Mit KI made in Bielefeld gegen Amazon und Co.

Von der Founders Foundation an der Obernstraße bis zum jetzigen Standort im Cube am Adenauerplatz sind es nur wenige hundert Meter. Der Sprung, den das Bielefelder Start-up VisionAI in nur vier Jahren gemacht hat, ist jedoch deutlich größer. 50 Mitarbeitende, eine Niederlassung in London und rund 7 Millionen Euro Kapital von Investoren stehen auf der Haben-Seite von Melvin Schwarz (CEO), Julian Meyer (Vertrieb) und Berkan Cinar (Technischer Leiter).

Der Name ihres Start-ups ist Programm. Sie sind mit der Vision angetreten, mit Künstlicher Intelligenz den Online Handel zu revolutionieren, um nicht allein den großen Playern wie Amazon und Co. das Feld zu überlassen. E-Commerce hatte für Mitgründer Melvin Schwarz schon immer einen besonderen Reiz. Im Alter von 12 Jahren hat er seinen ersten Online-Shop programmiert und Spielzeug verkauft.

„Ich fand es faszinierend, dass man über das Internet Geld verdienen kann“, lacht der heute 24-Jährige. Das Entwickeln von Online-Shops hat er sich selbst beigebracht. „Früher liefen die Online-Spiele nicht so reibungslos wie heute. Da musste man selbst nachjustieren, um mitspielen zu können.“ Die Faszination für den Online-Handel ist geblieben. Vor gerade mal zwei Jahren hat Vision AI sein erstes Produkt auf den Markt gebracht. „Für Unternehmen ist ein Online-Shop heute ein Muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Allerdings bieten die Shops dem Kunden oftmals nicht das Einkaufserlebnis, was er möchte oder braucht“, erläutert Melvin Schwarz. „Produkte werden nicht gefunden oder die automatisierten Vorschläge (Kunden kauften auch …) passen nicht zum gekauften Produkt. Hier setzen wir mit textlicher und visueller KI an.“ Hat jemand beispielsweise ein weißes Bett im Landhausstil gekauft, erkennt die von VisionAI entwickelte KI das und der Algorithmus schlägt Lattenrost und Matratze in den richtigen Maßen vor sowie farblich und stilistisch passende Möbel. Und die multimodale KI funktioniert auf vielfältigen Ebenen. Sucht ein User Produkte mit einem bestimmten Umweltsiegel, bekommt er nachhaltige Produkte mit diesem Label angezeigt. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

ALLER ANFANG IST … RASANT

Der Ansatz der Gründer zur Verbesserung des Online-Shoppings sorgte schon 2020 für Aufsehen. Beim Facebook-KI-Wettbewerb belegte die entwickelte Technologie des Bielefelder Start-ups einen sensationellen 3. Platz, setzte sich gegen starke internationale Konkurrenz durch und landete vor Teams von Elitenuniversitäten wie Stanford oder dem MIT. In der Founders Foundation durchliefen die Gründer alle Stationen, lernten das 1 x 1 des Gründens, vertieften ihre Forschung im „Labor“ und kamen im Rahmen des Accelerate Programms, in dem das Produkt zur Marktreife gebracht wird, in Kontakt zu ersten Kunden und Business Angels, die Start-ups mit ihrem privaten Kapital, Know-how und Netzwerk unterstützen. Heute zählen namhafte Unternehmen unterschiedlichster Branchen wie New Balance, Weitz oder Zurbrüggen zu ihren Kunden. In zwei Jahren hat das Start-up über 150 Kunden gewinnen können. „Unsere Lösung spart unseren Kunden nicht nur Zeit, sondern sie machen messbar mehr Umsatz“, so der CEO. „Indem wir die Händler unterstützen, erhalten wir die Vielfalt diverser Shops.“ Dabei lief in der Gründungsphase nicht alles rund. „Wir haben viele Fehler gemacht, sind aber immer offen damit umgegangen. Uns haben die Erfahrungen unser Business Angels sehr geholfen. Ihnen genau zuzuhören, von ihrer Expertise zu profitieren, aber auch der eigenen Meinung zu trauen und unsere Vision zu verfolgen, das war die Mischung, die uns nach vorn gebracht hat“, stellt Melvin Schwarz fest.

BIELEFELD BLEIBT HERZSTÜCK

Im Sommer 2023 lernten die Gründer von VisionAI auf der von der Founders Foundation organisierten Tech-Konferenz „Hinterland of Things“ einen großen Investor kennen. Binnen zwei Wochen war der Vertrag mit HV Capital unter Dach und Fach. Hinzu kamen noch andere kleinere Investoren und das Start-up war mit insgesamt 5 Mio. Euro frischem Kapital ausgestattet, das in eine neue Technologie zur Verbesserung der Produktsuche investiert wird. „40 Prozent der User nutzen die Suchfunktion von Online-Shops, aber diese führt nicht unbedingt zum Ziel. Damit der Kunde das findet, was er sucht, muss der Händler genau die Suchbegriffe hinterlegen, die der Kunde eingibt. Weil eine Übereinstimmung eher unwahrscheinlich ist – das fängt schon damit an, dass ein T-Shirt als rot hinterlegt ist, der User aber nach bordeaux sucht –, nutzen wir die KI-gestützte Bildsuche. Drei Jahre hat die Entwicklung gedauert, über 30 Millionen Bilder wurden eingelesen. Die Markteinführung in wenigen Wochen wird mit Spannung erwartet.

Die Zeichen stehen auf weiteres Wachstum. Dabei ist die Zahl der Mitarbeitenden binnen kürzester Zeit von 15 auf 50 angestiegen 40 Menschen sind am Standort Bielefeld beschäftigt – und seit März sind weitere 10 Kolleg*innen in der Niederlassung in London tätig. „Eigentlich wäre mir Barcelona lieber gewesen, weil das Wetter da besser ist“, scherzt Melvin Schwarz, „aber Großbritannien ist der größte Markt in Europa und der drittgrößte weltweit. Wir sind uns bewusst, dass wir damit ein Risiko eingehen, aber wenn wir unser ganz großes Ziel, das ist der US-Markt und die Marktführerschaft, erreichen wollen, müssen wir weiter wachsen und unseren Umsatz jährlich verdoppeln, besser noch verdreifachen. Dennoch bleibt VisionAI bodenständig. Den Standort Bielefeld wissen die Gründer sehr zu schätzen. „Die Unternehmen in OWL bilden eine große Gemeinschaft“, freut sich Melvin Schwarz. ✔