PROF. DR. OLIVER KRÜGER

Tiere in den Taschen waren bei ihm keine Seltenheit. „Tote Tiere habe ich sogar eingesammelt und tiefgefroren“, erzählt Prof. Dr. Oliver Krüger. Als Experte für Greifvögel und Verhaltensforschung lehrt und forscht er heute an der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld. Wie tierisch individuell jedes Tier ist, fasziniert ihn. Zum ersten Mal auf dem Campus unterwegs war er übrigens schon als 15-Jähriger. Der Anlass: ein Schülerpraktikum in der biologischen Sammlung. Dort präparierte er Tiere.

Als ich noch jünger war, wollte ich Förster werden. Da wusste ich noch nicht, dass man Biologie studieren kann“, erzählt der 46-Jährige. „Ein toller Bio-Lehrer hat meine Begeisterung für Bio gefördert und die schlechten Erfahrungen aus davorliegenden Jahren wettgemacht.“ Und so engagierte sich Oliver Krüger für das Fach, machte mit bei Jugend forscht. „Heute ist daraus ‚Midlife forscht‘ geworden“, sagt er mit dem trockenen Humor eines Ostwestfalen.

Über 84 verschiedene Tierarten beherbergt die Biologiedidaktik.

Greifvögel, die ihn schon als Kind faszinierten, sind in den ganzen Jahren nie aus seinem Blickfeld geraten. Ihre Flugkunst begeistert ihn ebenso wie der majestätische Ausdruck. Schon früh interessierte er sich für die Populationsdaten. Die hat er inzwischen über Jahrzehnte gesammelt. „Heute natürlich ein bisschen aufwendiger als früher und mit einem anderen Fokus.“ Als Wissenschaftler ist ihm bewusst, dass Spitzenprädatoren (Apex-Prädatoren) wie Greifvögel dafür sorgen, dass ein Ökosystem stabil ist. „Top-Prädatoren machen das Ökosystem resilienter, daher sind die Beutegreifer an der Spitze absolut wichtig“, so der Biologe. Ein positives Beispiel ist die Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone Park seit 1996. „Der Protest war erst groß. Man hatte Angst, dass die Grizzly-Bären-Population abnehmen würde“, so Oliver Krüger. Das Gegenteil trat ein. Die Zahl der Bären stieg. Zu den typischen Spitzenprädatoren, die in einem Ökosystem allein oder zusammen mit anderen Organismen an der Spitze der Nahrungspyramide stehen, zählen in Deutschland Wolf und Lux sowie große Greifvögel wie Adler oder Uhus. Die größte Eule der Welt ist seit einigen Jahren wieder im Teuto zuhause. „Alle eineinhalb Kilometer ist ein Uhu zu sehen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Fenster zudem nach Norden und Süden ausgeweitet. Das ist ein Erfolg, der sich nach Jahrzehnten eingestellt hat, und superspannend“, so der Wissenschaftler, der diesen Prozess dokumentiert und beobachtet, wie sich das Ökosystem auch im Teutoburger Wald neu einpendelt und sein Gleichgewicht findet. Denn: Uhus fressen Greifvögel. „Dadurch entstehen Nischen, seltene Greifvögel profitieren davon. Das ist schön zu sehen“, unterstreicht Oliver Krüger, der nach vielen Jahren in Cambridge und Oxford für die Professur an die Uni Bielefeld zurückkehrte.

Die mütterliche Wahl des Strandes beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung der Seelöwenbabys.

Im Sonderforschungsbereich Transregio 212 ging er in den letzten vier Jahren der Frage auf den Grund, welchen Einfluss Faktoren wie Umfeld und genetisches Makeup auf die Ausprägung individueller Tierpersönlichkeiten haben.

„Sie sind der Schlüssel, der Tieren die Anpassung an eine sich immer schneller ändernde Umwelt ermöglicht. Ist ein Tier etwas mutiger als ein anderes, nutzt es zum Beispiel andere Habitate“, stellt Oliver Krüger mit Blick auf Habichte fest. Sie tauchen längst auch in Großstädten auf, weil einige Tiere ihre Scheu abgelegt haben. Ein großes Team von Wissenschaftler*innen erforscht diese Entwicklung für viele verschiedene Tierarten genauer. Übrigens auch fakultätsübergreifend. „Tieren ist nichts Menschliches fremd“, so Oliver Krüger mit Blick auf die Zusammenarbeit mit der Fakultät für Philosophie.

In der Verhaltensökologie arbeitet die Uni Bielefeld u. a. eng mit der Uni Münster und Jena zusammen, um das Verhalten der Tiere noch besser zu verstehen. Fest steht inzwischen: Mäuse lassen sich verlässlich in Optimisten und Pessimisten einteilen. Klar ist auch, dass nicht nur Gene und Umwelt das Verhalten prägen.

An der Uni Bielefeld gibt es mittlerweile einen der größten universitären Zoos in Deutschland.

Auch das soziale Umfeld der Tiere spielt eine Rolle. So beeinflusst die mütterliche Wahl des Strandes auch die Persönlichkeitsentwicklung der Seelöwenbabys. „Seelöwenbabys auf Galapagos, die in Bereichen mit viel Interaktion aufwachsen, sind beispielsweise mutiger beim Erkunden. Bei Tieren mit weniger Interaktionspartnern ist das deutlich anders“, betont Oliver Krüger und zieht einen plastischen Vergleich: „Das ist wie ein Gleissystem, wo es bei einem bestimmten Schienenstrang keine neue Weiche gibt.“ Denn auch im Entwicklungsprozess ist nicht alles flexibel. Tiere besser zu verstehen, ist für den Wissenschaftler nur ein Aspekt des Sonderforschungsbereiches, der in Zusammenarbeit mit den Unis Münster und Jena sogar zu der Sonderausstellung „Tierisch individuell – Wie Tiere mit ihrer Umwelt umgehen“ führte. „Antworten auf diese Fragen zu finden, ist auch die Grundlage für einen effektiven Tier- und Artenschutz“, unterstreicht der Bielefelder Biologe.

AUSSTELLUNG
„Tierisch individuell – Wie Tiere mit ihrer Umwelt umgehen“ bis 17.10.21, LWL-Museum für Naturkunde, Münster ab Frühjahr 2022, Naturkunde-Museum, Bielefeld