Wie gestresst ein Mensch ist, kann Yogalehrer Michael Lehmann oft schon an der Atmung erkennen. Statt einer ruhigen Bauchatmung liegt bei Menschen mit hoher psychischer Belastung häufig eine oberflächliche Brustatmung vor. Die gute Nachricht: Im Gegensatz zu Tieren können wir unsere Atmung bis zu einem gewissen Grad steuern – und damit Einfluss auf Körper und Geist nehmen. Eine Technik, die im Yoga eine lange Tradition hat.

Michael Lehmann

Ein ruhiger Atem schafft einen ruhigen Geist“, davon ist Michael Lehmann überzeugt. Er selbst hat den Weg zum Yoga aufgrund der eigenen Sorgen und Ängste gefunden. „Nicht die Körperübungen haben mich zum Yoga geführt, sondern der philosophische Aspekt: Yoga als spirituelle Disziplin“, so der Bielefelder. „Ich wollte wissen, warum ich ticke, wie ich ticke und was ich tun kann, um zur Ruhe zu kommen und nicht mehr so an den Dingen zu haften, die mir begegnen. Heute komme ich schneller auf eine Beobachter-Ebene und verstehe, was gerade mit mir passiert.“ Auch viele Kursteilnehmende im „Yogawirkt“-Studio sind nicht zuletzt angesichts der vielfältigen Krisen in der Welt auf der Suche nach mehr Gelassenheit. Hier kann bewusstes Atmen ein Baustein sein.

Über das vegetative Nervensystem werden zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts die lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert und gesteuert. Etwa 25.000 Atemzüge nimmt ein Mensch täglich. Mit Atemübungen nehmen wir Einfluss auf die Intensität und Dauer unserer Ein- und Ausatmung. Im Yoga wird die Arbeit mit dem Atem als Pranayama bezeichnet. Das Wort kommt aus dem Sanskrit und setzt sich aus Prana (Atem, Lebenskraft, Seele) und Yama (Kontrolle) und Ayama (Ausweitung, Dehnung) zusammen. Das Praktizieren von Atemtechniken soll den Übenden helfen, den Atem bewusst wahrzunehmen und zu steuern.

WECHSELATMUNG
Bei dieser Atemübung wird wechselseitig durch ein Nasenloch ein- und ausgeatmet. Das wirkt beruhigend und harmonisierend auf den Geist. „Bei Stress oder emotionalen Dysbalancen fällt das Atmen durch ein Nasenloch leichter als durch das andere. Dieser sogenannte „Nasenzyklus“ lässt wiederum Rückschlüsse auf die Aktivität der Gehirnhälften zu. Ist das rechte Nasenloch durchlässiger, geht dies einher mit einer größeren Aktivität der linken Gehirnhälfte – und andersherum. Erzwingt man einen Wechsel im Atem, indem man nur durch das schwächere Nasenloch atmet, lässt sich die weniger aktive Hemisphäre stimulieren, was wiederum zu Veränderungen auf der geistig emotionalen Ebene führt.

Neben ausreichender Energie- und Sauerstoffzufuhr hilft Pranayama mit verschiedenen Atemtechniken auch gegen Stress. Stress ist an sich kein negatives Phänomen. Phasen körperlicher und psychischer Belastung geben uns die Möglichkeit zu wachsen. Jedoch sollte dabei die Entspannung nicht zu kurz kommen, die Körper und Geist regeneriert und revitalisiert. „Viele Menschen sind dauergestresst und die Entspannungsphasen fehlen“, so Michael Lehmann. Sein Rat ist, Entspannungsübungen gezielt in den Alltag einzubauen, etwa durch Meditation, Qigong oder eben Yoga.

SCHNELL- BZW. FEUERATMUNG
Hier wird die Ausatmung unter Einsatz der Bauchmuskulatur forciert und die Atemluft ausgestoßen. Es folgt die passive Einatmung durch Lösen der Bauchmuskulatur, was ein erneutes stoßweises Ausatmen möglich macht. Ergänzt werden kann diese Atemtechnik mit Luftanhaltephasen und Bandhas (Energieverschlüsse). Auf geistiger Ebene können sich emotionale Spannungen lösen. Körperlich wirkt diese Atemübung aktivierend und energetisierend. Die Bauchorgane werden massiert und durchblutet, die Verdauungsaktivität angeregt.

So unterschiedlich Yogastunden sind, der gemeinsame Nenner ist die bewusste Atmung und das zur Ruhe kommen der Gedanken im Geist. Wissenschaftliche Studien belegen die positiven Auswirkungen von Atemübungen auf der geistig-emotionalen Ebene. Auf der körperlichen Ebene werden die Atemwege gereinigt, die Lungenkapazität erhöht und Stoffwechselprozesse angeregt. Das wiederum wirkt sich positiv auf Atemwegserkrankungen und Erkältungskrankheiten aus. ✔

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