Der Sommer ist noch lange nicht vorbei. Die ideale Zeit, an lauen Sommernächten die Nase in ein gutes Buch zu stecken.
Hanna Bervoets: Dieser Beitrag wurde entfernt
Hanser Berlin, 20 €
Die Rufe, den Hass im Netz und die völlig aus dem Ruder gelaufenen Kommentare zu entfernen, werden immer lauter. Aber wer soll diesen ganzen unerträglichen und zuweilen höchst gefährlichen Schrott eigentlich sichten und entfernen? Und wer entscheidet aus welchen Gründen, was gelöscht werden soll? Darüber hat Hanna Bervoets, eine der meistgelesenen niederländischen Schriftstellerinnen, einen kurzen, aber aufrüttelnden Roman über eine Gruppe junger Menschen geschrieben, die den ganzen Tag höchst verstörende Postings nach einem umfangreichen, aber teilweise nicht nachvollziehbaren Regelwerk, bewertet und gegebenenfalls entfernt. Mindestens 500 Beiträge pro Tag, maximal 7 Minuten Pause, beim Gang aufs Klo läuft die Stoppuhr – die Arbeitsbedingungen bei HEXA sind hart. Aber Kayleigh gefällt der neue Job, das Gehalt ist gut, und die schrecklichen Bilder, die sie für die Plattform prüfen muss, behandelt sie mit professioneller Distanz. Als sie sich in ihre Kollegin Sigrid verliebt, scheint ihr Glück vollkommen. Bis einige ihre Kollegen plötzlich zusammenbrechen oder Verschwörungstheorien anhängen, und Sigrid sich immer mehr distanziert. Ist Kayleigh dem Job als Einzige gewachsen? Oder merkt sie nur nicht, wie auch ihr moralischer Kompass sich auf höchst ungute Weise zu verschieben beginnt? Denn wer die Regeln bestimmt, beeinflusst die Sicht auf die Dinge. (E.B.)
Jonathan Moore: Poison Artist
Suhrkamp, 16,95 €
Die mysteriöse Femme Fatale an der Bar kommt Caleb Maddox gerade recht, denn seine Freundin hat ihn rausgeschmissen. Maddox gilt als brillanter Wissenschaftler, Fachgebiet Schmerzforschung und Toxikologie, und soll der Gerichtsmedizin in San Francisco bei der Aufklärung einer Mordserie helfen: wohlsituierte Männer schwimmen tot in der Bay, nachdem sie zuvor grausam gefoltert wurden. Doch Maddox sucht lieber in den Bars der Stadt nach der geheimnisvollen Schönheit, die ihn mit Absinth abfüllt und dann immer wieder verschwindet. Jonathan Moores eleganter Krimi spielt lustvoll mit Versatzstücken des Film Noir, erzählt von Liebe und Schmerz und zieht auch den Leser immer tiefer in seinen dunklen Sog – bis zum bitteren Ende. (K.M.)
Femi Kayode: Lightseekers
btb, 16 €
Es sind grausige Szenen, die Femi Kayode zu Beginn von Lightseekers schildert. In der nigerianischen Universitätsstadt Port Harcourt werden drei junge Studenten von einem Mob verfolgt und mittels Necklacing ermordet. Den Opfern wird ein mit Benzin getränkter Autoreifen um Hals und Arme gehängt und angezündet. Lynchjustiz. Schon seit langem ist das Verhältnis zwischen den Studierenden und der einheimischen Bevölkerung angespannt. Jetzt scheint ein tödlicher Funke übergesprungen zu sein und den Tätern wird der Prozess gemacht. Doch der Vaters eines ermordeten jungen Mannes glaubt nicht, dass die Polizei sauber gearbeitet hat. Er beauftragt Dr. Philip Taiwo damit, Licht ins Dunkle zu bringen und die wahren Hintergründe der schrecklichen Tat zu beleuchten. Taiwo ist Experte für Massenpsychologie und Gewalt und gerade erst nach einem längeren Aufenthalt in den USA nach Nigeria zurückgekehrt. Ein Land, das ihm fremd geworden ist. Durch Taiwos Ermittlungen gibt Kayode einen schonungslosen Blick auf die nigerianische Gesellschaft mit all ihren Abhängigkeiten frei und erzählt zugleich eine hochspannende Geschichte mit überraschenden Wendungen. (E.B.)
Mónica Subietas: Waldinneres
S.Fischer, 22 €
Die spanische Autorin hat sich ein sehr deutsches Thema ausgesucht: Ein jüdischer Kunstsammler ist auf der Flucht vor den Nazis, er schafft es in die Schweiz, doch dann verliert sich nach einem Unfall seine Spur im Wald. Alles was übrig bleibt, ist ein Gehstock, darin ein kleines eingerolltes Gemälde. Gut 70 Jahre später tritt Gottfried Messmer widerwillig ein Erbe an. Sein Vater hat ihm einen Schließfachschlüssel hinterlassen, um den sich ein Geheimnis rankt. Als er das Schließfach öffnet, steht er vor der Frage: Wie kam sein Vater an das Gemälde „Waldinneres“ von Gustav Klimt? Und wer ist er wirkliche Besitzer? Die Vergangenheit liegt näher als er denkt und holt ihn unvermittelt ein. Kunstraub ist auch fast 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs ein virulentes Thema. Mónica Subietas hat den Plot aber etwas zu sehr auf Verfilmbarkeit angelegt und auch das Ende wird mit zu viel pastellfarbener Harmonie überpinselt. (H.O.)
Becky Chambers: Die Galaxie und das Licht darin
Fischer TOR, 13 €
In einem kleinen Motel am Rande der Galaxis stranden drei Aliens. Ihre Wirtin Ouloo versucht gemeinsam mit Sohn Tupo den unfreiwilligen Aufenthalt der Gäste so angenehm wie möglich zu gestalten. Gar nicht so einfach bei Lebewesen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Becky Chambers wunderbarer SciFi-Roman kommt (fast) ohne Menschen aus und soll leider der letzte sein, der im von ihr entworfenen Wayfarer-Universum spielt. Höchst bedauerlich, denn die Autorin setzt hier dem Trend zur wohlfeilen Dystopie eine hoffnungsvolle Zukunft entgegen, beschreibt eine bunte, vielfältige Galaxis, in der Menschen nur eine Minderheit sind und in der nicht nur sie lernen müssen, mit den unterschiedlichsten Spezies klar zu kommen. So auch die gestrandeten Aliens und ihre Wirtin. Das ist anrührend und bewegend erzählt und auch ohne große Action keine Sekunde langweilig. Eine sonnige Space Opera.(K.M.)
Merle Kröger: Die Experten
Suhrkamp, 14 €
Während einige deutsche Raketentechniker und Triebwerksingenieure nach Ende der Nazi-Diktatur mehr oder weniger freiwillig in den USA oder Russland weiter arbeiteten, zog es andere nach Ägypten. Denn dort träumte Präsident Nasser von einer afrikanischen Rüstungsindustrie, von eigenen Raketen und engagierte dafür deutsche Experten. Im Kairo der frühen 60er Jahre gerät die junge Rita Hellberg zwischen die Fronten der Geheimdienste, politischer Aktivisten und alter Nazis. Merle Kröger erzählt ihre Geschichte als komplexen Polit-Thriller, als fein beobachteten Familienroman, als aufwändig recherchiertes Historienstück, entwirft ein breit angelegtes, atmosphärisch dichtes Panorama jener Zeit und findet dafür einen feinen ironischen Ton, der für großes Lesevergnügen sorgt. Den großartigen und bei Erscheinen gefeierten Roman gibt’s jetzt auch als Taschenbuch! (K.M.)
Judith Kuckart: Café der Unsichtbaren
Dumont, 23 €
Judith Kuckart hat ihren Roman um sieben Personen gruppiert, die alle für einen Verein namens „Sorgentelefon e. V.“ arbeiten. Sie haben die Menschen am Hörer, die Vereinsamten, Depressiven, Selbstmordgefährdeten, Skurrilen mit Spleen oder Stalker-Ambitionen. Doch die Telefonseelsorger schleppen ihre eigenen Probleme mit sich herum, das titelgebende Café ist nur ein Euphemismus für den nüchternen Ort, wo sie ihre Tag- und Nachtschichten schieben. Manchmal nimmt die Erzählerin auch die Perspektive einer 80-jährigen Frau ein, die diesen Ort quasi von oben wie eine Versuchsanordnung betrachtet. Die subjektiven Sorgen und Nöte sind geschickt verknüpft mit den Anliegen, de von außen herangetragen werden. Im Grunde ist der Roman wie ein Theaterstück angelegt, nur die Figuren hätten etwas mehr Tiefe vertragen können. (H.O.)
Richard Roper: Zwei auf einem Weg
Wunderlich, 22 €
Nach einer gescheiterten Beziehung lebt Theo wieder im Gartenhaus seiner Eltern. Ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag gibt ihm sein Vater unmissverständlich zu verstehen, dass er nun gefälligst auf eigenen Füßen stehen soll. Dann taucht auch noch sein ehemaliger Freund Joel auf, der gefeierte Comedy-Autor, und erinnert ihn an ein Versprechen aus Jugendzeiten. Sie hatten vereinbart, mit 30 gemeinsam den 184 Meilen langen Themse-Wanderweg gemeinsam zu meistern. Nun ist es so weit. Das Problem dabei: Die einst besten Freunde haben seit 13 Jahren kein Wort miteinander gewechselt. Seit dem verhängnisvollen Unfall, bei dem Theos Schwester schwer verletzt wurde. In seinem Roman schildert Richard Roper abwechselnd Theos und Joels Sicht der Dinge. Es geht um Freundschaft, Vertrauen und Schwierigkeiten, die unüberwindbar scheinen, so lange man nicht offen miteinander spricht. Und das gewürzt mit einer gehörigen Portion britischen Humors. Ein Buch zum Lachen und zum Weinen. (E.B.)
Theresa Hannig: Pantopia
Fischer TOR, 16,99 €
Ein Bug im Code ihrer autonomen Trading-Software für die Börse lässt die Entwickler Patricia Jung und Henry Shevek verzweifeln. Bis sie bemerken, dass sie versehentlich die erste echte künstliche Intelligenz geschaffen haben! Die checkt den Zustand der Erde und den der Menschen darauf und entwickelt flugs einen Plan, wie sich die Welt zu einem besseren und gerechteren Ort entwickeln lässt. Eine Utopie mit den Mitteln des Kapitalismus und der Demokratie – Theresa Hannig hat keine Angst vor den ganz großen Themen: eine bessere Welt ist möglich und sie beschreibt, wie es gehen könnte. Das ist faszinierend, beeindruckend und gut recherchiert. Aber leider kann ihr Erzähltalent nicht immer mithalten. Plot und Figuren bewegen sich mitunter auf dem trivialen Niveau eines schlechten Heftromans. Wen das nicht stört, der darf sich von einer spannenden Utopie inspirieren lassen. (K.M.)