HELLMUTH OPITZ

„Wenn ich einen Gedichtband beendet habe, falle ich erst einmal in ein Loch“, sagt Hellmuth Opitz. So ging es dem Bielefelder Autor und Lyriker auch nach seinem im Sommer 2017 erschienenen letzten Band. „Knapp neun Monate habe ich gar nichts geschrieben.“ Jetzt ist sein neues Buch „Flauschnacht – Rauschnacht“ im Bielefelder Pendragon Verlag erschienen. Sein zehnter Gedichtband. Im Hardcover. 67 Gedichte stark.

Erzählerischer sind sie geworden. Und länger. Worte, Gedanken, Bilder – sie fügen sich scheinbar mühelos aneinander. Verschwenderisch pointiert. „Der Hang zur Länge liegt vielleicht daran, dass es nicht nur darum geht, Reize wiederzugeben. Das geht auch flüchtig und knapp. Ich wollte es komplexer und mit mehr Inhalt, der gefasst werden will“, erklärt Hellmuth Opitz, der seine Gedichte in sieben Kapitel verortet. Und eins voranstellt. „Durch diese Flauschnacht“ ist auch eines der ersten Gedichte, die er für seinen neuen Gedichtband verfasste. Es erzählt von einer berauschten Wanderung während der Johannisnacht. „Hauptsache die Laserpointer der Glühwürmchen leuchten dir heim“, schreibt er. Traumwandlerisch sicher sät er Metaphern, die aufgehen, über sich hinauswachsen und aus verschiedenen Welten zusammengebracht, ihre Kraft im neuen Kontext entfalten. Eine der Stärken des Bielefelder Lyrikers, der meist mit melancholischen Gedichten – ganz ohne ein festes Thema zu haben – einen neuen Schreibzyklus beginnt. Liebesgedichte finden sich allerdings in jedem seiner Gedichtbände. „Die kann ich nicht beiseitelassen“, so Hellmuth Opitz. Und so erzählt er davon, wie die Liebe mitwächst, älter wird, wie der Alltag sie abschleift, aber auch von dem Versuch entgegenzusteuern. Er schaut noch mal hin, drückt im Zyklus „Hohelieder aus den Zeiten des hohen C“ auf die Repeat-Taste und räumt der Liebe ganz gegenwärtig auch im Hier und Jetzt ihren Platz ein.
Ebenso der Pandemie. Die Zeit, die die meisten in den eigenen vier Wänden verbracht haben und verbringen, beleuchtet Hellmuth Opitz in einem eigenen Kapitel. Überschrieben mit „Im Stillstand rast die Veränderung“ fängt er das Gefühl dieser Zeit ein. Eine Zeit, die wie eingefroren erscheint. Ein Stillstand, der Wandel mit sich bringt. „Dreiviertel der Beschäftigten wechselten von jetzt auf gleich ins Homeoffice. Videokonferenzen statt persönlicher Kontakte sind die neue Normalität“, hebt Hellmuth Opitz auf eine von vielen Veränderungen ab.
Mit „März. Und alles, was danach kam“ findet er in lyrischer Form Worte dafür: „Es war die Zeit, als die Termine aus den Kalendern verschwanden, als wären sie mit Tinte geschrieben, die wie von Zauberhand auf einmal unsichtbar wird“. Seine Gedichte halten das Erstaunen und Erschrecken dieser Zeit fest. Ebenso wie gesellschaftliche Umbauten. „Nach Wochen der Isolation tritt man heraus und die Gesellschaft hat sich verändert“, so der Autor, der kritisch den Blick auf die Gesellschaft lenkt, den Umgang mit Abstand thematisiert, zuspitzt und feststellt: „Es gibt Skurrilitäten, da kann man durchaus Zynismus und Sarkasmus entfalten.“ Beispielsweise dann, wenn Unternehmen sich zuhauf Diversität, Nachhaltigkeit und Vielfalt auf die Fahnen schreiben und das „Gassiführen der eigenen Vorbildlichkeit“ längst zum probaten Mittel wird. Doch auch Trost, Zusammenhalt und Solidarität sind Stichworte der Pandemie. Und Begriffe, aus denen Opitz das Pathos rausnimmt. Pragmatisch und mit einer guten Portion Resilienz versehen, machen sie seine Gedichte zu einem Spiegel der Zeit. Die Welt im Umbruch. Vergangenes, das bis ins Heute reicht. Unter der Überschrift „Zurück von der Zeit- und Raumpatrouille“ schlägt der Bielefelder Brücken aus der Vergangenheit in die Gegenwart. „Ellerbrocksfeld“, früher ein Bauernhof mit Getreidefeld, in dessen Nachbarschaft er aufwuchs, ist heute ein Neubaugebiet und innerhalb einer Viertelstunde abgeschritten. Früher aber schien es ihm ein ganzes Universum. Auch die Wela-Frau ist längst Geschichte. Schwer bepackt mit Suppen, Pasten, Brühen und Soßen zog sie von Haus zu Haus. Hellmuth Opitz betrachtet die Vergangenheit nicht sentimental und pathetisch. Aber es sind durchaus sinnliche Eindrücke, für die er immer wieder Bilder voller Sprachmagie findet. Versteckt in winzigen Alltäglichkeiten. So, wie in „Die Industrialisierung der Singvögel“. Der Zyklus ist den gefiederten Bewohnern unserer urbanen Welt geschuldet. Und Hellmuth Opitz fordert dazu auf, sich, solange es noch geht, einmal diese Überdosis zu geben: „Sonntagmorgens, kurz vor fünf Uhr Frühling, einfach den Kopf nach draußen halten, in diese Luft voll Vogelstimmen.“ Eine, wie er sagt „Sakristei aus Gesang“, von der sich jeder selbst ein Bild machen kann. Denn Hellmuth Opitz trägt seine Gedichte immer wieder auch in der Natur vor und zwar im Rahmen von geführten ornithologischen Wanderungen.