Koloniale Spurensuche

Im Sommer gingen die Bilder aus Bristol um die Welt. Das Denkmal des Sklavenhändlers Edward Colston wurde von Black-Lives-Matter-Protestlern im Hafenbecken der Stadt versenkt. Zwar hat Bielefeld bislang keinen Denkmalsturz erlebt, dafür aber schon die eine oder andere hitzige Debatte  über den Umgang mit Straßennamen oder die Umbenennung eines Gymnasiums.

„Die Teilnehmer sind oft überrascht, wie viele koloniale Spuren in Bielefeld zu finden sind“, sagt Dr. Barbara Frey, die bereits seit 2008 Stadtrundgänge für das Welthaus und seit 2014 für die Bielefeld Marketing anbietet. Zwar hatte Deutschland anders als England oder Frankreich keine stringente Kolonialpolitik, aber spätestens seit dem 18. Jahrhundert waren Bielefelder Kaufleute im Überseehandel tätig. Menschen wanderten in die Kolonien aus und waren dort als Farmer, Missionare oder Soldaten tätig. Auf dem Johannisberg wurden Kolonialfeste gefeiert. Bielefelder Leinen wurde beispielsweise über Amsterdam, Rotterdam oder Hamburg exportiert, während Tee, Kaffee, Tabak und viele andere Produkte importiert wurden. „Söhne angesehener Bielefelder Handelsfamilien, wie von Laer, Delius, Velhagen, Buddeberg, Bertelsmann und Wilmann arbeiteten in Handelsniederlassungen in Südostasien oder Lateinamerika“, berichtet die Bielefelder Historikerin.

Gleich zwei Bielefelder Familien gründeten ihren Wohlstand auf Rauchwaren. Und so führt der Stadtrundgang zum Alten Markt, zum Crüwellhaus mit seinen spätgotischen Sandsteingiebeln. Die Familie Crüwell produzierte bereits seit 1705 rauchfertigen Rolltabak und erwarb das Haus an der Obernstraße 1 im Jahr 1813. Hinter dem Haus war die Cigarrenfabrik. In unmittelbarer Nachbarschaft, Am Markt 13, befand sich das Zigarrengeschäft Upmann. „Hier verkauften die Schwestern Upmann bis ca. 1875 Havanna-Import-Zigarren, die ihre über Bremen (Hermann Upmann & Co) nach Kuba ausgewanderten Brüder dort fabrizieren ließen“, berichtet Barbara Frey. Vielen Bielefeldern ist das 1876 eröffnete Upmannstift ein Begriff. Eingedenk seiner unverheirateten Schwestern ließ Hermann Upmann das beeindruckende Gebäude am Johannisberg errichten. Hier konnten ältere, unvermögende Bielefelderinnen ihren Lebensabend beschließen.

UNRECHT BENENNEN

Und so finden sich viele weitere koloniale Spuren in der Stadt und Verbindungen bis in die heutige Zeit. Einige Unternehmen oder auch Stiftungen haben durch die Ausbeutung der Schutzgebiete zum Teil ein Vermögen gemacht. Ländereien wurde gewaltsam annektiert oder durch betrügerische Machenschaften „erworben“, Bodenschätze geraubt und Menschen versklavt.

Erarbeitet wurde der Rundgang von Bielefeld postkolonial. „Durch Zufall erfuhr ich von dem Arbeitskreis“, erinnert sich Barbara Frey, die sich in ihrer Dissertation eingehend mit Literatur aus afrikanischen Kulturen befasst. 2006 stieß Bielefeld postkolonial die Debatte um die Umbenennung der Karl-Peters-Straße in Stieghorst an, Bürgerproteste hatte es schon seit 2001 gegeben. 1963 hatte der Bielefelder Rat entschieden, dass eine Straße nach dem „Afrika-Forscher“ Carl Peters benannt werden sollte, wobei der Name auf dem Schild versehentlich mit K geschrieben wurde. Ein unbegreiflicher Vorgang, denn schon seinerzeit war bekannt, dass Peters, den der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler als „gerichtsnotorisch kriminellen Psychopathen“ bezeichnet, mit grausamster Brutalität gegen die einheimische Bevölkerung vorgegangen war. Die Umbenennung geriet letztlich zur Posse. Nach wiederholten Protesten wurde die Straße im September 2008 dem politisch unverfänglichen und bis dato unbekannten Bielefelder Industriellen Carl Peters (1843-1922) gewidmet, nachdem sich zuvor der Jura-Professor und Strafrechtsreformer Karl Peters (1904-1998) aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft als Namenspatron disqualifiziert hatte. 1996 war übrigens das Bavink-Gymnasium in Gymnasium am Waldhof umbenannt worden, weil der 1947 verstorbene Namensgeber eine grundsätzlich befürwortende Haltung zur nationalsozialistischen Rassenhygiene und zum Antisemitismus vertreten hat.

Gedenken überdenken

Auch wenn sich die zuständige Bezirksvertretung bei der Karl-Peters-Straße nicht mit Ruhm bekleckert hat, wurde eines erreicht: In der Öffentlichkeit wurde darüber diskutiert und ein Bewusstsein für den schwierigen Umgang mit Straßennamen oder Denkmälern geschaffen. So kann man auch über das Bismarck-Denkmal in Bielefeld geteilter Meinung sein. „Zwar stand Bismarck den Bestrebungen nach eigenen Kolonien skeptisch gegenüber, hat aber letztlich dem Drängen der Kolonialenthusiasten nachgegeben und ab 1884 in Afrika Handelsniederlassungen deutscher Kaufleute unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt“, betont Barbara Frey. „Daher stammt der Begriff ,Schutzgebiete’ für die deutschen Kolonien. Außerdem fand unter Bismarcks Vorsitz 1884/85 in Berlin die West-Afrika-Konferenz statt, auf der die europäischen Imperialmächte nach eigenen Wirtschaftsinteressen Afrika unter sich aufteilten und willkürlich Grenzen zogen, die bis heute bestehen. Es war kein einziger afrikanischer Vertreter zu der Konferenz eingeladen worden.“

Aber was tun mit den Denkmälern? „Eine gute Lösung hat die Gemeinde der Süsterkirche nach langen Diskussionen gefunden“, erzählt die Historikerin. Eine Gedenktafel im Eingang erinnert an das Gemeindemitglied Alfred Tiemann, der während des Herero-Krieges in Deutsch-Südwestafrika, im heutigen Namibia, fiel. 1904 hatten sich die Khoikhoi und Herero gegen die Kolonialherren erhoben. Der Krieg wurde von deutscher Seite mit äußerster Grausamkeit geführt, wobei 75.000 Herero durch deutsche Truppen umgebracht wurden. Überlebende des Völkermordes – diesen Begriff benutzt Deutschland erst seit 2016 – wurden in die Omaheke-Wüste getrieben, wo sie elendiglich verdursteten. Die wenigen Überlebenden wurden in Sammellagern zusammengetrieben. „Mit dem 2019 eingeweihten Denkmal ,Neue Wege’ wurde eine verschiebbare Glasplatte vor allen in der Kirche befindlichen Kriegerdenkmälern, auch vor dem Epitaph von Tiemann, angebracht, auf der in den 12 Sprachen der Opfer der beiden Weltkriege und auch in der Sprache der Herero und Nama gedacht wird. Die Botschaft „Friede auf Erden“ ist, neben anderen Begriffen wie „Schlachtaufmarsch“ oder „Versöhnung“ an verschiedenen Stellen auf die Glasplatten aufgebracht. Das ist bundesweit einmalig.“ Bis heute hat Deutschland der namibischen Regierung keine Entschädigung gezahlt.

Barbara Frey plädiert dafür, schwierige Denkmäler nicht zu verstecken, sondern eine neue, weitere Perspektive darauf zu ermöglichen. „Man könnte den Blick brechen, indem man es zum Beispiel seitlich kippt oder auf den Kopf stellt. Dann wird darüber diskutiert. Wichtig ist, dass wir auch die andere Seite der Geschichte kennen und nicht nur die ,weiße Geschichte’.“

Wer mehr erfahren möchte:

Den Stadtrundgang gibt es online www.stadterkundungen-bielefeld.de/erkundungen/kolonialgeschichtlicher-stadtrundgang oder live:

Koloniale Spuren in Bielefeld
Di, 13.10.2020, 17 Uhr

Koloniale Denkmäler in Bielefeld
Mi, 28.10.2020, 17 Uhr

Anmeldung erforderlich unter bi-postkolonial@welthaus.de

Die Teilnahme ist kostenlos, Spende erwünscht.