (lacht). Früher war es Fußball pur, heute ist es anders. Markus Rejek hat es mal so formuliert: Wenn am 34. Spieltag der Ball in der 92. an den Innenpfosten prallt und der Ball ins Tor rollt oder eben nicht, kann das darüber entscheiden, ob in der nächsten Saison in der ersten oder in der zweiten Liga gespielt wird – mit all den wirtschaftlichen Folgen für den Gesamtverein.

KUFSTEIN, DEUTSCHLAND – 23. JULI 2021: Der Bielefelder Praesident Rainer Schuette (VORNE) waehrend des Testspiels zwischen dem VfB Stuttagrt und dem DSC Arminia Bielefeld in der Kufstein Arena in Kufstein.

Wo sehen Sie weitere wichtige Aufgaben des Vereins?

Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, die Aggressivität aus der Gesellschaft rauszunehmen und uns gemäß unserer Vereinswerte als faire Sportsleute, als Vorbilder, präsentieren. Becherwürfe oder verbale Gewalt haben bei uns im Stadion keinen Platz. Daran arbeiten wir mit gezielten Ansprachen. Auch das Projekt „Sichere Burg“, das wir in Zusammenarbeit mit dem Fan-Projekt und KickIn! entwickelt haben, zielt auf eine diskriminierungs- und gewaltfreie Vereinskultur ab.

Was hat im vergangenen Jahr den Ausschlag gegeben, dass Sie sich zur Wahl gestellt haben?

Ich wurde angesprochen und habe zunächst Nein gesagt, weil ich nicht wusste, ob ich den zeitlichen Aufwand dieses wichtigen Amtes, so wie Hans-Jürgen Laufer es verkörpert hat, stemmen könnte. Dann wurde ich noch mal gefragt und es wurde ans Gefühl appelliert. Ich habe natürlich immer wieder darüber nachgedacht. Denn ich habe im Verlauf des von Markus Rejek initiierten Sanierungsprozesses festgestellt: Hier arbeiten richtig tolle Menschen. Mit Ruhe, Seriosität und Offenheit. Hier steht – wie übrigens auch bei unserer Profimannschaft – der Team-Gedanke im Vordergrund. Im Vergleich zu anderen Erstligisten und so manchem Zweitligisten ist der DSC eher klein. Mit wenigen Menschen wird aber gemeinsam ganz viel bewegt. Und eines Morgens beim Frühstück sagte meine Frau: „Tu doch nicht so. Eigentlich willst Du es doch!“ und da habe ich mir gesagt: „Komm, mach es und kandidiere!“

Sie sprachen die Offenheit des Vereins an …

(lacht) Ja, der Ostwestfale ist vielleicht etwas zurückhaltender. Vielleicht lächeln wir auch weniger als andere. Aber im Grunde sind wir offen und offenherzig. Das merken auch neue Profispieler, die zu uns kommen. Ich denke da zum Beispiel an den US-Nationalspieler George Bello, der bei seiner Vorstellung im Verein durch seine positive und freundliche Art alle mitgerissen hat. Oder Mitarbeitende, die aus dem Rheinland, Ruhrgebiet oder Süddeutschland kommen. Das sind schöne Pendants zu unserer zurückhaltenden Art.

Wie gehen Sie das Thema Nachhaltigkeit an?

Seit zwei Jahren beschäftigen wir uns intensiv damit, haben eine eigene Arbeitsgruppe gebildet. Unser Geschäftsführer Markus Rejek ist in einem entsprechenden Gremium der Deutschen Fußball Liga mit dem Thema befasst. Wir wollen wissen, wo unsere Haupttreiber liegen. Sind es die Spieltage, die Mobilität, Flutlicht, die Energie? Wir wollen die Reduktion der CO2-Emission zielgerichtet angehen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Als Fan natürlich den Klassenerhalt. Es ist großartig, dass nun Bielefeld und Fußballdeutschland weiß, dass auch ein Armine eine Rabona-Flanke schlagen kann, aber noch wichtiger ist, unsere Identität weiter zu schärfen. Wofür steht Arminia Bielefeld – und das unabhängig von der Ligazugehörigkeit. Wir möchten Arminia zum emotionalen Leuchtturm für die Region machen.