„MÜLL“ IM MUSEUM
„Ex- und Hopp“: Was heute negative Assoziationen weckt, war Ende der 60er Jahre eine positiv gemeinte Kampagne. Waren Pfandflaschensysteme bis dahin selbstverständlich, kamen jetzt Glasflaschen zum Wegwerfen auf den Markt. Gepriesen als fortschrittliche Entwicklung, die der Hausfrau den Alltag erleichtern sollte. Nicht nur bei diesem Beispiel entsteht beim Gang durch die Sonderausstellung im Historischen Museum der Eindruck: Wir waren schon mal weiter in Sachen Müllvermeidung und Recycling. Ob Flickschuster, Lumpensammler oder das Ideal der sparsamen Hausfrau, die nicht im Traum darauf gekommen wäre, Lebensmittel zu verschwenden: Bis in die Nachkriegsjahre war der sparsame Umgang mit Ressourcen eine Selbstverständlichkeit.
„Danach entwickeln sich Massenkonsum und Wegwerfgesellschaft, die Menschen werden regelrecht zum Einkaufen erzogen“, weiß Ausstellungskurator Dr. Christian Möller. Lebensmittel, Kleidung, Möbel, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik und andere Dinge des täglichen Bedarfs werden seit den 50ern in großer Zahl hergestellt und sind für die breite Bevölkerung erschwinglich geworden. Die Kehrseite der Medaille: Mit dem Konsum wachsen die Müllberge.
Ein Thema, das den stellvertretenden Institutsleiter seit langem interessiert. „Es ist Teil meiner Forschungsbiografie“, so der Umwelthistoriker, der sich schon in seiner Masterarbeit mit der Abfallpolitik in Bielefeld und Herford beschäftigt hat. „Aber auch aus musealer Perspektive ist das ein dankbares Thema. ‚Oder kann das weg?‘ – unser Ausstellungstitel – ist genau die Frage, die sich Menschen stellen, bevor sie etwas ins Museum geben.“ Und Müll kann museumsreif sein. Was Generationen vor uns achtlos in die Latrine geworfen haben, etwa die Scherben eines zerbrochenen Glases, setzen Archäologen Jahrhunderte später mühevoll wieder zusammen. Ein weiterer Aspekt, der die Idee zur Ausstellung angestoßen hat: Das Museum selbst möchte sich zum Thema Nachhaltigkeit besser aufstellen.
RUND 750.000 TONNEN ALTKLEIDER WERDEN IN DEUTSCHLAND JÄHRLICH GESPENDET, GESAMMELT, SORTIERT UND VERWERTET.
(QUELLE: INITIATIVE KLEIDERWELLE BIELEFELD)
Ein konkreter Schritt in diese Richtung: Die Ausstellungswände der vorangegangenen Sonderausstellung wurden für die Themen- und speziell für Kinder konzipierten Vermittlungsinseln wiederverwendet. Der Rundgang startet mit dem Bereich „Kaufen und Verbrauchen“, die den Weg zum Massenkonsum nachzeichnet.
„Wegwerfen und Entsorgen“ beleuchtet unter anderem den Braker Giftmüllskandal, der als einer der größten deutschen Umweltskandale die Abfall- und Umweltpolitik Bielefelds nachhaltig veränderte. Veränderung kennzeichnet auch die Einstellung zum „Wieder- und Weiterverwerten“. Wie bereits erwähnt keine neue Erfindung. „Früher wurde Papier aus Lumpen hergestellt und Schrottsammler gab es immer schon“, unterstreicht Christian Möller. „Der Massenkonsum hat das durchbrochen.“ Aber es gab auch früh Initiativen dagegen, etwa die Brockensammlung. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus Altmetall unter anderem Spielzeug hergestellt – nur gab es den Begriff „Upcycling“ dafür noch nicht. Außerdem entstanden seit den 1970ern und 80ern neue Initiativen, vom Umweltzentrum bis zur Recyclingbörse, mit denen Bielefeld und OWL sich früh als ein Zentrum der Umweltbewegung etablierten. Auch bei den Themeninseln „Reparieren und Selbermachen“ sowie „Wertschätzen und Umdenken“ lassen sich viele aktuelle Beispiele finden, von Repair-Cafés bis zu Restlos-Läden. Insgesamt ein spannendes Forschungs- und Ausstellungsthema, das den Umwelthistoriker auch privat inspiriert hat. „Ich denke schon, dass ich mich umweltbewusst verhalte“, so Christian Möller, „aber es ist immer Luft nach oben.“ ✔
ODER KANN DAS WEG?
Noch bis zum 31.12. gehen das Historische Museum Bielefeld und das Museum Huelsmann in der gemeinsamen Ausstellung der Frage nach, was mit den Dingen des täglichen Bedarfs passiert, nachdem sie den ursprünglichen Zweck ihrer Anschaffung nicht mehr erfüllen. Zahlreiche Objekte, Zeitzeugeninterviews und ein buntes Veranstaltungsprogramm beleuchten die Kehrseite des Massenkonsums und laden dazu ein, den eigenen Umgang mit Dingen zu reflektieren. Während die Ausstellung im Historischen Museum unter dem Motto „#Wegwerfen #Wiederverwenden Wertschätzen“ steht, beschäftigt sich das Museum Huelsmann unter der Überschrift „#Restaurieren Renovieren #Rekonstruieren“ mit der Bewahrung von Dingen und Kunstwerken als Ausdruck besonderer Wertschätzung.
www.historisches-museum-bielefeld.de www.museumhuelsmann.de